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      „Du Narr“, sagte er laut vor sich hin, „du dreimal verdammter Narr! Legst dich mit dem Profoß an und erhältst jetzt die Quittung. Ratten!“

      Er hing erschöpft an den Ketten und lauschte. Da waren nur das Schwappen und Plätschern des Bilgewassers, das Knarren der Holzwände, das gurgelnde Vorbeiströmen und Klatschen des Seewassers draußen an den Bordwänden. Er tastete den Raum vor sich mit den Füßen ab.

      Nichts.

      Er war so schlapp wie ein Rahsegel bei Flaute. Genauso fühlte er sich. Schweiß strömte über seinen Körper, biß in seine Augen. Seine Lungen pumpten nach Luft, in seinem Kopf hämmerte der Schmerz. Seine Handgelenke unter den eisernen Manschetten waren wundgescheuert. Er spürte das glitschige Blut.

      Ihm fiel ein, daß die beiden Ketten links und rechts zu den Augbolzen führten, die in das massive Spantholz eingelassen waren. Wenn es ihm gelang, die Kette an sich zu drehen, müßte auch der Augbolzen dem Drehdruck folgen.

      Er atmete tief durch.

      Die Manschette ließ ihm genug Spielraum. Er probierte es zuerst rechts, verdrehte das Handgelenk so weit wie möglich nach links, bis seine Hand fast unter der Kette lag, packte zu und versuchte mit aller Kraft, die noch in ihm steckte, die Kette herumzudrehen, und zwar nach rechts.

      Die Kettenglieder schoben sich zusammen, bildeten Kinken, verkürzten sich und rissen ihm fast den Arm aus. Verbissen drehte er weiter.

      Dort, wo der Augbolzen im Spantholz saß, knackte es. Das Holz knarrte und ächzte.

      Das ist gut, dachte der Seewolf, das ist sogar sehr gut.

      Er hielt einen Moment inne und entspannte sich. Er spürte, daß er am ganzen Körper zitterte.

      „Du bist ein Waschlappen“, sagte er laut vor sich hin, „ein dreimal verdammter Narr und noch dazu ein Waschlappen.“

      Er lauschte seiner Stimme. Und da war plötzlich wieder das widerliche Pfeifen.

      Die geben auch nicht auf, dachte er.

      Wut schoß wie ein Stichflamme in ihm hoch. Er packte erneut zu, umkrallte die Kette, biß die Zähne aufeinander und stellte sich vor, ein paar Ratten am Hals hängen zu haben. Mit einer berstenden Kraftanstrengung verdrehte er die Kette – nach rechts, dann nach links, wieder nach rechts, nach links. Der Augbolzen quietschte mißtönend in seiner Holzbettung. Das war Musik in den Ohren des Seewolfs. Irgend etwas splitterte. Hasard zerrte wie ein Berserker, und dann prallte er plötzlich mit dem Rücken auf die Gräting.

      Fast staunend beugte er den rechten Arm. Ja, er konnte ihn frei bewegen. Die Kette klirrte an der Manschette. Er tastete an den Gliedern entlang und stieß an den Augbolzen. Also hatte er es geschafft.

      Aber da war noch etwas – verdammt, das untere Brooktau, das in den Augbolzen eingespleißt war und das Wasserfaß im unteren Teil absicherte. Daran hatte er nicht mehr gedacht. Bei schwererem Seegang konnte das gefährlich werden.

      Und frei war sein Arm immer noch nicht. Über den Augbolzen war er jetzt mit dem Brooktau verbunden. Aber er hatte mehr Spielraum.

      Hasard zog die Beine an, schob sich an dem Wasserfaß zur Linken hoch und setzte sich auf. Er lehnte sich an die Dauben und genoß die sitzende Stellung. Sein Herz hämmerte von der Anstrengung und pumpte das Blut mit hektischen Stößen durch die Adern.

      Sie huschten heran und stießen mit ihren spitzen Schnauzen an seine Füße. Ihr Fiepen trieb ihn hoch und zur Raserei. Er konnte gebückt stehen, soviel Platz ließ ihn die linke Kette. Mit der rechten Kette schlug er zu. Samt Augbolzen und Brooktau klirrten sie über die Gräting. Er peitschte sie dahin und dorthin und spürte mit grimmiger Befriedigung, wie sie traf und Knochen zerbrach. Sie pfiffen schrill und schienen wieder den Rückzug anzutreten.

      Spürten die Biester, daß ihre Chancen, an ihm herumzunagen, geringer geworden waren? Hatten sie ihre toten Artgenossen mitgenommen?

      Hasard tastete mit der Rechten die Gräting vor sich ab. Seine Finger stießen gegen einen dünnen Schwanz. Angewidert zuckte er zurück, angelte mit dem Stiefel nach der toten Ratte und stieß sie in Richtung Schott.

      Dann versuchte er, mit beiden Händen die linke Kette in sich zu drehen, um auch diesen Augbolzen herauszubekommen. Aber obwohl er jetzt die doppelte Armkraft einsetzen konnte, rührte sich das verdammte Ding nicht von der Stelle.

      Er fluchte, probierte es noch zweimal und gab dann auf. Es hatte keinen Zweck. Immerhin aber hatte er jetzt genügend Bewegungsfreiheit und war den Ratten gegenüber nicht mehr ganz wehrlos.

      Er beugte sich zu dem Zapfhahn des linken Fasses, drehte ihn auf, hielt den Mund unter den Hahn und trank. Dann legte er sich unter den Hahn und ließ sich das Wasser über Kopf und Gesicht laufen. Als er den Hahn wieder zudrehte, fühlte er sich erfrischt.

      Er wartete auf die Ratten. Aber sie schien endgültig genug zu haben. Vielleicht hatten sie auch die Bäuche voll – mit ihren toten Artgenossen. Ratten waren auf jedem Schiff. Sie lebten von dem Abfall in der Bilge, nagten sich zu den Vorratsschapps durch und waren nicht auszurotten. Wenn sie nichts mehr fanden, zerrissen sie sich untereinander. Nur die Stärksten überlebten. Nur wenn ein Schiff die letzte Reise in die Tiefe antrat, soffen sie mit ab – oft genug die letzten Lebewesen, die sich an die Wrackteile krallten, bis die unersättliche See auch sie verschlang.

      Philip Hasard Killigrew rollte sich auf die linke Seite und schlief ein. Er schlief tief und fest, aber er war sofort wach, als die beiden Riegel zurückklirrten.

      Mehrere Öllampen warfen ihr Licht in die Vorpiek.

      Der Seewolf blinzelte in das Licht und richtete sich langsam auf.

      Der Profoß stand im Vorpiekschott, hatte die Lampe angehoben und leuchtete den Raum ab. Der Schein wanderte von den beiden toten Ratten zu seinen Füßen nach rechts, dann nach links, verharrte auf der Stelle, wo sich einmal der Augbolzen befunden hatte, wanderte die Kette entlang über die Manschette, den Arm und richtete sich auf das Gesicht des Seewolfes.

      Hasard starrte in das Licht, ohne mit der Wimper zu zucken.

      Schweigen.

      Der Profoß senkte die Lampe und beleuchtete noch einmal die beiden Ratten. Hasard hatte ihnen das Rückgrat zerschmettert. Zersplitterte Knochen ragten aus blutig-zerrissenem Fell. Die spitzen Schnauzen klafften auf, unter den hochgestülpten Lefzen schimmerten nadelspitze Zähne. Es sah aus, als grinsten die Biester.

      „Unglaublich“, murmelte der Profoß fassungslos.

      „Sollte ich mich vielleicht anknabbern lassen?“ fragte der Seewolf freundlich. „Schließlich hat jeder Mann das Recht, zu kämpfen, solange noch ein Funken Leben in ihm ist. Hast du schon mal gegen Ratten gekämpft, Profoß – ich meine, mit gefesselten Händen?“

      „Nein.“

      „Tut mir leid, daß ich den Augbolzen abmontiert habe. Aber es läßt sich wohl etwas tiefer wieder einschlagen. Das Faß muß abgesichert werden, sonst geht’s bei Seegang auf die Reise und zertrümmert womöglich die anderen Fässer.“

      „Jawohl“, sagte der Profoß und hätte fast noch „Sir“ hinzugefügt. Er biß sich auf die Lippen und starrte in die eisblauen Augen. Widerwillig wurde ihm bewußt, daß er diesen Mann bewunderte. Der war in der Vorpiek nicht weichzuklopfen, niemals, der war unzerstörbar und spuckte selbst dem Tod noch in die Zähne. Und wenn, dann mußte man ihn dreimal totschlagen, und beim viertenmal würde der Sensenmann die Flucht ergreifen.

      Er schüttelte den Kopf, betrachtete die Platzwunden an der Schläfe und die Schwellungen auf dem Schädel des großen Mannes, entdeckte das durchblutete rechte Hosenbein und sagte fast entschuldigend: „Es ist soweit.“

      „Was?“ fragte der Seewolf, obwohl er es wußte.

      „Dreißig Schläge mit der Neunschwänzigen wegen versuchter Meuterei.“

      „Ich würde Meuterer an der Rah aufknüpfen“, sagte der Seewolf.

      „Der

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