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Der Glatzkopf wird dich töten, wenn er sich unbeobachtet glaubt. Du hast ihn herausgefordert, und das hat bisher noch niemand überlebt.“

      „Warum hat der Bootsmann ihn daran gehindert, mich totzuschlagen?“ fragte der Kutscher flüsternd.

      Der Pirat mit der Augenklappe antwortete nicht. Er zuckte nur leicht mit den Schultern, erhob sich und ging davon. Wahrscheinlich hatte er Angst, daß der glatzköpfige Muskelprotz auch auf ihn ein Auge warf, wenn er sich zu lange in der Nähe des Engländers aufhielt.

      Der Kutscher fand nur langsam wieder zu sich. Sein Kreuz schmerzte immer noch höllisch, und er bedauerte, daß er seine Salben nicht dabei hatte, mit denen er sonst die Prellungen seiner Kameraden behandelte.

      Er wußte nicht, woran er war. Bedeutete das Einschreiten des Bootsmannes, daß er sich frei auf dem Schiff bewegen konnte? Oder hatte Le Requin nur einen Mord verhindern wollen?

      Der Kutscher ahnte, daß irgend etwas hinter allem steckte. Auf diesem Schiff stimmte etwas nicht. Es schien, als belauere ein Teil der Mannschaft den anderen. Aber an wen sollte er sich halten? Der Schotte stand offensichtlich auf der Seite des Bootsmannes. Weshalb war dieser mit Matt Davies, Stenmark, Blakky und Batuti an Land gegangen und hatte ihn, den Kutscher, als einzigen an Bord zurückgelassen? War er etwa eine Geisel?

      Er wußte, daß er hier an Deck keine Antwort auf seine Fragen erhalten würde. Mit vorsichtigen Schritten bewegte er sich zurück unter das Vordeck. Er wollte den Muskelprotz nicht noch mehr provozieren. Irgendwann würde sich schon eine Gelegenheit ergeben, mit einem der Zwillinge zu sprechen. Wahrscheinlich dann, wenn das Essen ausgeteilt wurde. Vielleicht kehrten die anderen auch inzwischen an Bord zurück. Sie würden dann schlauer sein als er. Er war überzeugt, daß der Schotte nur einen Weg gesucht hatte, ungestört mit seinen Kameraden zu sprechen.

      Hoffentlich klärt sich alles auf, bevor der Glatzkopf mich zu Mus geschlagen hat, dachte der Kutscher, als er sich stöhnend auf sein Lager sinken ließ.

      Hasard sah am gespannten Gesichtsausdruck Ratatouilles, daß der Augenblick der Entscheidung da war. Langsam nahm er die Holzkelle auf und tauchte sie in das Stew, das der verrunzelte Kerl in fünf großen Töpfen über dem offenen Feuer gekocht hatte.

      Hasard hatte sich den Topf ausgesucht, den er vor dem Kochen blankgeputzt hatte. Er hoffte außerdem, daß er nicht ausgerechnet einen der Knochensplitter erwischte, die noch am Hammelfleisch gehangen hatten, als Ratatouille es in den schmuddeligen Kohl, der kurz vor der Verwesung gewesen war, geworfen hatte.

      Mit Todesverachtung führte er eine volle Kelle an seine Lippen. Kein Muskel verzog sich in seinem Gesicht, als er vorsichtig den heißen Fraß probierte. Seine Augen weiteten sich, und als er die Kelle absetzte, trat ein Strahlen in seine Augen.

      „Ich weiß gar nicht, was die Kerle haben“, sagte er im Brustton der Überzeugung. „Das Stew schmeckt verdammt gut. Ich wäre froh gewesen, wenn wir an Bord unseres alten Schiffes so etwas zu essen gekriegt hätten.“

      Ratatouilles Gesicht blieb noch einen Moment skeptisch. Er konnte es anscheinend nicht fassen, daß es jemanden gab, der sein Essen mochte Besonders gut hatte es ihm auch nie geschmeckt, aber er hielt es auch nicht für so schlecht, wie die anderen immer behaupteten.

      „Du nicht lügen?“ fragte der Zwerg zweifelnd.

      Hasard schüttelte heftig den Kopf.

      „Keine Spur“, sagte er und wandte sich an seinen Bruder. „Hier, Philip, probier du mal.“

      Philip zögerte keinen Moment. Er nahm die Kelle entgegen, spitzte genießerisch die Lippen und schlürfte das etwas zu flüssige Stew.

      „Hmm“, äußerte er sich, „das Stew ist hervorragend.“ Er holte sich mit den Zähnen ein Stück Hammelfleisch und kaute darauf. Dabei sah er Ratatouille aus treuherzigen Augen an. „Ich meine, wir sollten es noch zehn Minuten auf dem Feuer lassen, dann zergeht das Fleisch auf der Zunge.“

      Der runzlige Zwerg strahlte. Seine letzten Zweifel waren verflogen. Er entwickelte eine hektische Betriebsamkeit. Sein Gesicht glühte vor Eifer, und jedesmal, wenn Hasard oder Philip ihm zur Hand gingen, murmelte er: „Merci.“

      Hasard war mit sich zufrieden. Ihr erstes Ziel hatten sie erreicht. Von nun an war der kleine Koch sicher Wachs in ihren Händen. Außerdem war es mit dem Probieren gar nicht so schlimm gewesen. Das Stew war zwar kein Lekkerbissen, aber zum Ausspucken war es zu schade.

      Als sie gemeinsam die Töpfe vom Feuer gehoben hatten, fragte Hasard: „Sollen wir es hinausbringen und die Mannschaft zusammenrufen?“

      Ratatouille schüttelte erschrocken den Kopf.

      „Nix“, sagte er hastig. „Wir stellen Töpfe vor Tür und warten hier, bis Männer fertig mit Essen.“

      Der muß eine höllische Angst vor den Kerlen haben, dachte Hasard.

      „Ich bringe es für dich raus“, sagte er. „Das Essen ist in Ordnung, und wer darüber meckert, soll sich selbst was kochen.“

      Ratatouille leckte sich über die Lippen. Sein Oberkörper wand sich, und es sah für Hasard aus, als bewege sich sein Buckel.

      „Sie werden schlagen dich und Bruder“, warf er ein.

      „Das werden wir ja sehen“, erwiderte Hasard. „Los, Philip, faß mit an.“

      Gemeinsam schafften Hasard und Philip den ersten Topf vor den Verschlag, den Ratatouille großspurig Kombüse nannte. Zwischen den Knechten mit den Scheibengatts und dem Großmast stand eine breite Bank. An den fettigen Kreisen darauf war zu erkennen, daß Ratatouille darauf seine Töpfe abstellte.

      Der Koch streckte immer nur seinen vogelartigen Kopf durch die Brettertür, wenn Hasard und Philip einen Topf auf das Brett stellten, als hätte er Angst, ihm könne jeden Augenblick ein Belegnagel an den Kopf fliegen. Als alle fünf Töpfe auf dem Brett standen, streckte Ratatouille seine dünnen Arme aus seinem Verschlag hervor. In den Händen hielt er einen Triangel.

      „Ihr lieber verschwinden“, sagte er mit väterlich besorgter Stimme.

      Hasard und Philip schüttelten fest den Kopf.

      „Mit dem Essen brauchen wir uns nicht zu verstecken“, sagte Hasard.

      Der kleine Koch wartete noch einen Moment, dann schlug er entschlossen den Triangel. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, als er die Brettertür zuknallte. Hasard hörte an dem schabenden Geräusch, daß er den Balken in die Halterung zog, damit ihm die wütenden Männer nicht die Bude einrannten. Wahrscheinlich versuchten sie es jeden Mittag von neuem.

      „Halt die Ohren steif, Bruderherz“, flüsterte Hasard, und Philip nickte und schluckte, als die ersten Gestalten aus der Kuhl auftauchten. Sie hatten grimmige Gesichter, denn sie wußten was sie erwartete.

      Der Glatzkopf mit der grünlichen Gesichtsfarbe führte die Männer an. Hasard wurde es wieder flau im Magen, als er den vergammelten Kopf vor sich sah. Der muskulöse, braungebrannte Oberkörper stand zu seinem Gesicht in krassem Gegensatz, war aber nicht weniger erschrekkend für die Zwillinge.

      „Wo ist Ratatouille?“ fragte er mit seiner seltsam gequetschten Stimme.

      Hasard wies mit dem Daumen über die Schulter und sagte: „Wir geben heute das Essen aus. Es gibt Stew.“

      Der Glatzkopf blickte einen hageren Piraten an, der rechts neben ihm stand, und fragte ihn, was der Bengel gesagt hätte. Der Hagere übersetzte und starrte dann Hasard an.

      „Der Schweinehund schickt also euch halben Portionen vor, damit wir uns an euch halten, wenn sein Fraß wieder mal nicht genießbar ist“, sagte er mit breitem irischen Akzent.

      Hasard streckte seine Linke aus, nahm dem Hageren den Holzteller ab und begann, ihn mit dem Stew zu füllen. Der Geruch war noch schlimmer als der Geschmack, und Hasard dachte, daß die umgekehrte Reihenfolge wohl noch schlechter gewesen wäre. Er hoffte, daß die Kerle ein wenig versöhnt wurden, wenn das Ergebnis von Ratatouilles Kochkunst nicht ganz so mies ausgefallen war wie sonst.

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