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Weg. Für mich. Für den Weg nach Zist. Ich habe es ja bereits geschildert: eine Klinik ohne Luxus. Ein ganz stiller Ort. Im Januar 2007. Bitterkalt, mitten im Winter. Wayne brachte mich auf direktem Weg vom Flughafen dorthin. Als ich mein kleines Zimmer bezog, brachen bei mir alle Dämme. Ich weinte hemmungslos. Fünfundvierzig Minuten später rief ich Wayne an, dass er mich wieder abholen müsse. Mir erschien es unmöglich, die Zeit dort zu überstehen. Wayne machte sich auf den Weg. In der Zwischenzeit ging ich an die frische Luft, ich musste atmen – und lernte dort einen der Köche kennen. Er machte gerade eine kleine Pause, und wir führten ein zufälliges Gespräch. Manchmal kommt so etwas gerade zur rechten Zeit. Irgendwie fasste ich neuen Mut – und als Wayne vorfuhr, versicherte ich ihm, er könne nun wirklich ohne mich wieder nach München zurückkehren.

      Ich nahm sie an – die Herausforderung Zist. In aller Abgeschiedenheit. Andere Bewohner und Patienten nahmen mir die Geschichte ab, dass ich Gast in Zist sei, um ein Buch zu schreiben. Das funktionierte offensichtlich. Nicht mal die Boulevardmedien bekamen davon etwas mit. So konnte ich drei Monate lang sehr gründlich über mein Leben nachdenken.

      Mit Erfolg?

      In sehr kleinen Schritten und natürlich mit Hilfe von Medikamenten. Ich habe nicht sofort eine Besserung gespürt. Meine Gedanken drehten sich zunächst völlig im Kreis. Ich bekam sie einfach nicht geordnet. Nur die Gedanken an einen Suizid, die bildeten sich in dieser Phase klar heraus. Ich bin sicher, sie wären wahr geworden, wenn ich mein Leben nicht in den Griff bekommen hätte. Niemand würde bei mir auf derartige Gedanken kommen – dachte ich. Einem Top-Psychologen wie Marc konnte ich jedoch kein Theater vorspielen. Er durchschaute mich. Er konnte mich lesen – so wie ein guter Fußballtrainer die Taktik des Gegners liest und exakt analysiert.

      Zweimal wöchentlich fuhr ich nach München, um dort Gespräche mit Marc zu führen. Im Zentrum selbst besuchte mich regelmäßig eine sehr freundliche Psychologin. Wir sprachen miteinander – über mein Leben, meine Probleme, meine Karriere, meine Kinder, Donnice und Claudia. In den Anfangswochen war meine Verzweiflung derart groß, dass ich fast bei jedem Gespräch sehr heftig weinen musste. Irgendwie waren diese Tränen aber auch befreiend. Und ganz allmählich spürte ich, dass mein Kopf klarer wurde. Meine Gedanken fanden wieder eine wohltuende Ordnung. Der Nebel in meinem Gehirn lichtete sich. Nach langen Wochen der Leere, Unsicherheit und Verzweiflung empfand ich wieder etwas Stabilität. Ich fühlte mich nun derart stark, dass ich bereit war, wieder auf Tour zu gehen. Willkommen zurück im Leben! So dachte ich zumindest, aber so weit war ich noch nicht.

      Das heißt, dass du Zist verlassen hast, aber damit nicht komplett wieder gesund warst?

      So ist es. Ich war nach den drei Monaten dort sicher ein ganz anderer Mensch als im Januar 2007. Die Medikamente und begleitenden Gespräche gaben mir ein solides und stabiles Gefühl. Meine Gedanken waren absolut positiv, ohne dass ich deswegen ab sofort ein komplett fröhlicher Mensch gewesen wäre. Die Depression war schon noch da. Ja, sie war immer noch eine Begleiterin, die ich aber weitgehend auf Distanz halten konnte. Bei meiner Ankündigung in der Talkshow von Johannes B. Kerner, wieder zurück auf die Bühne gehen zu wollen, war die Euphorie unglaublich. „Ich will wieder“ – diese drei Worte fühlten sich sehr gut an.

      Man könnte meinen, dass solche tollen Momente doch sofort eine Depression komplett wegpusten müssten. Ich habe dann diese Tournee sehr genossen. Meine engsten Vertrauten konnten aber an meinen Augen und Blicken ablesen, dass ich noch nicht der Alte war. Aber, Stefan, du wirst überrascht sein, wenn ich später erzähle, wann ich mich zum ersten Mal wieder richtig gesund fühlte.

      Da bin ich gespannt …

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      Ach, jetzt kommen wir zu einem Thema, zu dem ich schon lange etwas sagen wollte. Wie oft wurde ich gerade in der letzten Zeit zum Schlager befragt, ebenso nach meinen Einschätzungen zur Zukunft des Schlagers? Ich werde hier jetzt kein Plädoyer pro oder contra Schlager schreiben. Was ist denn Schlager heute überhaupt? Und was noch viel drängender ist: Was ist das Problem mit dem Schlager? Egal, was heute am Markt erfolgreich ist, es braucht immer eine sofortige Zuordnung. Damit es schön kompliziert wird, überschlägt sich die Musikbranche mittlerweile mit einer Flut neuer Bezeichnungen. Man nennt das innovativ.

      Für mich ist das ein Zeichen der Unsicherheit. Da hatte ich es früher einfacher: Es gab nur Schlager. Und das übrigens als Begriff national sowie international. Denn was war ein Schlager – sogar wörtlich übersetzt – anderes als ein Hit, ein Erfolg? Komischerweise liest man den Begriff Kassenschlager heute noch oft im Bereich Kino, und sogar beim Fußball spricht man von Schlagerspielen. In der Musik blendet man das aus. Liegt das an dem mangelnden Selbstbewusstsein, das in der Branche inzwischen vorzuherrschen scheint? An dem fehlenden Mut, einfach mal zu machen und loszulegen, auch auf die Gefahr hin, dass es einen Flop geben könnte?

      Oder liegt es daran, dass zu viele anspruchslose und einfallslose Kompositionen produziert und als Schlager auf den Markt gebracht werden, um schnelles Geld zu machen? Vielleicht verlor der Schlager so sein Herz. Ist das der Grund, weshalb sich viele Künstler davon distanzieren wollen?

      Junge Künstler können heutzutage immer schwerer ausbrechen. Wenn man sie nicht gleich einordnen kann, werden sie nicht weiter unterstützt. Wenn sie nicht unterstützt werden, hört sie keiner. Einige passen sich an, andere bleiben authentisch und versuchen es mit einem eigenen Weg und eigenen Produktionen.

      Ich hatte eine tolle Zeit – und zudem die Möglichkeit, meine Karriere über einen längeren Zeitraum aufzubauen. Mit allen Höhen und Tiefen. Ich hatte selbst genügend Mut, habe Dinge ausprobiert und wurde hervorragend von meinen Partnern unterstützt. Wir hatten alle ein Ziel: den großen Hit zu landen. In der Schlagerbranche hatten wir alle das gleiche Rezept in der Tasche und konnten dennoch alle davon leben. Von daher bin ich sehr dankbar, dass ich diese Zeit erleben durfte. Aber umso wichtiger ist es, dass man nicht stehen bleibt und Impulse für sich zu nutzen versteht, daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Musikalisch und inhaltlich. Und dass man damit sein Publikum nicht nur vergrößert, sondern auch verändert und immer überrascht. Das ist meiner Meinung nach für die Karriere eines Künstlers absolut lebenswichtig.

      Howard, wenn ich das so lese, dann frage ich mich: Was bist du denn nun – Schlagersänger, Popsänger oder Entertainer?

      Diese Frage ist ganz leicht zu beantworten: Ich lese immer wieder über mich, dass ich ein Entertainer sei. Das trifft es am besten. Ich bin aus tiefer Überzeugung und mit voller Leidenschaft ein Entertainer. Ich will mein Publikum auf eine Reise mitnehmen. Auf eine Reise der Emotionen, die wir gemeinsam erleben möchten. Das klappt nur, wenn man eine Verbindung zu den Leuten aufbaut und offen füreinander ist. Es geht nicht darum, eine kurze Begeisterung zu erzeugen und emotionslos abzufeiern. Gute Konzerte sind etwas anderes. Es versetzt mich immer wieder ins Staunen, wie viel Kraft entstehen kann, wenn Menschen wirklich miteinander verbunden sind. Das Publikum gibt mir diese Kraft – und ich tue alles, um sie zurückzugeben.

      Wie und wann entwickelte sich bei dir der Wunsch, diesen ganz besonderen Weg zu gehen?

      Ich war elf oder zwölf Jahre alt und sah – Elvis. Das klingt jetzt vielleicht banal, aber ich sage nur: Wer diese Zeit nicht erlebt hat, kann sich das nicht vorstellen. In der damaligen Zeit gab es zwar viel gute, aber auch ziemlich triste Musik – Frank Sinatra, Nat King Cole, Dean Martin. Diese Sänger waren alle hervorragend, haben aber dennoch nicht die Welt verändert. Und dann kam dieser Typ namens Elvis. Das war schon einmal ein Name, den es vorher nie gegeben hatte. Er hatte ein Gesicht, das man zuvor nie gesehen hatte. Sein Aussehen war einmalig, aber wirklich einmalig. Seine Bewegungen, sein Lächeln, diese ganz besonderen Augen – das war faszinierend. Er sang auch anders, als ich es je zuvor gehört hatte. Ich habe ihn gesehen und ich wusste, was ich mit meinem Leben machen wollte.

      Und wie ging es weiter?

      Ich gründete eine Band, und wir sind überall in der Gegend von Durban aufgetreten. Mädchen, Partys, Rock’n’Roll, manchmal einen Joint dazu. Na ja, diese Geschichten

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