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wohlfühlen“, hielt mir Howard Carpendale entgegen. Ein Mann, ein Satz – Respekt! Er suchte nicht nur die passenden Orte für sich aus, sondern checkte auch höchstpersönlich die Unterkunft, in der ich während unserer gemeinsamen Arbeit mein Journalistenleben führte.

      Wir haben diskutiert. Wir haben gelacht. Wir haben gestritten. Wir haben uns auch gegenseitig beleidigt – so, wie es unter Freunden eben üblich ist. Ach ja, und damit niemand irritiert ist, wenn wir uns auf den folgenden Seiten duzen: Das „Du“ ist für Howard Carpendale selbstverständlich, „weil man in einem Team ,du‘ zueinander sagt“.

      Das Ergebnis dieser speziellen Spurensuche haben wir in diesem Buch festgehalten. Es enthält die intensiven, nachdenklichen, rührenden und fesselnden Erinnerungen und Gedanken des Künstlers, Menschen und Zeitzeugen Howard Carpendale, mit denen die Kapitel eröffnet werden. Danach folgen jeweils ebenso intensive Gespräche – als Generationendiskurs, Gedankenaustausch und manchmal auch als Streitgespräch zwischen zwei Männern.

      Stefan Alberti

      Stefan Alberti, Redakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung, beschäftigt sich seit vielen Jahren tiefgründig und unterhaltend mit den Künstlern der Showbranche und Musikwelt. Über seine journalistische Arbeit entwickelte sich auch ein intensiver Kontakt zu Howard Carpendale. Nach zahlreichen Gesprächen und Diskussionen entwickelten beide die Idee und das Konzept für dieses Buch.

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      „Howard, ich mache mir Sorgen um dich. Du bist sehr gefährdet.“

      „Wie kommst du darauf?“

      „Weil ich Tausende von Patienten in meinem Leben behandelt habe und glaube, dass ich genau einschätzen kann, was in deinem Kopf vor sich geht: Du denkst an Selbstmord. Und leider bist du der Typ, der es auch macht, wenn du damit im Reinen bist.“

      „Verdammt noch mal“, dachte ich. In seiner Gegenwart hatte ich das Wort nie in den Mund genommen. Dabei hatte ich schon einen ganz genauen Plan, was das Wie und Wo betraf. Nur das Wann war noch nicht klar. „Hör mal“, hörte ich ihn sagen, „fahr heute Abend nicht zurück nach Zist. Komm mit mir nach Hause und bleib über Nacht. Morgen ist Samstag. Meine Frau macht uns Frühstück. Und dann reden wir weiter.“ Ich ging mit.

      Es war angenehm bei Marc. Seine Frau war mir gegenüber sehr warm und herzlich, und für ein paar Stunden wurde ich durch unser Gespräch abgelenkt. Aber als ich ins Bett ging, war sie wieder da – diese Stimme in meinem Kopf, die mir immer wieder sagte, dass mein Leben keinen Sinn mehr habe. Die mir immer wieder einhämmern wollte, dass mein glückliches Leben vorbei sei. Auch meine Familie wusste nicht mehr weiter. Wie oft hatten sie mit mir geredet? Claudia und Wayne in Deutschland, Donnice und Cass in Amerika. Hier hielt die Familie wieder ganz besonders zusammen. Jeder auf seine spezielle Art. Und ich hatte auch alles gehört und verstanden. Aber dieses Loch war sehr tief, und ich kam nicht heraus. Es war unglaublich. Sobald ich im Bett lag, übernahm die Stimme wieder das Kommando. Das Einzige, worauf ich mich freute, war das Einschlafen und – das ist mein voller Ernst – auf das Umdrehen. Denn in den zehn Sekunden, in denen ich mich drehte und meine Kissen zurechtlegte, da war die Stimme still.

      Am nächsten Morgen nach dem gemeinsamen Frühstück sagte Marc: „Komm, wir gehen mal spazieren.“ Nun, spazieren gehen war nie mein Ding. Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich jemals spazieren gegangen bin. Jogging – ja. Auf dem Golfplatz hinter dem Ball herlaufen – ja. Nur so, ohne Ziel? Aber hier war ein Arzt, der weltweit anerkannt war als eine große Kapazität. Und er wollte mir etwas sagen. Es dauerte mehrere Stunden. Wir liefen durch Wälder, irgendwo in Südbayern. Und er redete über viele Dinge. Über bekannte Psychopathen, Charakterstrukturen, das Entstehen von psychischen Problemen und das Leiden der Seele. Er sprach dabei klar und ruhig. Einige Sätze schlugen ein wie der Blitz. Verdammt noch mal, es traf mich wie ein Schlag in die Magengrube. Manchmal machten wir Pause, saßen auf Bänken im Wald und redeten gar nicht. Aber irgendwann sagte er: „Howard, du musst wieder auf die Bühne. Das ist dein Sauerstoff, und es ist deine Heimat. Du warst nicht fertig, als du aufgehört hast. Wenn du nicht da oben stehst, wirst du nicht mehr lange leben.“

      Abends fuhr ich zurück nach Zist – und zum ersten Mal seit Jahren war ich wieder in der Lage, im Auto Musik zu hören. Meine Musik. Ich legte das Album „Danke … Ti amo“ ein.

      Zist? Ich weiß, das muss ich erklären: Wenn man die A95 von München in Richtung Garmisch fährt, dann kommt irgendwann die Ausfahrt Penzberg. Wie oft bin ich schon an dieser Ausfahrt vorbeigefahren? Meistens völlig in Gedanken versunken. Okay, man verlässt also in Penzberg die Autobahn, fährt drei bis vier Kilometer durch ein Waldgebiet – und irgendwann tauchen einige kleine Holzhütten auf. Keine große Klinik, kein Luxus. Zist steht für „Zentrum zur Entwicklung menschlicher Kompetenz durch Selbsterfahrung“. Ab Januar 2007 war Zist für einige Monate der Mittelpunkt meines Lebens. Es gab nichts, was mich an mein früheres Leben erinnerte. Unerwartet. Plötzlich. Befremdlich.

      Howard, so, wie du dieses Zentrum schilderst, hattest du dort offensichtlich nicht nur mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, sondern auch mit einem Kulturschock.

      Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl ich in der Anfangszeit verspürte, wenn ich zwischendurch mal mit einem Mietwagen nach Penzberg fahren konnte, um mir in einer Bäckerei ein Stück Kuchen zu holen. Der Wechsel von der sechshundert Quadratmeter großen Luxusvilla in Amerika in ein etwa acht Quadratmeter großes Zimmer auf dem Zist-Areal – das war tatsächlich ein großer Kulturschock. Mir war das scheißegal.

      Ein Mann wie ein Baum, der gegen eine Depression kämpfen muss. Passt eigentlich nicht zu einem Howard Carpendale, oder?

      Das hatte ich vorher auch gedacht. Ich war immer ein Typ, der andere Menschen geführt hat. In den Mannschaften beim Sport war ich immer der Kapitän. Ich hätte nie geglaubt, dass mich mein Leben jemals in diese Krankheit führen würde. Zum ersten Mal lernte ich das Wort Depression kennen. Erst wenn es dich trifft, kannst du spüren, dass es eine Krankheit ist. Und man ist ziemlich machtlos dagegen.

      Kannst du mir diese Machtlosigkeit näher beschreiben?

      Eine Depression hat verschiedene Stufen. In der Klinik habe ich einige Menschen kennengelernt. Menschen, die mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen ihrer Depression zu kämpfen hatten. Ich war auf der höchsten Stufe angekommen. Ich wollte mir das Leben nehmen – und wusste genau wie: Ich würde mit einem Auto einen steilen Hang herabstürzen. Der Druck, es endlich tun zu müssen, wurde immer größer, der Ausweg schien immer unwahrscheinlicher. Es gibt eine Stelle, die sich für diesen Plan geeignet hätte. Ein Wahnsinn! Es war mir alles, aber wirklich alles scheißegal.

      Jetzt bin ich überrascht. Keiner hätte wohl gedacht, dass deine Depression so stark gewesen ist.

      Ich denke, dass ich wirklich gut beurteilen kann, wohin eine Depression jemanden führen kann. Meine Erfahrungen liegen jetzt schon einige Jahre zurück. Und wenn ich mich heute umschaue und die Medien verfolge, habe ich das Gefühl, dass die Depression fast eine Volkskrankheit ist. Nicht ohne Grund ist sie in etlichen Zeitungen und Zeitschriften immer wieder ein großes Thema. Eines möchte ich noch einmal deutlich machen: Eine Depression kann einen Menschen komplett aus der Bahn werfen. Ich kann allen Betroffenen nur wünschen, dass sie mit professioneller und effektiver Hilfe da wieder rauskommen. Leider ist es aber auch so, dass nicht jeder in unserer Gesellschaft beim Kampf gegen diese Krankheit auf dieselben Angebote zurückgreifen kann.

      Wie kann ein erfolgreicher Künstler, der eigentlich alles erreicht hat, in solch einen Teufelskreis geraten?

      Bei meinem Abschied von der Bühne hatte ich in der Tat das Gefühl, alles erreicht zu haben. Die Abschiedstour war gigantisch, ausverkaufte Konzerte in den großen Arenen – und dann das letzte Konzert am 13. Dezember 2003 in Köln. An diesem Tag allein

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