Скачать книгу

Möbel in der Bibliothek, wo Zigarre geraucht und Backgammon gespielt wurde, waren mit Leder bezogen und an den Wänden hingen riesige Ölgemälde, die detailreiche Fuchsjagdszenen oder aufgereihte, tote Gänse unter den wachsamen Augen eines geschickten Jagdhundes zeigten. Frauen war die Mitgliedschaft untersagt.

      Nun, meine Mutter marschierte geradewegs zum Klub, betrat mitsamt dem kaputten Stuhl, der mit roter Spitzenunterwäsche umwickelt war, die Lobby, beschriftete ihn schlicht mit „Mr. Frank Shields“ und platzierte ihn in der Mitte des Eingangsbereichs. Ich bin mir sicher, dass die Angestellten nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Was sollte das denn sein? Vermutlich hielten sie es für eine Art künstlerischer Installation, die einem der Mitglieder gehörte. Es waren ja immerhin die Sixties. Paketlieferungen konnten nur wochentags abgeholt werden, weshalb – so erzählte meine Mutter die Geschichte – dieses Symbol öffentlicher Erniedrigung das ganze Wochenende in der Lobby, wo es jeder sehen konnte, stehenblieb. Dads Demütigung konnte von so manchem verehrten Klubkollegen bestaunt werden, seine Schande war offenkundig.

      Mom wollte zwar weiterhin von der High Society akzeptiert werden, doch liebte sie es ebenso, gesellschaftliche Moralvorstellungen und sexistische Regeln in Frage zu stellen. Das war sie also, Dads eigene Variante des Pelzmantel-Vorfalls. Eigentlich hätten da bereits alle Alarmglocken bei ihm läuten müssen.

      Rückblickend denke ich mir, dass dieses Vorkommnis wohl nur eine von vielen haarsträubenden Episoden war. Allerdings reichte sie nicht aus, um sie auseinanderzubringen – noch nicht jedenfalls. Ich gehe davon aus, dass sie etwas an sich hatte, dem er einfach nicht widerstehen konnte. Sie verfügte meiner Meinung nach über eine Art von Macht über ihn, die jener glich, die schon seine Mutter über ihn gehabt hatte. Zweifellos war meine Mutter wie niemand sonst in seinem Leben. Da er aber wegen seiner Arbeit oft verreiste, konnte er auch mal abschalten. So flog er etwa wieder einmal nach Europa, von wo aus er begann, meiner Mutter Briefe zu schreiben – in sehr kleiner, ordentlicher Handschrift, üblicherweise auf Hotelbriefpapier. Was sich in den nächsten paar Monaten abspielte, ist durch diese Briefe gut dokumentiert. Dad brachte darin seine Verwirrung und seine Traurigkeit angesichts der Tatsache zum Ausdruck, dass sein Vater Mom und das Baby noch nicht besucht hatte. Seine Familie war keine, die oft zusammentraf. In seinen Briefen wirkte Dad gekränkt, dass sein Vater nicht auf mich und Mom zukam. Mein Vater machte sich außerdem Sorgen darüber, dass Mom nicht mehr Unterstützung bekam. Er brachte oft seine Bedenken zum Ausdruck, dass sie oft genug vor die Türe kam und jemanden um Hilfe bitten sollte, damit sie doch ein wenig Zeit mit sich selbst verbringen könnte.

      Er versprach außerdem, Mom mehr Geld zu geben, sobald er mehr verdiente, sowie irgendwann eine richtige Hochzeit in einer Kirche. Manchmal schrieb er davon, Geld zu überweisen, beziehungsweise dass er gerne mehr schicken würde, aber die italienischen Banken in dieser Hinsicht alles andere als hilfreich seien. Ich bin ganz gerührt von der Zärtlichkeit, die Dad „der kleinen Brookie“ entgegenbrachte, und wie traurig er darüber war, fort zu sein. Es schien ihm ziemlich ernst damit gewesen zu sein, alles auf die Reihe bringen zu wollen.

      In einem seiner sensibleren schriftlichen Momente betonte er, wie sehr er sich darüber gefreut habe, von Mom und mir eine Valentinstags-Karte zu bekommen. Er sagte, es hätte ihm den Tag gerettet und es täte ihm leid, dass er den Lieblingsfeiertag meiner Mom nicht mit seinen „Mädels“ verbringen konnte. Es bricht einem das Herz, wenn man diese Verletzlichkeit aus seinen Briefen herausliest, nur um zu erfahren, dass er schon bald einen schweren Schlag würde hinnehmen müssen.

      Stellt euch mein eigenes Entsetzen vor, als ich Dads nächsten Brief, abgestempelt am 16. Februar 1966, durchlas:

      „Mumsy, nachdem ich so ein wunderbares Valentinstags-Telegramm bekommen habe, war das Telegramm von heute Morgen ein echter Schock und plötzlich kann ich gar nicht mehr klar denken. Ich spüre den Verlust, ein Gefühl der Leere, der Antriebslosigkeit. Ich weiß nicht, was ich tun soll, und fühle mich als Ganzes sehr schlecht in mir drinnen. Bis heute Morgen habe ich mich noch nie mit den Auswirkungen einer Scheidung auseinandergesetzt, denen ich selbst, meine Frau und mein Baby ausgesetzt sind. Ich versuche mir weiszumachen, dass es sich bloß um ein Dokument handelt und es sich nicht auf einen Gefühlszustand bezieht, der ja weder rückgängig gemacht noch aufgelöst werden kann. Ich wollte noch einmal von vorne beginnen, aber ich sah keine Notwendigkeit, rechtlich mehr als eine Trennung anzustreben … ­Ich möchte mit euch beiden eine glückliche Familie sein und werde meine Denkweise auch nicht ändern. Für mich bist du während meiner Abwesenheit von New York meine Ehefrau geblieben und ich hoffe bei Gott, dass ich mich in deinen Augen rehabilitieren kann, damit wir wieder zusammenkommen … Ich versuche die Gedanken an diesen Trip nach Mexiko aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich weiß einfach nicht weiter …“

      Er war ganz offensichtlich verwirrt und wusste nicht, wie er weiterschreiben sollte. Er liebte meine Mom und sie hatten ein gemeinsames Kind, weshalb er gedacht haben mag, dass eine Trennung womöglich helfen würde. Doch schien er sich selbst etwas vorzumachen. Meine Mom wollte nicht länger auf das in ihren Augen Unausweichliche warten. Sie befürchtete, dass sie beide es nicht schaffen würden. Obwohl sie überzeugt war, dass mein Vater versuchte, das Richtige zu tun, dachte sie, dass sie auf lange Sicht so nicht glücklich werden würde.

      Ich besitze keine Briefe meiner Mom an meinen Dad aus jener Zeit, aber ich habe ein paar der Tagebücher gefunden, in denen sie darüber schrieb, wie sehr mein Vater sich für sie geschämt hätte: „Ich bin ihm finanziell und vor allem gesellschaftlich ein Klotz am Bein“, stand da etwa. „Er schämt sich, sich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen, da er fürchtet, ich könnte etwas sagen, das ihn in Verlegenheit bringt.“ In einem anderen Eintrag schrieb sie: „Ich bin zu eigensinnig und benehme mich in der Öffentlichkeit nicht angemessen. Ich bin eine billige Erscheinung. ‚Geschmacklos‘ ist das Wort, das er verwendet hat.“

      Sie erzählte mir, dass sie ihn genervt hätte, vor allem ihre Art zu sprechen. Sie hatte das Gefühl, mein Vater würde sich ihrer schämen. Mom schrieb, dass sie gerne eine andere Person, die aus einem anderen Milieu stammte, gewesen wäre. Ich glaube, sie fürchtete sich, dass Dad sie letzten Endes verstoßen würde – und diesen Schmerz wollte sie sich ersparen.

      Sie wusste in der Tiefe ihres Herzens, dass mein Vater uns liebte, jedoch wollte er ein anderes Leben führen. Vielleicht tat sie dies alles letztlich für ihn, um ihm seine Freiheit zu schenken. Ich kann nicht sagen, was tatsächlich die Wahrheit war oder worin die Unsicherheiten meiner Mom bestanden, aber aus irgendeinem Grund traf sie diese präventive Entscheidung. Wahrscheinlich hatte meine Mutter gehört, wie mein Vater das Wort „Trennung“ ausgesprochen hatte, und sich zu einem raschen Entschluss durchgerungen.

      Sie flog nach Mexiko, wo man sich sehr leicht ohne direkte Einverständnis des Partners scheiden lassen konnte. Mom ließ mich inzwischen bei Lila und reichte die Scheidung ganz allein ein. Als Dad wieder aus Europa zurückkehrte, hatte meine Mom sich bereits als alleinerziehende Mutter eintragen lassen.

      Was so schockierend und traurig an der Sache ist, ist der Umstand, wie fassungslos Dad angesichts der Erklärung meiner Mutter war. Ich glaube, er war noch nicht so weit, von meiner Mom befreit zu sein, aber ich frage mich, ob er sich nicht insgeheim ein bisschen erleichtert fühlte.

      Moms Handlungen waren oft impulsiv und selbstzerstörerisch. Sie sah sich selbst als Einzelgängerin und obwohl sie sich nach Liebe und Beziehung sehnte, hatte sie Angst, dass sie dafür nicht würdig genug wäre, weshalb sie oft die Reißleine zog, bevor sie sich die Finger verbrannt hätte. Nun hatte sie jedoch dieses kleine Baby, das nicht weg konnte und völlig auf sie angewiesen war.

      Meine Mutter erklärte meinem Vater, dass sie weder Alimente noch irgendeine andere Form des Kinderunterhalts von ihm wollte. Sie sagte, sie würde schon irgendwie auf uns beide aufpassen. Doch sie bestand darauf, dass er mir Schulbesuch und College ermöglichen müsse.

      Ich bezweifle, dass Dad noch einmal das Thema Ehe anschnitt, aber sie nahmen sich definitiv ausreichend Zeit, um sich voneinander zu lösen. Wegen mir fanden sie einen Weg, weiterhin viel Zeit miteinander zu verbringen. Er half aus, wenn es ihm möglich war. Sie verbrachten ein paar Jahre lang manche Feiertage gemeinsam. Ich habe tatsächlich viele Fotos von uns zusammen, auf denen ich noch ein kleines Kind bin. Es war so, als ob mein Vater ohne den Druck der Ehe

Скачать книгу