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sauber ist das immer noch nicht. Was tun? Ich könnte natürlich meine Mutter anrufen und sie bitten, mir zu erklären, wie man das macht. Die freut sich doch sicher, wenn sie mir ... obwohl, wer weiß. Möglicherweise könnte sie sich wundern und auf ungute Gedanken kommen, wenn ich sie fünfzehn Jahre nach meinem Auszug erstmals frage, wie man eigentlich Fens­ter putzt. Nicht, dass sie am Ende doch noch auf die Idee kommt, mich zu besuchen.

      Andererseits, ohne mütterliche Hilfe ist dieses Problem nicht zu lösen, so viel steht fest. Aber wozu gibt es schließlich das Internet? Mutti fragen wäre gut, also tippe ich www.frag-mutti.de in den Browser ein, und tatsächlich, da haben wir es ja: »Putztipps für Fenster«, na also. Ich stöbere durch das Forum. Dass das Internet ein Treffpunkt für Abseitiges aller Art ist, wusste man ja. Aber wie abseitig manche Community ist, das mag man sich dann doch kaum vorstellen.

      Fassungslos lese ich die hitzigen Diskussionen der Putz­gemeinde. Mandy z.B. schreibt: »Ich habe einen guten Tipp für die Reinigung sämtlicher Glas- u. Spiegelflächen (natürlich auch Fenster), und zwar gibt man einen guten Schuss flüssigen Klarspüler vom Geschirrspülautomat ins Putzwasser (ohne Zusatz anderer Putzmittel) – das wirkt Wunder und hält den Schmutz nachhaltig fern. Ich war vom Ergebnis beeindruckt und man hat den ›absoluten Durchblick‹. Viel Spaß beim Frühjahrputz und Gutes Gelingen!« Thomas antwortet begeistert: »Habe den Klarspüler-Trick schon bei den Badfliesen ausprobiert, das geht wirklich super. Muss wirklich ein Teufelszeug sein....huiiii.... :-)« Auch Iris ist hin und weg: »Selbst zum Reinigen von Edelstahlspülen und Cerankochfeldern ist Klarspüler superklasse. Ich nehme den billgsten vom Penny, das spart echt Geld.« Aber es geht noch billiger. Ein Teilnehmer mit dem selbsterklärenden Namen Der Scheibenputzer schwört auf Folgendes: »Eine Zwiebel halbieren und in den Putzeimer legen. Und dann normal Fenster saubermachen. Jeder aus meiner Umgebung ist vollkommen begeistert.« Jeder aus seiner Umgebung? Offensichtlich frönen sie ihrem Fetisch nicht einmal im Verborgenen. Bizarr. Aber wie in jeder Nerd-Szene ist der hitzige Streit schnell da. Cornelia bemängelt: »Bei mir hat das nicht funktioniert. Schlieren und jede Menge Dreck noch nach dem Abziehen – trotz Zwiebel!« Trotz Zwiebel! Der Scheibenputzer verteidigt sich empört: »Du musst natürlich auch die Zwiebel vorher säubern!« Aber er kann die anderen nicht überzeugen. Sarah: »Ich glaube, dass es mit klar Wasser ohne Zwiebel keinen Unterschied gibt.« Die Stimmung im Putzforum wird aggressiv. Tina die Putzmaus hält nichts von Zwiebeln, sondern empfiehlt: »Einfach in den Wischeimer einen kleinen Schwung von eurem Haarschampoo. Dann auf Sonne warten und staunen.« Das macht Frank endgültig fertig: »Fenster niemals!!!! mit Schampoo oder dergl. reinigen, der Schlier geht nur schlecht wieder runter.« Isolde meint: »Ich bekomme streifenfreie Fenster mit kaputten Damenstrumpfhosen.« Putzengel dagegen kann’s noch sparsamer: »Immer noch zu favorisieren ist zusammengeknülltes Zeitungspapier.« Das letzte Wort hat Sylvie: »Alles Quatsch! Ich putze meine Fenster immer mit Schwarztee und war immer zufrieden.«

      Ich gucke auf mein Fenster, die Sache wird mir allmählich umheimlich. Mit leichtem Schauder verlasse ich das Mutti-Putzforum und suche weiter im Internet nach Hilfe.

      Dabei stoße ich ausgerechnet auf die Bild-Zeitung, die mir erklärt: »Putzen macht geil. Eine englische Studie hat ergeben, dass Frauen beim Putzen sexuell erregt werden. Frauen, die zehn Stunden pro Woche putzen, wollen mindestens einmal am Tag Sex. Ab 15 Stunden pro Woche nimmt die Erregung weiter zu. Frauen, die ihren Haushalt nicht alleine schmeißen, haben Probleme in ihrem Sexleben.«

      Ich schlucke. Dann blicke ich die Häuserfront hoch. Die Trägerkleidträgerin über mir wischt mit Hochdruck über ihr Küchenfenster. Ich lese weiter: »Außerdem hatte jede fünfte getestete Frau beim Putzen sexuelle Fantasien und den Wunsch, dass sie bei ihrer Tätigkeit von einem erotischen Mann überrascht wird.« Aha. Blicke wieder hoch. Rufe: »Kukuk!« Frau ist überrascht. Zeigt mir aber den Vogel und knallt das Fenster zu. Blöde Bild. Blödes Putzen.

      Draußen schlurft Hoppe im Holzfällerhemd vorbei und trägt schon wieder irgendwelche Mülltüten zum Container. Ich will das alles nicht mehr sehen. Ich mache das Fenster einfach wieder zu und bin froh, von all dem kaum was mitzukriegen. Nein, das Fenster lasse ich mal schön so, wie es ist. Man muss sich das Leben ja auch nicht unnötig schwer machen.

       Menschenfischer

      Unsere Hardcore-Christen werden wir wohl wirklich nicht so schnell wieder los. In ihrem Palmblatt-Café bieten sie inzwischen auch eine Rechtsberatung sowie eine Sozialsprechstunde an. Mit anderen Worten: Sie sind heimisch geworden im Wedding.

      Menschenfischer sollen sie sein, das verlangte schon Lukas, und meine Vorderhauschristen nehmen ihre Sache wirklich ernst. Selbst der arabische Gemüsehändler von gegenüber, der in seinem Laden gerne mal »Tod den zionistischen Verbrechern«-Zettel sowie Flyer auf Arabisch verteilt, über deren Inhalt ich hoffentlich nie etwas erfahren werde, sitzt gerne auf den Bänken vorm Palmblatt und lässt sich für fünfzig Cent eine Tasse Kaffee servieren, die vom ursprünglichen, zugegeben noch originellen Coffee to stay längst zum missionarischen Coffee to pray mutiert ist.

      Der Laden ist jedenfalls immer gut gefüllt. All diese Menschen lassen sich von den Missionaren bei Kaffee, Kuchen und Nudeln zuquatschen. Einem Teil der Besucher, die jüngst erst aus dem Libanon, aus Syrien, Ka­sachstan oder von sonst wo eingetroffen sind, wird es egal sein, die verstehen sowieso nichts. Die Nächsten sind zu betrunken, um sich daran zu stören, und dem Rest geht es wohl schlicht am Arsch vorbei. Eine perfekte Symbiose. Der Wirtskörper, die Kuchenchristen, stellt die Nahrungsgrundlage zur Verfügung und bekommt dafür von seinen Symbionten das Gefühl, im Dienste des Herrn irgendwie nützlich zu sein, weshalb beide Seiten am Ende profitieren. Im Prinzip also wie bei Seeanemone und Clownsfisch. Und Clowns, das sind sie zweifellos, unsere Missionare, fischig ja sowieso.

      Direkt neben den Christen hat eine Bar aufgemacht. Eine Bar, die ich nicht verstehe. Sie gehört offenkundig dem sinistren Ägypter, der auch schon den Shoarma-Grill, eines der drei 23-Stunden-Casinos und zwei der 24-Stunden-Spätkaufs des Blocks besitzt. Der Ägypter jedenfalls taufte seine neue Bar auf den Namen Wrocwaw. Das könnte man womöglich als Missverständnis interpretieren oder als etwas geheimnisvoll Ägyptisches, was weiß man denn schon. Aber um erst gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, führt das Wrocwaw sowohl auf dem Namensschild als auch auf den Fensterscheiben das internationale Autokennzeichen-Signet Polens, also ein PL im EU-Sternenkreis, und schenkt polnisches Bier aus. Unser Ägypter hat also eine polnische Bar eröffnet. Eine polnische Bar, die – guter alter polnischer Tradition gehorchend – Schischas für nur zwei Euro anbietet. Und am Wochenende Transvestiten-Shows präsentiert. Erst dach­te ich, ich hätte mich verlesen. Aber da stand wirklich »Jeden Samstag: Transvestiten-Show«. Vielleicht bedeu­tet »Transvestit« auf Polnisch etwas ganz anderes? Oder auf Arabisch? Aber ein samstagnächtlicher Blick durchs Fenster belehrte mich eines Besseren. Die Transen sahen aus wie Billigtransen in Billigfilmen, und so tanzen sie vor Schischa rauchendem und Bier trinkendem, reichlich herbeigeströmtem Weddinger Publikum in der polnischen Bar Wrocwaw. Wer während der Vorstellung Hunger bekommt, geht kurz nach nebenan zu den Pfingstchristen und lässt sich ein paar Verse aus dem Evangelium samt einem Salamibrötchen reichen. Die Welt ist schon ziemlich verwirrend manchmal.

      Während der letzten Fußball-WM geriet die nationale Gemengelage dann völlig aus den Fugen. Immer gab es etwas zu feiern, nach jedem Spiel fuhr mindestens ein Autokorso freudig hupend über die Seestraße. Auf diese Weise erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass es im Wedding offenbar sogar so etwas wie eine paraguayische Community geben muss.

      Auch die Wrocwaw-Bar setzte ein Zeichen und lobte Freibier aus. Tatsächlich, Freibier. Oder, um die Kreidetafel wörtlich zu zitieren: »Freibier bei jedem deutschen Endsieg.« Der deutsche Endsieg! Ein alter polnischer Traum. Klug gewählt, ohne Frage. Und sicher von großer Werbewirkung. Aber nicht nur beim deutschen Endsieg lockte Freibier, sondern auch beim portugiesischen, wie darunter zu lesen war: »Freibier auch bei Endsieg von Portugal«. Was nun Portugal damit zu tun hat, muss vorerst ungeklärt bleiben. Weiß der Himmel. Beziehungsweise der Ägypter. Vielleicht hat der ja nur das PL falsch interpretiert und Portugal zugeordnet, woher

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