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dafür waren die Berührungen mit den Lebensweisen anderer Gemeinschaften über Leandas Techno-Anlage, die sich mitunter unvorstellbar von der in Farewell unterschieden.

      Die Sippen in Farewell lebten relativ abgeschieden in ihrem Tal. Mit einigen Nachbar Stämmen wurden unbedeutende Handelsbeziehungen unterhalten, doch Farewell war eine Selbstversorgergemeinschaft und von daher unabhängig. Natürlich war bekannt, dass Menschen woanders auf ganz andere Weise zusammenlebten, und manchmal war sogar von Städten die Rede, in denen so viele Menschen wohnen sollten, wie sich niemand auch nur annähernd vorstellen konnte. Und niemand kümmerte sich auch darum. Das waren Probleme, die die Einwohner Farewells nichts angingen, von denen sie sich fernhielten, denn die Außenwelt war chaotisch, unstrukturiert, manchmal gar bedrohlich. Das Sippenleben verlief einfach und unkompliziert, in geregelten Bahnen, die sich seit Jahrhunderten kaum geändert hatten. Es kam immer wieder vor, dass einige von den Gilden Ausgebildete ihre Sippen verließen, um ihre Fähigkeiten woanders nutzbringend einzusetzen, aber das unterbrach den Ablauf des Alltags in Farewell nicht, und die Fortgegangenen kehrten meist nicht zurück. Und wenn doch, wurden sie gemieden.

      Zardioc erinnerte sich noch an den Tag, an dem der Nicht-Mensch in das Tal gekommen war. Es hatte große Aufregung geherrscht und die geruhsame Ordnung war empfindlich gestört worden. Als kleiner Junge hatte ihn das Aussehen des Fremden verschreckt: lange Fühler an der Vorderseite einer seltsam deformierten Gestalt und ein gepanzerter Rumpf auf vier staksigen Beinen, auf denen sich der Fremde anmutig fortbewegte. Seine Mutter hatte Mühe, ihn zu beruhigen. Trotz aller Unruhe, die sein Erscheinen mit sich brachte, war der Nicht-Mensch freundlich aufgenommen und zuvorkommend behandelt worden. Doch die Gildenmeister waren sichtlich erleichtert, als er Farewell nach einigen Tagen wieder verließ. Die abendlichen Gespräche in der Sippe kreisten noch lange danach um dieses Ereignis.

      Mit den Techno-Geräten in der Behausung Leandas waren für Zardioc Kontakte mit anderen Gemeinschaften, mit Menschen in Städten oder auch mit Nicht-Menschen schon lange nichts Außergewöhnliches mehr. Wenn er wollte, konnte er inzwischen die Verbindungen selbst herstellen, Leanda hatte ihm die Bedienung der meisten Apparate erklärt. Ein Hauch von Faszination war trotzdem geblieben.

      Inzwischen war die gesamte Anlage in dem kleinen Raum zum Leben erwacht: Displays und Anzeigen leuchteten in verschiedenen Farben, huschten über Skalen und Sichtschirme, ein summender Ton erfüllte die Luft.

      Leanda schien mit ihren Bemühungen nicht zufrieden zu sein. Sie schimpfte halblaut vor sich hin, ihr massiger Körper schwankte auf und ab und ihre Finger nahmen weitere Einstellungen und Korrekturen vor.

      Zardioc, der wegen seiner Größe den Kopf in dem Raum einziehen musste, wurde langsam ungeduldig.

      »Was ist los? Was willst du mir so dringend zeigen?«

      Doch die Frau beachtete seine Proteste nicht und fuhr in ihrer Arbeit fort. Es hatte keinen Sinn, sie in solchen Momenten weiter zu drängen, deshalb versuchte Zardioc selbst, genauer zu beobachten, um herauszufinden, was Leanda störte. Alles schien zunächst in bester Ordnung, die Stationen waren sende- und empfangsbereit. Dann entdeckte er, dass mehrere kleine Bildschirme der Funkanlage blinkten und flackerten, als wollten sie gleich wieder verlöschen.

      »Ich bekomme zu wenig Energie für die Schirme,« schnaubte Leanda ärgerlich. »Aber es ist doch schon öfter vorgekommen, dass die Sichtverbindungen nicht funktionierten,« wandte Zardioc ein.

      »Natürlich. Aber dabei handelte es sich immer um Störungen aufgrund großer Entfernungen, die Reichweite ist eben beschränkt, die Anlage ist ziemlich veraltet. Diesmal aber bauen die meisten Schirme gar kein Feld auf.«

      Konnte es denn wirklich an der Energiezufuhr liegen? fragte sich der Kartenmagier. Erst vor kurzem hatte Leanda ihm erklärt, dass die Batterien noch für Jahrzehnte ausreichen würden.

      »Komm her, junger Freund,« rief sie ihn zu sich. Anscheinend hatte sie die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen eingesehen.

      Sie winkte ihn zu sich heran.

      »Jetzt bist du an der Reihe. Rufe einfach die dir bekannten Stationen an.« Zardioc sah sie unsicher an. Warum verlangte sie das von ihm?

      »Fang mit den Entlegensten an.«

      Vielleicht wollte sie ihn auf etwas testen, überlegte er, setzte sich vor das Bedienungspult und zog das Mikrofon zu sich heran. Sie würde ihm den Sinn der Sache schon erklären. Des Rätsels Lösung stand bevor. Mit geübtem Griff stellte er die erste Verbindung her, aber der Kontakt kam nicht zustande. Verblüfft versuchte er die nächste Station, doch auch hier erhielt er keine Antwort auf sein Rufsignal. Dies wiederholte sich noch einige Male, bevor er es aufgab.

      »Es meldet sich niemand, ich bekomme keine Verbindung. Es ist, als würden all diese Orte nicht existieren.«

      »Genau das ist der Grund, weshalb ich dich an das Funkgerät gesetzt habe. Du solltest die gleiche Erfahrung machen wie ich. Du hast mich das letzte Mal vor zwei Vollmonden besucht. Damals war, wie du dich erinnern wirst, noch alles in Ordnung. Seitdem ist eine Verbindung nach der anderen abgebrochen, ohne Kommentar, ohne Erklärung, von einem Tag auf den anderen. Zu Anfang betraf es nur die im äußersten Süden liegenden Stationen, zu denen ich nicht mehr durchkam, ich schob es zunächst auf wetterbedingte Störungen. Dann reagierten die großen Städte im Westen nicht mehr, du hast es selbst mit Woltan und dem Schweren Lager versucht. Und du weißt, wie die Städte ausgerüstet sind, sie empfangen selbst schwache Signale von mir. Trotzdem ist kein einheitliches Muster zu erkennen. Zu bestimmten Orten im Westen des Kontinents besteht die Verbindung nach wie vor, wohingegen seit einigen Tagen auch zu mehreren Gemeinschaften in unserer Nähe kein Kontakt mehr möglich ist .... Unternimm einen Versuch mit Goldentor.«

      »Aber du hast mir erzählt, sie wollen dort nicht mehr mit dir sprechen.«

      »Das ist mir egal. Goldentor verfügt am ehesten über Informationen, die uns vielleicht weiterhelfen könnten. In dieser Stadt kreuzen sich die Wege der Gerüchte aus allen Himmelsrichtungen.«

      Zardioc probierte es erneut, doch auch Goldentor gab keine Antwort. Es war nichts als das statische Knistern und Prasseln zu hören.

      Leanda begann zu zittern und musste sich auf einen Stuhl setzen. Sie verbarg das Gesicht in ihren Händen, und als sie wieder zu ihm aufsah, wirkte es starr und leblos wie eine Maske.

      »Goldentor war meine letzte Hoffnung, mehr zu erfahren. Jetzt ist auch hier keine Verbindung mehr möglich. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat und was ich weiter tun soll.«

      Leandas Zusammenbruch erschreckte Zardioc. Er hatte sie noch nie so hilflos erlebt.

      »Wenn ich dich richtig verstehe, siehst du einen Zusammenhang zwischen dem Abbrechen der Funkverbindungen und der Deutung meines Kartenbildes.«

      Die Frau nickte stumm. Auch Zardioc war innerlich aufgewühlt, die anerzogene Gilden-Disziplin hielt jedoch seine Reaktion im Zaum. Welches Phänomen vermochte wahllos Funkverbindungen zu unterbrechen?

      »Der Vorgang hat inzwischen den größten Teil des gesamten Kontinents ergriffen« , fuhr Leanda fort. »Ich habe keine Ahnung, um was es sich handeln könnte. Und dann gibt es Gerüchte, Gerüchte über Kämpfe ... unvorstellbare Gerüchte, die verwischt wurden ...«

      Ihre Stimme verlor sich in einem Murmeln.

      »Aber andere müssen es doch auch gemerkt haben,« fiel Zardioc ein. »In den Gemeinschaften, die bisher nicht betroffen sind, muss es eine Reaktion geben. Was sagen denn Theobald oder Sheita dazu?«

      »Du kannst es dir selbst anhören.«

      Leandas Stimme klang müde und enttäuscht. Sie schien wirklich große Hoffnung in Goldentor gesetzt zu haben. Vielleicht machte sie sich Vorwürfe, nicht eher versucht zu haben, Kontakt herzustellen. Aber nachdem das Techno-Department von Goldentor ihr ihre Unerwünschtheit deutlich gemacht hatte, war es nur allzu verständlich, dass sie sich nicht früher über das Verbot hinweggesetzt hatte. Ihre Verbindung zu oppositionellen Kreisen innerhalb der Stadt war aufgedeckt worden, und die übliche Frequenz hatte von dem Zeitpunkt an nur noch Störgeräusche von sich gegeben. Selbst diese waren diesmal ausgeblieben.

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