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Nach diesem letzten Konzert wuchs zunächst täglich das gute Gefühl, dass der Entschluss richtig gewesen war. Der richtige Moment? Ich dachte, den richtigen Moment erwischt zu haben.

      Und dann wurde die Sehnsucht nach der großen Bühne und nach Anerkennung immer größer und quälender?

      Stefan, bevor ich jetzt mit dir ins Detail gehe, lass dir versichert sein: Geld war nie meine Motivation. Es ging um viel mehr.

      Dann bin ich ja beruhigt. Wenn jetzt Geld der Grund für das Comeback und alles andere gewesen wäre, dann hätte mich das auch sehr enttäuscht, weil ich dich inzwischen kenne.

      Also starten wir. Mein größter Wunsch war es, erst mal wieder als Mensch zu leben – ohne diese ständige Beobachtung durch die Öffentlichkeit. Ich wohnte am schönsten Flecken Floridas. Alles war perfekt. Es fühlte sich an wie im Paradies. Die ersten drei Jahre waren herrlich. Ich konnte alles machen, was ich mir bis dahin zu wenig gegönnt hatte. Ein Zustand, den ich seit meinem elften Lebensjahr nicht mehr kannte. Mein Vater legte als angesehener Politiker sehr viel Wert auf ein tadelloses Ansehen der Familie Carpendale und übertrug dies natürlich auch auf seine Kinder. Schon als Jugendlicher achtete ich bei allem, was ich tat, nicht nur auf mich, sondern auch auf die Wirkung in der Öffentlichkeit.

      Was geschah dann, nach diesen drei Jahren?

      Die Depression entwickelte sich schleichend – es gab auslösende und verstärkende Situationen, über deren Wirkung ich mir erst im Nachhinein wirklich bewusst wurde. Wie ich schon sagte, ich lebte in Admirals Cove in purem Luxus. Doch ich spürte immer mehr, dass irgendwas fehlte. Alle Gespräche auf dem Golfplatz wiederholten sich. Jeder lebte von der Vergangenheit. Auch ich erzählte viel zu viel von damals. Ich spürte Stillstand. Es gab keine Spannung mehr. Visionen? Fehlanzeige. Große Momente kann man sich auch mit viel Geld nicht kaufen.

      Ich fing verzweifelt an, woanders nach Freunden zu suchen – und lernte tatsächlich einen Mann kennen, der nicht nur vorgab, als Berater meine Investitionen organisieren zu können, sondern sich im Laufe der Zeit auch zu einem engen Freund entwickelte. So war zumindest mein Gefühl. Ich hatte anfangs überhaupt keinen Grund, an seiner Loyalität, an seiner Freundschaft und an seinem Fachwissen zu zweifeln. Er empfahl mir Investments, die ich fast blind umsetzte oder ihn direkt umsetzen ließ.

      Und dann kam der große Knall, dass er dich komplett über den Tisch gezogen hatte?

      So ist es, ja. Er hat mir Dinge empfohlen, die nicht gut gelaufen sind, für die er aber regelmäßig seine Provisionen kassierte. Investitionen in angeblich lukrative Immobilien, darunter zum Beispiel auch ein Restaurant und eine Tank- und Rastanlage. Nichts von dem, was er versprochen hatte, ging auf. Als der ganze Schwindel aufflog, war er schon über alle Berge. Ich setzte alles daran, ihn zu finden, aber ich kam einfach nicht mehr an ihn heran.

      Jetzt könnte manch einer zu Recht meinen, dass ich ziemlich naiv gehandelt hätte. Ja, in diesem Fall habe ich das wohl. Weißt du, Stefan, ich habe darüber natürlich viel nachgedacht. Mein Fehler war, dass ich jemandem komplett vertraute, dass ich glauben wollte, er sei mein Freund, mein Buddy – und zu spät kapiert habe, dass meine Hoffnung falsch war, mit ihm jemanden an meiner Seite zu haben, der es mit unserer Freundschaft ernst meinte.

      Gab es für dich denn keine Möglichkeiten, ihn zur Verantwortung zu ziehen? Über einen Anwalt?

      Natürlich habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Aber es war alles sehr kompliziert und nicht mehr zu durchschauen.

      Um welche Summe ging es denn überhaupt?

      Es ging um eine siebenstellige Summe. Das ist viel Geld. Womit wir auch wieder bei dem Punkt sind, dass manch einer nun behaupten könnte, ich sei ja nur wegen finanzieller Sorgen auf die Bühne zurückgekehrt.

      Na ja, ganz abwegig finde ich solche Behauptungen nicht.

      Okay, das kann ich auch verstehen. Deswegen muss ich erklären, was diese Geschichte in mir angerichtet hat. Wegen des Geldes hätte ich nicht auf die Bühne zurückkehren müssen. Wirtschaftlich stand ich sehr gut da. Weißt du, es war die Enttäuschung, die große Enttäuschung über einen Mann, den ich zu meinen besten Freunden in Amerika zählte. Der Gedanke daran, dass ich dieses Problem nicht innerhalb kurzer Zeit aus der Welt schaffen konnte, hat mich innerlich zerrissen. Ich hasse Probleme, die sich über Jahre hinziehen.

      In den folgenden Monaten habe ich mich für nichts mehr interessiert. In meinem Kopf herrschte totale Leere. Selbst mein Appetit auf die schönen Dinge war weg. Wenn es etwas Positives gab, dann allenfalls die Tatsache, dass ich innerhalb eines halben Jahres mein ständiges Gewichtsproblem in den Griff bekam: Ich war zehn Kilo leichter. Ein schwacher Trost. Ich lebte nur noch in den Tag hinein. Eigentlich saß ich nur rum und starrte Löcher in die Luft. Keine Pläne. Keine Ziele. Ich hatte nicht mal mehr Lust auf Golf. Wer mich kennt, kann erahnen, was das heißt. Damals riefen mich meine Golfzockerfreunde an und fragten, was los sei. Ich vertröstete sie immer mit irgendwelchen Ausreden. Irgendwann fielen mir aber keine mehr ein.

      Von einem Arzt wolltest du dir zu diesem Zeitpunkt noch nicht helfen lassen?

      Nein, zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war der Meinung, dass ich das alles schon irgendwie selbst meistern könne. Irgendwie. Ein Howard Carpendale macht das schon. Was für ein Trugschluss. Ich war schon längst mitten in meiner tiefen Depression angekommen. Dass meine Frau Donnice in dieser Phase auch schwer mit ihrer Suchtkrankheit zu kämpfen hatte, machte die ganze Situation nicht gerade einfacher. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich nach Deutschland telefonierte, um mit meiner Exfrau Claudia und unserem Sohn Wayne über meine ganzen Probleme zu sprechen. Dann kam dieses Weihnachten 2006. Wayne stand vor meiner Tür in Amerika, um mich abzuholen.

      Das hört sich jetzt an wie der Anfang eines Weihnachtsmärchens.

      Soll es ruhig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie stolz ich auf meine Jungs war, bin und immer sein werde. Das Weihnachtsfest 2006 schien eine sehr einsame Angelegenheit zu werden. Donnice war in der Klinik, und unser gemeinsamer Sohn Cass und ich saßen alleine zu Hause. Wir waren nicht gerade in Weihnachtsstimmung. Am Tag vor Heiligabend klingelte es plötzlich an der Tür. Ich öffnete und sah Wayne vor mir.

      Wenn ich das heute erzähle, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mein Sohn hatte im fernen Deutschland den Entschluss gefasst, zu mir zu fliegen, weil er spürte, dass bei seinem Vater der Punkt erreicht war, an dem er seine Probleme nicht mehr selber meistern konnte. Wayne war zu der Zeit mit Yvonne Catterfeld liiert. Sie musste damals das Weihnachtsfest in Deutschland ohne Wayne verbringen, weil der eine Mission bei seinem Vater zu erfüllen hatte. Na ja, wir haben das Beste aus den Feiertagen gemacht – wie drei Männer eben versuchen, ein kleines Fest zu feiern. Wir redeten und redeten. Für Wayne war klar, dass ich dringend professionelle Hilfe brauchte. „Ich fliege nicht ohne dich nach Deutschland zurück“, gab er mir deutlich zu verstehen. Eine klare Ansage von einem sehr entschlossenen Sohn.

      Und Cass?

      Genau diese Frage schoss mir damals auch durch den Kopf. Was sollte mit Cass passieren? Der Junge war gerade mal achtzehn Jahre alt, er ging noch zur Schule, sein Leben war bis dahin sehr behütet verlaufen. „Wir müssen eine Wohnung für Cass finden, und das muss schnell gehen“, erklärte Wayne noch immer sehr entschlossen. Er war überzeugt, dass dieser Weg einem Achtzehnjährigen durchaus zuzutrauen sei. Fünf Tage später fand Wayne tatsächlich eine Wohnung für Cass. Jetzt war Wayne der Chef im Ring. Er führte die nötigen Gespräche von Bruder zu Bruder.

      Mir tat Cass unglaublich leid, aber der Junge schlug sich mehr als tapfer: „Es ist nicht so schlecht, das wird schon klappen“, meinte er zu mir. Dieser Satz konnte mein Gewissen nur bedingt beruhigen. Mir blieb aber auch keine andere Wahl. Ich wusste, dass Waynes Entscheidung richtig war. Anfang Januar 2007 flogen wir gemeinsam nach Deutschland. Detlev, mein langjähriger Assistent, reiste nach Amerika, um Cass bei der Einrichtung seiner Wohnung zu helfen. Eine weitere kleine Gewissensberuhigung für mich. Wesentlich ruhiger wurde ich allerdings erst, als ich einige Zeit später erfuhr, dass Cass bei den Eltern seiner Schulfreundin einziehen durfte. Ein unendliches Glück, dass diese Familie Cass zur Seite stand.

      In Deutschland begann deine Therapie?

      Ja.

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