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Risiko ist Le Requin zu groß“, erwiderte er. „Der Comte hat die wichtigsten Postenan Bordder ‚L’Exécuteur‘ mit seinen Vertrauensleuten besetzt. Le Requin hat er bisher nicht angetastet, weil keiner das Schiff so führen kann wie er, aber er traut ihm nicht über den Weg. Er läßt ihn immer überwachen. Habt ihr an Bord den Glatzkopf gesehen?“

      „Den mit der grünen Haut und den Pockennarben?“ fragte Stenmark angeekelt.

      „Genau den. Er heißt Vert-de-gris, das heißt Grünspan. Er ist Le Requins Schatten. Wir müssen höllisch aufpassen, daß er uns nicht mal belauscht.“

      „Wie ist das Verhältnis von den Leuten des Comte zu euren?“ fragte Matt. Er wies auf die Piraten, die zurückgekehrt waren und über das fertiggebratene Bergschaf herfielen. „Sind das die einzigen Männer, auf die ihr euch verlassen könnt?“

      Der Schotte schüttelte grinsend den Kopf.

      „Nicht ganz“, sagte er, „aber viel mehr als dreißig sind wir nicht. Wenn die Unternehmen, die an diesem Tag gestartet worden sind, alle reibungslos klappen, werden die anderen auch nicht mehr sein als wir, so daß wir eine offene Auseinandersetzung wagen können.“

      Matt Davies lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was der Schotte da eben gesagt hatte, bedeutete nichts anderes, als daß an diesem Tag an die vierzig Piraten ermordet werden sollten. Er preßte die Lippen aufeinander und sagte nichts mehr. An den Gesichtern seiner Kameraden sah er, daß auch sie die Worte des Schotten begriffen hatten.

      Der Schotte sah es ebenfalls.

      „Wir sind keine skrupellosen Mörder“, sagte er leise. „Aber wir hatten nur die Wahl, die Männer des Comte zu töten oder selbst mit ihm zusammen vernichtet zu werden.“

      Matt Davies und die anderen sagten nichts darauf. Sie wußten, daß sie Glück gehabt hatten, auf der richtigen Seite zu stehen. Wenn ein anderer als der Schotte ihnen am Ufer des Flusses gegenübergetreten wäre, lägen sie wahrscheinlich schon alle entseelt im Ufergebüsch oder schwammen hinaus in die See.

      Als der Schotte sich umdrehte und zu seinen Männern am Feuer hinüberging, dachte Matt Davies an den Kutscher und die Zwillinge. Er konnte nur hoffen, daß sie in diesem Intrigenspiel keine Rolle spielten und noch am Leben waren, wenn sie an Bord zurückkehrten.

      5.

      Der Kutscher fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Die lauernden Blicke der Piraten, die ihr Lager in seiner Nähe hatten, gingen ihm an die Nieren. Er fragte sich immer wieder, warum der Schotte gerade ihn zurückgelassen hatte, zumal er doch annehmen mußte, daß er, der Kutscher, der Wortführer der Ausgesetzten war.

      Es machte ihn krank, nicht zu wissen, was los war. Immer wieder hatte er über die Kuhl gestarrt, um vielleicht einen der Zwillinge zu entdekken, aber bisher hatte sich keiner von ihnen an Deck blicken lassen.

      Er war überzeugt, daß Hasard und Philip sich durchsetzen würden, aber die Frage war, ob die Piraten genügend Humor hatten, die Streiche der Zwillinge zu ertragen.

      Zwei Piraten, die nur etwa fünf Yards von ihm entfernt am Fockmast lehnten, tuschelten auf französisch. Immer wieder warfen sie kurze Blicke zu dem Engländer hinüber.

      Dem Kutscher wurde die ganze Sache zu bunt. Er hatte keine Lust, sich hier wie ein seltenes Tier anstarren zu lassen. Entschlossen erhob er sich. Er würde jetzt über die Kuhl gehen und den Verschlag aufsuchen, in dem die Zwillinge verschwunden waren. Schließlich konnte ihm niemand verwehren, seine Söhne zu besuchen, oder?

      Die beiden Piraten am Fockmast traten einen Schritt vor, die Hände an den Messern, die sie in ihren Gürteln stecken hatten.

      Der Kutscher zögerte einen Moment, ging dann aber weiter. Er wollte herausfinden, wie die Piraten sich verhielten, wenn er begann, sich auf dem Schiff umzusehen.

      Er hatte geglaubt, daß die beiden Piraten ihm den Weg verstellen würden, aber sie blieben stehen und ließen ihn passieren.

      In der Kuhl wurde hart gearbeitet. Die Trümmer, die die herabgekrachten Groß- und Großbramstenge verursacht hatten, waren inzwischen beseitigt. Ein paar Männer waren dabei, die gekappten Pardunen zu spleißen. An Steuerbord wurde gerade eine grob zusammengehauene Bramstenge an Bord gefiert.

      Niemand von den Piraten schien den Kutscher zu beachten. Er warf einen kurzen Blick zurück aufs Vordeck. Auch dort waren die Ausbesserungsarbeiten voll im Gange. Eine neue Vorstenge war schon wieder montiert, und fünf Piraten befestigten eine neue Blinderah am Bugspriet.

      Als der Kutscher sich umdrehte und seinen Weg unter das Vordeck fortsetzen wollte, stand er plötzlich im Schatten eines bulligen Mannes.

      Er wurde ein wenig blaß, obwohl er den Kerl nicht zum erstenmal sah. Er war der muskelbepackte Glatzkopf, der ihnen entgegengetreten war, als der Schotte sie an Bord gebracht hatte. Die mit Pockennarben übersäte grünliche Haut im Gesicht und auf der Glatze des Mannes sah zum Fürchten aus.

      Der Muskelprotz hielt eine verkürzte Pike in der rechten Hand und wies zum Vorschiff hinüber. Mit ruckartigen Bewegungen der Pike versuchte er, dem Kutscher zu erklären, daß er zurück an seinen Platz gehen solle.

      Der Kutscher tat, als begriffe er nicht. Er grinste den Piraten an und wollte weitergehen.

      Der Glatzkopf stieß ein paar französische Laute hervor. Sein grünlisches Gesicht färbte sich gelblichrot.

      „Merci beaucoup“, sagte der Kutscher und ging an dem Muskelprotz vorbei.

      Im nächsten Augenblick glaubte er, sein Rückgrat wäre von einer Axt in zwei Teile geschlagen worden. Mit einem dumpfen Schrei ging er zu Boden und fiel auf die Seite. Sein Blick war verschwommen. Wie durch einen Schleier sah er den Glatzkopf mit erhobener Pike über sich stehen und irgend etwas schreien, was er nicht verstand.

      Der Kutscher wollte die Beine anziehen, um sich wieder zu erheben, aber er hatte das Gefühl, als sei er gelähmt. Die Schleier vor seinen Augen verschwanden nur langsam, dafür wurde der Schmerz in seinem Rücken immer schlimmer.

      Der Glatzkopf schien verrückt vor Wut zu sein. Sein pockennarbiges Gesicht war jetzt knallrot angelaufen. Sein rechter Arm bewegte sich, und die Pike sauste auf den Kutscher zu, der die Augen verdrehte und wußte, daß er mit dem Leben abschließen mußte.

      Er hörte durch das Rauschen in seinen Ohren, wie Holz auf Holz schlug. Einen Moment wartete er noch, aber als er keinen weiteren Schmerz spürte, öffnete er die Augen wieder und starrte nach oben.

      Ein zweiter Schatten stand jetzt neben dem Muskelprotz. Der Kutscher erkannte den Riesen vom Quarterdeck, den der Schotte Le Requin genannt hatte. Der Bootsmann hielt einen Belegnagel in der linken Hand, mit dem er offensichtlich die Pike des Glatzkopfes aufgehalten hatte, als diese auf den am Boden liegenden Kutscher hinuntergesaust war.

      Le Requin sagte ein paar scharfe Worte. Der Glatzkopf preßte die dünnen Lippen hart aufeinander und wandte sich ab. Es war ihm anzusehen, daß er vor Wut kochte, aber er wagte offensichtlich nicht, dem Riesen zu widersprechen.

      Auf Befehl des Bootsmannes wurde der Kutscher von zwei Piraten auf die Beine gestellt.

      Der Kutscher stöhnte. Es war ihm, als bohre ein Messer in seinem Rückgrat. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen. Die beiden Piraten führten ihn zum Schanzkleid, damit er sich daran festhalten konnte.

      Er brauchte eine ganze Weile, bis er wieder tief Luft holen konnte, ohne vor Schmerzen umzukippen. Unter halbgesenkten Lidern sah er, wie der Glatzkopf einen anderen Piraten mit seiner Pike mißhandelte, weil er offensichtlich einen Befehl nicht schnell genug befolgt hatte. So ein Scheißkerl war das also. Er ließ seine Wut an Unschuldigen aus.

      „Nimm dich vor ihm in acht“, sagte eine zischende Stimme neben ihm.

      Der Kutscher wandte mühsam den Kopf. Der Riese vom Achterdeck war schon wieder verschwunden. Ein Mann mit einer Augenbinde und einem gestreiften Hemd, der zu seinen Füßen ein Tau aufschoß, hatte zu ihm gesprochen.

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