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schließlich, dass wir weiterfahren durften, trotz des dubiosen, offensichtlich ja in betrügerischer Absicht vorgezeigten Papiers. Seither habe ich den Wisch immer schön stecken lassen, hatte ihn allerdings zur Vorsicht noch lange Zeit dabei, weil er offiziell in manchen Ländern eben Pflicht ist. Vermutlich irgendein historischer Anachronismus. Falls er überhaupt je für irgendwas gut war. Zum Autofahren jedenfalls nicht, denn mit dem Teil allein darf man sich ohnehin nicht auf die Straße wagen, es gilt per definitionem nur in Verbindung mit dem nationalen Führerschein.

      Der Mann vom Reisebüro beharrte aber darauf, dass er nicht garantieren könne, ob mir der Wagen in Santiago ohne einen Internationalen Führerschein ausgehändigt würde, und dann hätte ich keinen Anspruch auf Erstattung der Mietkosten. Ich seufzte.

      Ich hatte keine Ahnung, wo mein Internationaler Führerschein sein könnte. Ich dachte nach. Ach verdammt, letztlich war es ganz egal, wo der rumlag, das Ding war sowieso längst abgelaufen. Und am übernächsten Tag wollten wir starten. 36 wertvolle Stunden, und eine unkalkulierbare Anzahl davon sollte ich nun für einen Behördengang opfern. Eine schnelle Internetabfrage zu Hause bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen: Zuständig ist das Bürgeramt Wedding.

      Das Bürgeramt Wedding! Mit Grausen erinnerte ich mich an meinen letzten Besuch dort. An stundenlanges Warten in einem Saal, der eher an ein Flüchtlingscamp erinnert. An ein wahnwitziges Anmeldesystem, bei dem man erst ewig an einer Schlange anstehen muss, um an einen Schalter zu kommen, an dem man sein Anliegen vorbringen kann und dann überhaupt erst einmal die Erlaubnis bekommt, eine Wartemarke ziehen zu dürfen. An einen absurden Kassenautomaten, den sie irgendwo im Keller in einem ganz anderen Gebäude versteckt haben und den man nur über ein verwirrendes Labyrinth von Gängen erreicht. An eine Bürgeramtsmitarbeiterin, die mich in einer Tour ausgeschimpft hat, weil ich gottweißwas falsch ausgefüllt hatte. 36 Stunden nur noch – das würde knapp.

      Derart von qualvollen Erinnerungen gepeinigt, traute ich dann meinen Augen kaum, als ich auf der Homepage des Bürgeramtes von der Möglichkeit las, sich via Internet einen Termin geben zu lassen. Konnte das sein? Wäre es möglich, dass die in den letzten Jahren irgendwas in Richtung Kundenfreundlichkeit ... Mit vor Aufregung zitternden Fingern klickte ich den Link an, gab meine Angaben in das Formular ein, drückte ab und wartete. Und wartete. Und wartete weiter. Ein Mailerdemon verkündete mir schließlich, dass das Postfach des Bürgeramtes leider übergelaufen sei, ich solle mich mit dem Administrator der Seite in Verbindung setzen. Haha! Der Administrator der Homepage vom Bürgeramt Wedding. Guter Vorschlag. Ich kicherte irre.

      Am Freitag trat ich meine Mission an. Bis zwölf Uhr hat das Bürgeramt Sprechstunde, ich erschien um acht und reihte mich resignierend in die Schlange der Wartenden vor dem Info-Schalter ein. »Internationaler Führerschein?«, fragte der Mann dort, als ich schließlich endlich drankam, »was wollnse denn damit? Das braucht doch kein Mensch.« Traurig sah ich ihn an. »Doch, ich brauche das«, seufzte ich. »Hamse denn alles dabei?« Er ließ sich tatsächlich alles zeigen: Führerschein, Ausweis, Passbild. Vorher gibt es keine Wartemarke. Damit die wertvolle Zeit der Sachbearbeiter nicht von Leuten geraubt wird, die den hohen Anforderungen nicht gewachsen sind. Die nicht würdig sind, bis zum richtigen Schalter vorgelassen zu werden. Richtig so! Survival of the fittest, hier im Bürgeramt Wedding, da gilt noch das eherne Gesetz der natürlichen Auslese. Ich aber war Profi, ich war vorbildlich vorbereitet. Neidisch schauten die Weddinger hinter mir in der Schlange auf mich. Mindes­tens die Hälfte von ihnen würde wahrscheinlich hier bereits abgewiesen. Ich aber hatte die erste Hürde bewältigt, ich erhielt das Privileg, eine Wartemarke ziehen zu dürfen. Ganz berauscht von meinem Erfolg setzte ich mich zu den anderen Auserwählten. Wir waren die Elite des Bezirks! Jetzt ging alles überraschend schnell. Schon etwa drei Stunden später kam ich dran.

      Ich war gerade auf dem Weg in die Schalterhalle, als ich einen Tumult, lautes Jammern und Wehklagen aus dem Eingangsbereich hörte. Elf Uhr. Da wird die Wartemarken-Ausgabe beendet. Wer jetzt noch in der Schlange steht, hat die letzten Stunden vergeblich dort verbracht, der wird unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt. Schaudernd wandte ich mich ab von den Bildern des Elends.

      Das Bürgeramt Wedding ist ein Großraumbüro. Jeder Mitarbeiter sitzt hinter seinem Schreibtisch, mit einigen Stellwänden wird so etwas wie Privatsphäre simuliert. Ich trat an Schalter fünf, den mir zugewiesenen. Eine etwa fünfzigjährige, stämmige Frau saß dahinter und mus­terte mich misstrauisch. Hinter ihr stand ein Radio, aus dem ganz leise Radio Paradiso zirpte. Genau so leise, dass es nicht mehr bis zum nächsten Mitarbeiter am Schreibtisch daneben drang. Denn der hat sein eigenes, leise vor sich hin zirpendes Radio. Aus dem, sofern ich das jetzt richtig wahrnahm, ebenfalls Radio Paradiso drang.

      »Wieso kommense so spät?«, begrüßte die Frau mich vollkommen angemessen. Ich war entzückt. Ich war in ein Original-Berliner-Schutzgebiet geraten, völlig unbeleckt von allen Modernismen wie aufgesetzter Freundlichkeit und irgendwelchen albernen Service-Gedanken. Ich fühlte mich gleich um zwanzig Jahre jünger.

      »Und was wollnse überhaupt hier?«, blaffte die Frau weiter, während ich vor Behaglichkeit schnurrte: »Einen Internationalen Führerschein.«

      »Wat wollnse?«, fragte die Frau. Großartig. Ob die extra geschult werden dafür? Vom Amt für Denkmalschutz?

      »Den Internationalen Führerschein«, wiederholte ich und spürte, wie meine Laune sich stetig besserte. Man musste es einfach andersherum sehen. Im Grunde hatte meine Reise schon begonnen. Klar, Chile, das würde sicher spannend werden. Aber mehr Exotik als dieses aus der Zeit gefallene Büro – die Frau hatte tatsächlich einen waschechten Gummibaum an ihrem Platz stehen, um nicht zu sagen: zu stehen! –, mehr Exotik und Abenteuer würde Südamerika auch nicht bieten können.

      »Wat wollnse denn mit dem Ding?«, flötete die Weddinger Indígena mir entgegen, und fröhlich erwiderte ich: »Ich reise morgen nach Südamerika, da braucht man so was.«

      »Quatsch«, schimpfte die Dame, »wat solln die denn damit? Das Ding braucht kein Mensch, nicht mal in Südamerika oder in Timbuktu!« Großartig, sie war wild entschlossen, mir das ganze Programm zu bieten. Ich wand mich vor Vorfreude, als ich lächelnd antwortete: »Doch, doch, ich brauche das.«

      »Und morgen wollnse los, oder was, und dann wollnse das womöglich jetzt sofort mitnehmen, oder wie?« Sie sah mich streng an.

      »Ganz genau!« Ich strahlte. Sie holte tief Luft.

      »Und damit kommse mir eine Stunde vor Schluss hier an? Junge, Junge, was glaubense denn, wo wir hier sind!«

      »Auf Ihrer Homepage steht, dass es den Internationalen Führerschein gleich zum Mitnehmen gibt!«

      »Wasn für ne Homepage?«

      »Im Internet!«

      »Ach, dit Internet. Glaubense mir, junger Mann, da steht ne Menge drin in diesem Internet! Allerhand sogar! Dis solltense nu wirklich nich alles für bare Münze nehmen.«

      »Im Internet, auf der Seite des Bürgeramtes Wedding, auf Ihrer Seite, steht, dass es den Internationalen Führerschein gleich zum Mitnehmen gibt!«, beharrte ich.

      »Junger Mann, wollnse mir verarschen? Im Internet steht auch, dass se hier im voraus Termine per Mehl kriegen.«

      »Ja, stimmt, das habe ich auch probiert, aber das funktioniert gar nicht.«

      Sie sah mich entgeistert an. »Junger Mann, sindse neu hier? Wo kommse denn her ...?«, sie schaute auf meinen Ausweis, »... aus Münster? Ach, wie die Spaßvögel vom Tatort. Na, Sie sind wohl auch so’n ganz Lustiger, wa? Behördentermine per Mehl, Mann, Mann, Mann, wo lebense denn?« Ich wand mich vor Wonne. Richtig so!

      »Gib mir mehr davon!«, wollte ich schon rufen, fragte dann aber lieber doch: »Was ist denn nun? Ich brauche das blöde Ding wirklich heute, sonst kriege ich morgen in Chile kein Auto, der Vermieter dort will das nämlich sehen, warum auch immer, das steht da aus irgendwelchen Gründen in den Vorschriften.«

      Sie schüttelte nur mit dem Kopf, knurrte irgendwas in Richtung »Sachen gibbet, also echt«, dann sagte sie: »Kost aber 20 Euro.«

      Na also. Ich wollte mich

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