Скачать книгу

anlässlich der Walpurgisnacht diesmal nicht nach Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, sondern, tatsächlich, in den Wedding. Was wollen die denn hier?

      Sie wollen, so entnehme ich später einem Aufruf, gegen die Gentrifizierung demonstrieren. Da ist es natürlich klug, dorthin zu gehen, wo es noch gar keine Gentrifizierung gibt. Quasi prophylaktisch. Es gebe allerdings, informiert mich der Aufruf, deutliche Anzeichen für Gentrifizierung auch im Wedding. Das würde mich ja mal etwas genauer interessieren. Was meinen die bloß?

      Zum Essen bin ich mit Bernhard im Saray verabredet. Ich berichte ihm von der bevorstehenden revolutionären Walpurgisnacht.

      »Die nennen das wirklich Walpurgisnacht?«, wundert er sich, »das Wort kennt hier doch keine Sau!«

      In der Tat, hier scheint ein gewisser Zielgruppenkonflikt zu herrschen. Dabei ist der Aufruf zur Walpurgisnacht Wedding sogar eigens auch in Türkisch, Arabisch und noch irgendwelchen Sprachen gehalten. Walpurgisnacht. Dafür gibt’s doch auf Arabisch bestimmt gar kein Wort. Na ja, wer weiß, was da in Wirklichkeit steht. Vielleicht ja tatsächlich was gegen Gentrifizierung. Ich frage Ahmed, der uns ein Bier bringt: »Steht da was von Walpurgisnacht?«

      Er staunt.

      »Was ist Walpurgisnacht?«

      »Walpurgisnacht ist gegen Gentrifizierung«, informiert Bernhard ihn gelangweilt.

      »Was ist Gentrifizierung?«, fragt Ahmed.

      »Gentrifizierung ist, wenn Leute mit Geld hierher ziehen.«

      »Das ist gut!«, sagt Ahmed, »wenn Leute mit Geld herziehen, können wir mehr Döner verkaufen. Aber hier ist niemand mit Geld. Hier ist Wedding.« Wir zucken mit den Schultern.

      Der türkische Satz auf dem Flugblatt lautet dann übrigens doch nur »Gegen soziale Diskriminierung und ras­sis­tische Provokation«, übersetzt Ahmed für uns. Gegen die Gentrifizierung sollen offenbar nur die Deutschen demonstrieren, wahrscheinlich, weil der türkische und arabische Teil der Bevölkerung gar nichts gegen ein kleines bisschen Gentrifizierung hätte, wenn man sie denn fragen würde.

      »Gentrifizierung!«, knurrt Ahmed, »wo soll denn hier Gentrifizierung sein?«

      »Vielleicht«, mutmaßt Bernhard, »das L’Escargot? Da gibt es wirklich gutes Essen!«

      »Na ja«, gebe ich zu bedenken, »aber das L’Escargot gab es 1991 auch schon, als ich hier hergezogen bin.«

      »Aber da hieß das noch nicht Gentrifizierung«, beharrt Bernhard, »da hieß das noch gutes Essen.«

      »Hier auch gutes Essen!«, merkt Ahmed zu Recht an, »aber hier nicht Gentrifizierung.« Kopfschüttelnd verlässt er unseren Tisch.

      Im Tagesspiegel ist die Route des Demonstrationszugs veröffentlicht. Sie verläuft direkt über die Müllerstraße und dann noch etwas durch die umliegenden Wohngebiete. »Scheiße«, knurrt Bernhard, »das ist direkt auf meinem Nachhauseweg vom Café Cralle. Und das vorm 1. Mai, ist doch Feiertag! Da hört der Spaß aber mal auf, wenn dann alles abgesperrt ist wegen den antikapitalistischen Kasperln und ich nicht nach Hause komme!«

      Ich bin auch nicht sicher, ob der Bewegung hier sehr viel Sympathie entgegenschlagen wird. Gut, sie rechnen wahrscheinlich gar nicht groß damit, dass Weddinger bei der Party mitmachen. Dafür spricht auch der Treffpunkt: S-Bahnhof Wedding. Praktisch die Direktverbindung nach Friedrichshain/Kreuzberg.

      Ein weiterer Flyer empfiehlt den Teilnehmern, vermummt zu erscheinen. »Und dann …«, gibt sich der Zet­tel geheimnisvoll, aber das Rätsel ist nicht sehr schwie­rig, das beigefügte Foto von Steine werfenden Vermummten lässt die Intention auch den ungeübten Betrachter leicht erraten.

      »Walpurgisnacht«, knurrt Ahmed im Vorbeigehen noch einmal in unsere Richtung, »ist das nicht das vorm 1. Mai, wo die immer alles kaputtmachen?«

      »Genau, so will es der Brauch«, erläutern wir und zeigen ihm den gelben Flyer.

      Ahmed schaut verständnislos: »Aber hier ist doch schon alles kaputt. Warum gehen die nicht nach Prenzlauer Berg?«

      Wir wissen es nicht. »Vielleicht ist die Party insgesamt nicht mehr so angesagt wie früher und sie hoffen auf Verstärkung durch Weddinger Jugendgangs?«, spekuliere ich.

      »Aber woher wollen die denn wissen, dass die da mitmachen?«, erwidert Ahmed, »das sind doch alles Türken und Araber! Die lassen sich doch nicht von aus Westdeutschland zugezogenen Friedrichshainern vorschreiben, wann sie hier zu randalieren haben! Außerdem spielt an dem Abend Galatasaray gegen Beşiktaş in der Süper Lig, da sitzen sowieso alle vorm Fernseher.«

      Ich denke, wir bleiben gelassen. Der Weddinger Bevölkerung wird der merkwürdige Aufzug in der Nacht zum 1. Mai so egal sein wie alles andere auch. Auf ein paar Verrückte mehr kommt es hier letztlich nun wirklich nicht an, viel Schaden können sie ohnehin nicht anrichten. Und Bernhard wird vom Cralle schon irgendwie nach Hause kommen. Ansonsten bleibt er halt da, wäre ja auch nicht das erste Mal.

      Das Einzige, was mich dann doch durchaus ernsthaft besorgt: Geboren wurde die antikapitalistische Walpurgisnacht im Prenzlauer Berg, danach marodierte sie durch Friedrichshain. Ergebnis: Beide Bezirke sind inzwischen total gentrifiziert.

      Sind es gar nicht, wie immer behauptet wird, die Künstler, die Hipster, die Studenten, die die Speerspitze der Gentrifizierung bilden? Sind es am Ende die revolutionären Antikapitalisten, die den Boden bereiten, die eine Gegend erst aufregend und interessant machen, sodass sich anschließend mit dem üblichen Zeitverzug der Rattenschwanz an Nachfolgern dorthin begibt? Ist nicht so eine antikapitalistische Walpurgisnacht bereits vollendete Gentrifizierung im Miniaturformat: Eine Bande neunmalkluger Zugereister fällt über einen Kiez her, weiß alles besser, macht den dicken Maxe und sorgt dafür, dass sich garantiert kein einziger Einheimischer in der Nähe blicken lässt? Aber dass dafür die ganze Gegend groß in die Medien kommt? Und andere erst richtig auf sie aufmerksam werden?

      Ich hoffe nur, der Wedding ist stärker. Mein Blick fällt durch die Scheibe des Saray auf die große Leuchtreklame mit dem neuen Namen vom ehemaligen Imbiss zur Mittelpromenade direkt gegenüber. Mehrfach schon habe ich darüber nachgegrübelt, was das wohl bedeuten mag. Ob sich da schon einer auf die neuen autonomen Besucher eingestellt hat? Auf knallig gelbem Grund leuchtet der Schriftzug über die Müllerstraße: You kill it, we grill it. Dann mal einen schönen Tanz in den Mai, liebe revolutionäre Antikapitalisten.

       Internationaler Führerschein

      »Also, es ist alles ganz einfach«, versicherte der Mann vom Reisebüro, »wenn Sie in Chile angekommen sind, gehen Sie im Flughafen von Santiago einfach zum Schalter der Mietwagenfirma, legen da diesen Gutschein, Ihren Pass, den Führerschein und den Internationalen Führerschein vor, und dann können Sie direkt den Wagen in Empfang nehmen.«

      Das klingt gut, dachte ich. Also, Gutschein nicht vergessen, Pass und Führerschein habe ich ja eh in der Tasche, und den – was? Erstaunt sah ich ihn an: »Den Internationalen Führerschein? Gibt’s das Ding überhaupt noch?«

      »Ja, steht hier. Den brauchen Sie zur Übergabe.«

      »Wieso das denn? Was will denn die Mietwagenfirma damit?«

      »Keine Ahnung. Steht hier halt.«

      Der Internationale Führerschein. Das nutzloseste Papier der Welt, gleich nach dem Stimmzettel für die Bundespräsidentenwahl und Büchern von Thilo Sarrazin. Kein Mensch braucht einen Internationalen Führerschein. Ich reise seit rund zwanzig Jahren durch alle Welt, immer hatte ich den Internationalen Führerschein dabei, und noch nie, nicht ein einziges Mal, hat das Ding jemand sehen wollen. Bei meinen allerersten Reisen, als ich noch unerfahren war, hatte ich es ein paarmal vorgezeigt und damit jedes Mal Achselzucken oder Kopfschütteln provoziert, einmal auch helle Aufregung, weil der Polizist im ecuadorianischen Amazonastiefland bereits die Führerscheine von Hunderten deutscher Touristen begutachtet hatte und also wusste, wie so ein Dokument in Wirklichkeit auszusehen hat. Aber was ich ihm da vorhielt, so

Скачать книгу