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bezahlen kann, aber jetzt allmählich mussten wir das hier mal zum Abschluss bringen, die Zeit für die zweifellos folgende Könnse-nich-lesen? Was-meinse-wohl-wozu-das-Schild-da-steht-Orgie sollte ich uns doch besser ersparen, denn die magische 12-Uhr-Marke nahte. High Noon, bis dahin mussten wir hier fertig sein, wer weiß, was sonst passieren würde. Also legte ich ihr einfach die Karte vor.

      Sie starrte mich ungläubig an.

      »Wat soll das denn?«

      »20 Euro! Sie sagten, es kostet 20 Euro.«

      »Ja, und? Was wollnse dann mit die Karte hier? Ick bin doch keene Bank! Gehnse ma lieber langsam los zum Kassenautomaten, bald is hier Feierabend nämlich!«

      Ich deutete auf das Schild, das direkt vor ihr stand. Sie drehte es zu sich um, studierte es eingehend mit hochgezogenen Brauen, schüttelte kurz verständnislos mit dem Kopf und murmelte: »Jetzte drehnse alle durch.« Dann wendete sie sich wieder mir zu: »Dit tut’s sowieso nich.«

      »Ist die Maschine kaputt?«, fragte ich.

      »Was’n für ’ne Maschine? Die einzige Maschine hier ist der Kassenautomat. Da müssense bezahlen. Dafür isser ja da. Oder was glauben Sie, wofür wa dit Mons­trum ham?«

      Ich seufzte. »Steht das Ding immer noch in diesem Nebengebäude ...?«

      »Ganz genau. Und jetzte machense mal hin, viel Zeit hamse nich mehr, und der Weg is weit. Verlaufense sich ja nich, da ist jetzt so ne Baustelle zwischen. Folgense einfach den Schildern.«

      Ich rannte los. Der Kassenautomat des Bürgeramtes Wedding steht bestimmt auch unter Denkmalschutz. Aus irgendeinem Grund dürfen die Bürgeramtsmitarbeiter das Geld nicht selbst annehmen. Warum auch immer. Wahrscheinlich eine Regelung aus einer Zeit, als man noch Internationale Führerscheine brauchte. Man muss also zu diesem Kassenautomaten, um dort das Geld einzuzahlen, dann bekommt man einen Bon, mit dem man zum Schalter zurückgeht, um ihn dort abzugeben. Der Kassenautomat steht aber natürlich nicht in der Schalterhalle. Oder davor. Oder im Wartesaal. Der Kassenautomat steht in einem Nebengebäude, das man erreicht, indem man erst durch den Wartesaal und dann durch ein Treppenhaus und dann durch einen langen Verbindungsgang in Form einer überdachten Brücke zum Nebengebäude und dann wieder durch ein Treppenhaus und dann durch einen weiteren Gang und dann durch noch einen Gang und dann durch eine andere Eingangshalle und dann hinten rechts die Treppe runtergeht. Zwischendurch musste ich tatsächlich durch eine Baustelle, da die komplette Decke im Nebengebäude saniert wird, ich musste mich zwischen Abdeckplanen und Gerüsten hindurchquetschen.

      Hin und wieder gab es Wegweiser zum Kassenautomaten, an manchen Abzweigungen, aber selbstverständlich nicht an allen, sonst wäre es ja langweilig.

      Gehetzte, panische Menschen irrten durch die Gänge, denn bald war es 12 Uhr, und dann wäre alles vorbei. Ich bog in einen weiteren Gang ein, hetzte dort entlang – und da stand er schon, der Automat. Ich war bestens präpariert, fütterte ihn vorschriftsmäßig mit abgezählten, passenden Scheinen (ich war ja nicht wahnsinnig und setzte darauf, dass das Teil herausgeben könnte), hörte es rattern und tuckern, hielt anschließend glückselig glucksend die ersehnte Quittung in den Händen und machte mich schleunigst auf den Rückweg.

      Zurück in der Schalterhalle hastete ich an den Schreibtischen der Bürgeramtsmitarbeiter vorbei – jetzt fiel es mir auf: Jeder hatte ein kleines Radio am Platz. Und aus jedem klang ganz leise Radio Paradiso.

      Endlich kam ich bei meiner Sachbearbeiterin an, stolz legte ich ihr den Ausdruck auf den Tisch, und fast meinte ich so etwas wie Anerkennung in ihrem Gesicht zu lesen, als sie mich freundlich zurückbegrüßte: »Hamse noch Mittag gemacht zwischendurch, ja?«

      Gerade wollte ich euphorisch werden, da sagte sie es: »Aba hamse mal auf die Uhr gekiekt? Jetzte ham wa fünf nach zwölf, da ist Feierabend, wa!«

      Meine gute Laune war mit einem Schlag dahin, entsetzt starrte ich sie an. Sie starrte zurück. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Sie triumphierte: »Was meinse denn, junger Mann, war doch nur’n kleenes Spässken! Wir sind doch keene Unmenschen hier!«

      Dann gab sie meine Daten in ihren Rechner ein, schau­te konzentriert auf ihren Bildschirm und begann mit zunehmender Amplitude ihren Kopf zu schütteln: »Mann, Mann, junger Mann«, hob sie an, »Mann, Mann, Mann.«

      Ich sah ängstlich zu ihr. Was würde denn jetzt kommen? »Mann, Mann, Mann«, sie schien es nicht glauben zu können, »Wissense was?« Sie machte eine Kunstpause, ich blickte furchtsam zu ihr.

      »Ihr Internationaler Führerschein ist noch gültig.«

      »Was?«

      »Na, Sie haben noch so ein Ding, wozu auch immer, und das ist noch gültig. Bis Juni.« Ich sah sie erschüttert an.

      »Aber«, zitterte ich, »ich habe keine Ahnung, ... Ich wusste ja nicht, dass ... also, den hab ich nicht mehr. Der ist weg.«

      »Ja, wie jetzt? Das Ding müssense doch noch haben?«

      »Nein, echt!«, ich spürte Panik, »echt nicht. Stellen Sie mir doch einfach den neuen aus, ich hab ja auch schon bezahlt, ich brauche das Ding, wir fliegen morgen los.«

      »Hörnse mal!« Sie plusterte sich kräftig auf: »Was glaubense denn, wo se hier sind? Das isn amtliches Dokument, vastehnse? Da könnse doch nich einfach mit zwei von die Dinger rumlaufen, was glaubense denn? Wollnse vielleicht auch gleich zwei Pässe ham, oder wie? Mann, so was könnse doch nicht einfach verlieren! Da müssense doch drauf aufpassen! Dit müssense sicher vawahrn! Wennse dit nich mehr ham, dann müssense ne Verlustanzeige machen. Stellense sich vor, das kriegt jemand Falsches in die Hände! Ihren Internationalen Führerschein!«

      Ich sackte in mich zusammen. Jetzt war eh alles egal. »Ja und?«, fragte ich resigniert, »dann hat der halt meinen Internationalen Führerschein. Ist doch scheißegal, das Ding ist doch sowieso für nichts gut.«

      Die Sachbearbeiterin blickte auf und schaute mich scharf an. Ihr Gesicht wirkte wie versteinert. Au weia, dachte ich, jetzt explodiert sie. Ich duckte mich sicherheitshalber schon mal. Es war ein Moment vollkommener Stille, nur ein kaum hörbarer Chor flötete irgendeinen Jingle von Radio Paradiso.

      Dann zuckte sie plötzlich mit den Schultern und sagte: »Da hamse allerdings verdammt noch mal Recht. Dis braucht wirklich kein Mensch, das Teil.«

      Dann nahm sie ein olivgrünes Heftchen, tackerte mein Passbild hinein, machte einen Stempel drunter und drückte es mir in die Hand. »So, da hamses. Und jetzte is hier ma Feierabend. Mann, Mann, Mann, hier is was los.«

      Verwirrt, aber glücklich stand ich auf, steckte meinen neuen Internationalen Führerschein ein und machte mich auf den Weg zurück auf die Müllerstraße, in die reale Welt. »Schönen Urlaub noch, wa!«, rief sie mir hinterher, und außerdem: »Jede Wette, dasse das Ding im Leben nich mehr brauchen!«

      Zu Hause angekommen, beim Zusammenpacken, lachte ich nur kurz trocken auf, als ich zwischen Reisepass und Impfausweisen auf den alten, noch gültigen Internationalen Führerschein stieß. Ich gab ihn achselzuckend ins Altpapier.

      Rund 24 Stunden später torkelte ich auf der anderen Seite der Welt erschöpft aus dem Flugzeug und schleppte mich zum Schalter der Autovermietung. Ich legte dem Mann dahinter die Papiere vor, er nahm sie in die Hand. Den Internationalen Führerschein gab er mir direkt zurück: »Was ist das denn?«, fragte er, und ergänzte: »So was können Sie hier in Chile jedenfalls nicht gebrauchen.«

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