Скачать книгу

weder überrascht noch wütend über den Vorfall, nur trotzig wie immer. Mom wusste, dass sie das Baby wollte, und basta. Es ist schon witzig – dieses Tischchen, das sie kaufte, wurde zu meiner liebsten Stehhilfe, als ich ein wenig größer wurde. Ich weiß noch, dass ich gerne darauf herumknabberte und es liebte, die Seiten rauf und runter zu klappen.

      Ich fand erst unlängst heraus, dass Mom, nachdem sie sich den Couchtisch gekauft hatte, plötzlich beschlossen hatte, die Unnahbare zu spielen. Mom sagte Dad, dass sie nichts von ihm wolle und sich nur wünsche, das Baby zu bekommen. Sie weigerte sich, ihn zu treffen oder auch nur mit ihm zu sprechen. Mom wollte, dass Dad begriff, dass er ohne sie nicht leben könne. Mein Vater, verzweifelt wegen der Schwangerschaft und um seine Zukunft bangend, ging am selben Tag, als er von der Schwangerschaft erfuhr, zum ersten und letzten Mal in seinem Leben zur Messe und empfing die Kommunion. Ihm tat sein Herz weh. Er war anscheinend so sehr in meine Mutter verliebt, dass er ihr massenhaft Blumen kaufte und sogar meiner späteren Patentante Lila etliche Kakteen schickte, da sie aus Arizona stammte. So sehr er auch in meine Mom verliebt war, war er dennoch nicht bereit, zu heiraten oder Vater zu werden. Er wusste, dass Mom nichts abbrechen würde außer ihrer Beziehung, und er war hin- und hergerissen. Mom zeigte ihm einige Monate lang die kalte Schulter und hoffte, dass er sie so sehr vermisste, dass er ihr schließlich einen Antrag machen würde. Sie stellte unmissverständlich klar, dass sie das Baby austragen würde – und sowohl mein Vater als auch mein Großvater wussten dies.

      Als mir meine Mutter die Geschichte zum ersten Mal erzählte, hatte sie sie völlig abgeändert und beschlossen, mir zu sagen, dass mein Vater während dieser Zeit nicht im Land gewesen wäre. Sie behauptete, dass er, als er zurückkehrte und bemerkte, dass sie keine Abtreibung durchführen hatte lassen, ihr einen Antrag gemacht hätte. Ihr zufolge hätte sie einfach ruhig auf seine Rückkehr gewartet und das neue Leben, das in ihr heranwuchs, genossen. In dieser Version der Geschichte war Dad einige Monate verreist gewesen und war schlussendlich nicht länger in der Lage, getrennt von ihr zu leben. Sie hörte sich wie ein Detektiv aus einem Comicheft an, wenn sie behauptete: „Dein Dad konnte seine Finger nicht von mir lassen und ich wusste, dass er irgendwann wieder hinter mir her schnüffeln würde.“

      Dad sei schockiert gewesen, als er zurückkehrte, um ihre Beziehung wiederaufleben zu lassen, und habe sofort von ihr verlangt, ihn zu heiraten. Mom liebte ihre dramatische Ausschmückung, dass Dad gedacht hätte, wenn er zurückkehren würde, sie wieder dünn und ohne Kind wäre, aber als er gesehen habe, dass sie hochschwanger war, sofort eine Familie haben wollte.

      Der Version meiner Mutter zufolge habe sie ihm die Tür geöffnet. Er sei kreidebleich geworden und habe sagte: „Jesus Christus, Teri … ich dachte …“.

      Da sie noch nie jemand gewesen war, der man sagen konnte, was sie zu tun habe, genoss Mom die Vorstellung, dass sie das Ruder so fest in der Hand hatte und gleichzeitig so schockierend sein konnte.

      Aber die Wahrheit war, dass Mom ihm aus dem Weg ging, bis er sagte, dass er sie heiraten wolle. Ich glaube, dass sie ihn damit mürbe machte. Er liebte und vermisste sie tatsächlich, obwohl er noch nicht bereit für all das war. Schlussendlich war Mom unsterblich in meinen Vater verliebt. Sobald er verkündete, dass er sie heiraten wolle, beendete sie ihr abweisendes Possenspiel.

      Dad kaufte einen mit einem Diamanten bestückten Verlobungsring bei Tiffany (er sollte letztlich während eines Streits zwischen meinen Eltern aus der siebten Etage gepfeffert werden). Eines Tages im April schließlich begab sich Mom – sie trug ein graues, wollenes Gabardine-Umstandskleid – gemeinsam mit meinem Vater in die City Hall. Dad hatte seinen Ausweis zuhause liegen gelassen und musste mit dem Taxi zurückfahren, um ihn zu holen. Jahrelang erzählte Mom eine Version der Geschichte, derzufolge mein Vater so jung war – und im Vergleich noch jünger war –, dass der Standesbeamte ihn nach seinem Ausweis fragen musste, weil er befürchtete, Dad wäre noch minderjährig.

      Traurigerweise begreife ich erst jetzt, indem ich diesen Teil niederschreibe, dass auch dies eine kleine Lüge war. Er hatte tatsächlich seinen Ausweis vergessen, aber es hatte nichts damit zu tun, wie jung er aussah. Jeder muss sich ausweisen können, wenn er um eine Heiratserlaubnis anfragt. Ach, wie vielen Minilügen, die meine Mutter mir erzählte, habe ich doch über die Jahre hinweg bereitwillig Glauben geschenkt. Ich nahm diese lustigen Anekdoten einfach als bare Münze – und Mom zimmerte sich derweilen die Filmhandlung ihres Lebens nach ihren eigenen Vorstellungen zusammen. Wenn man Geschichten immer und immer wieder erzählt, werden sie irgendwann und irgendwie zu einer neuen Wirklichkeit.

      Wenn Mom Jahre später über diese Zeit sprach, schien es, als würde ihr nichts Kummer bereiten können. Sie fühlte sich großartig und schluckte so viele Vitamine, dass man damit einen Schuhkarton hätte füllen können. Sie erinnerte sich daran, wie sie an einer Straßenkreuzung stand und darauf wartete, dass das Licht grün werden würde. Und sie bemerkte, dass ihr Haar – normalerweise war es dünn und schütter – gesund und kräftig geworden war. Zum ersten Mal konnte sie spüren, wie es im Wind wehte. Sie genoss es, schwanger zu sein, und sie litt kaum einmal unter morgendlicher Übelkeit.

      Meine Eltern zogen in ein Apartment in der East Fiftieth Street. Ich habe nur zwei Fotos von meiner schwangeren Mutter. Auf einem liegt Dad auf der Couch und Mom steht mit einem Glas in der Hand am Fenster. Das war wahrscheinlich das einzige Foto von meiner Mutter mit Glas, in dem sich kein Alkohol befand. Mom lebte während ihrer Schwangerschaft extrem gesund und trank nur sehr wenig, wenn überhaupt. Auf diesem einen Schnappschuss fällt das Licht von hinten auf sie und sie trägt ein weites, gelbes Kleid, das an ein hawaiianisches Muumuu erinnert. Sie lächelt.

      Diese Zeit scheint für meine Eltern relativ ereignislos verlaufen zu sein. Mom bereitete sich auf das Baby vor und Dad ging seiner Arbeit in New York City nach. Ich besitze Fotos von unterschiedlichen Dinner-Theater-Abenden, auf denen mein Vater meine schwangere Mom mit liebevollem Blick ansieht. Sie waren ein so schönes und zufrieden wirkendes Paar.

      Am 31. Mai 1965 waren meine Eltern gerade gemeinsam mit meiner Patentante Lila sowie ihrer Verabredung auf dem Weg, sich das Indy-500-Autorennen auf einem Großbildschirm außerhalb der City anzuschauen. Das Quartett hielt bei einem Diner, um vor dem Start des Rennens noch einen Happen zu essen. Mom stand auf, um die Damentoilette aufzusuchen, als plötzlich ihre Fruchtblase platzte. Ich war zwei Monate zu früh dran und meine Mutter wurde von Panik erfasst. Die einzige Person im Restaurant, die Ruhe bewahrte, war anscheinend die Kellnerin, die sofort anfing, die Sauerei auf dem Boden mit ihrem Putzlappen aufzuwischen. Mom erwähnte später, wie locker diese Frau gewesen und wie ungerührt sie geblieben sei angesichts dessen, was soeben vorgefallen war. Als mein Dad Mom schließlich auf die Entbindungsstation des Cornell Medical Centers brachte, lag sie bereits in den Wehen. Jeder war höchst alarmiert, weil ich viel zu früh kam. Mom sagte, dass man ihr Medikamente gegeben habe und sie sich von diesem Moment an an nichts mehr erinnern konnte. Sie erwachte, als mein Vater sich über sie beugte und sagte: „Wir haben ein perfekt geformtes kleines Mädchen.“

      Mom erinnerte sich daran, dass sie dachte, Dad wäre ein verdammter Glückspilz, da er immer bekam, was er wollte – er hatte auf ein Mädchen gehofft und Mom für einen Jungen gebetet. Ich wusste nicht, warum meine Mutter einen Jungen einem Mädchen vorgezogen hätte. Ich konnte nur spekulieren, ob es vielleicht etwas Psychologisches war und mit dem Verlust ihres Vater oder ihrer nicht unbedingt perfekten Beziehung zu ihrer Mutter zu tun gehabt hatte, aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich einen Jungen gewünscht. Mom hatte sich bereits den Namen John ausgesucht und war sich absolut sicher, dass ich ein Junge werden würde. Jedoch sollte es noch Tage dauern, bis Mom schließlich ihr perfekt geformtes kleines Mädchen zu Gesicht bekommen sollte, weil man mich in einen Brutkasten auf der Kinderstation gelegt hatte, um mich im Auge zu behalten. Es vergingen die Tage und Mom hatte mich nicht ein Mal sehen dürfen. Ihr kam das langsam verdächtig vor. Warum enthielt man ihr ihre Tochter vor? Sie fing an, spätabendliche paranoide Schübe zu bekommen, und vermutete, dass alles nur eine Lüge wäre und es gar kein Baby gäbe. Mom fürchtete, dass das Baby gestorben wäre und ihr niemand die Wahrheit sagen würde. Ich würde erst viel später erfahren, warum meine Mom eine solche Angst davor hatte, dass ich sterben könnte. Die Ärzte versicherten ihr, dass sie Mutter einer gesunden, zwei Kilogramm und 238 Gramm schweren Tochter sei, die sicher in ihrem Brutkasten untergebracht sei, und forderten sie auf, sich

Скачать книгу