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feststellte, auch etwas ärgerlich.

      Hast du deine Karten dabei?« fragte Leanda mit ihrer tiefen Stimme zurück, ohne auf den versteckten Vorwurf einzugehen.

      »Du weißt doch, dass ich mich nie von ihnen trenne.«

      Leandas Gesicht drückte Konzentration und Besorgnis aus. Zardioc schluckte seine Verstimmung hinunter. Er wusste, was sie von ihm erwartete, seine Fragen würden auf diese Weise beantwortet werden.

      Mit einer geschmeidigen Bewegung zog er das Päckchen Karten aus der Innentasche seines dunkelblauen Schülerumhanges, den die Symbole der Magier-Gilde zierten. Eine jeden Abend wiederholte Kurzformel hielt die Karten sauber und zusammen. In seinen Fingern lösten sie sich voneinander, und er begann, sie zu mischen. Sofort stellte sich auch bei ihm Konzentration ein. Die Anzahl der aufgedeckten Karten sowie das Muster, das sie bildeten, entsprangen seiner Intuition. Der Ablauf des Kartenlegens geschah in einer einzigen fließenden Bewegung.

      Vier Karten lagen zwischen ihm und Leanda auf dem Boden, angeordnet in einer geraden Linie. Schon der erste Blick genügte ihm, die Frage nach dem Grund seines Hierseins zu beantworten: Er hatte ausschließlich hohe Kampfkarten gezogen.

      Erschrocken beugte er sich vor.

      »Das Blatt ist ... Was hat das zu bedeuten?«

      Es war keine Frage an Leanda. Er wusste, dass sie ihm nicht antworten würde, bevor er selbst eine Interpretation versucht hatte.

      Zardioc riss sich zusammen. Emotionen waren wichtig im Prozess des Kartenlegens, denn darin sollten alle vorhandenen Schwingungen einfließen. Auch der erste Eindruck der aufgelegten Karten äußerte sich meist noch gefühlsbetont, für die genaue Analyse jedoch benötigte er seinen Kopf: nüchterne, präzise Gedankengänge. Beide Aspekte hatte er jahrelang gelernt zu beherrschen - mit mehr oder weniger Begeisterung -, nachdem sich das entsprechende Talent bei ihm unübersehbar gezeigt hatte.

      »Ganz rechts liegt die Weltkarte in ihrer Kampfform. Sie bedeutet - mit Rücksicht auf die Karten neben ihr -, dass der Lauf unmittelbar bevorstehender Ereignisse unsere ganze Welt betrifft und ihr gewaltsame Auseinandersetzungen drohen. Zumindest droht der Erde eine Gefahr, der nur im Kampf zu begegnen ist. Anschließend links, ebenfalls in ihrem Kampfausdruck, sehen wir die Stammes- oder Gildenkarte, was besagt, dass auch wir alle in diesen Kampf mit einbezogen werden und ...« - er stockte kurz -, »... wie aus der dritten Karte ersichtlich, ich persönlich oder eine mir nahe stehende Person ebenfalls.«

      Die Wirkung seiner eigenen Interpretation erschütterte ihn.

      »Wie ist so etwas möglich, Leanda. Seit ich mich erinnern kann, hat es keinen Konflikt gegeben, der nicht auf friedliche Weise beigelegt wurde. Kampf gehört der Vergangenheit an. Niemand kann mehr einen Kampf gewinnen. Und es gibt keinerlei Anzeichen für solch eine Gefahr. Alles ist außerordentlich ruhig und ...«

      »Ruhe kann auch Friedhofsruhe sein,« fiel ihm Leanda ins Wort. »Ruhe und Behäbigkeit sind leicht zu stören. Wenn sich alle in Ruhe lassen, ist das nicht unbedingt positiv. Und was weiß Farewell davon, was an anderen Orten vor sich geht, wenn es sich freiwillig von aller Kommunikation abschneidet, um seine Ruhe zu haben? ... Aber ich schweife ab, du hast die vierte Karte vergessen.«

      Zardioc schüttelte heftig den Kopf, wie um die schweren Gedanken zu vertreiben.

      »Das war Absicht. Ich kann nichts mit ihr anfangen.«

      »Aber irgendetwas muss sie bedeuten.«

      Die vierte Karte zeigte das Symbol der Weltenlinien. Sie war einmalig und existierte nur in dieser einen, unwandelbaren Form. Sie tauchte sehr selten auf und galt gewöhnlich als Bestätigung und Bekräftigung der übrigen Karten. Es kam häufig vor, dass nebensächliche oder unwichtige Karten gezogen wurden. Die Schwierigkeit bestand darin, dies auch zu erkennen. So hatte Zardioc die Karte zunächst ignoriert, dabei aber ein ungutes Gefühl behalten. Jetzt, wo ihn Leanda drängte, verstärkte sich dieses Gefühl, ohne dass er die Ursache kannte.

      »Die Karte verdeutlicht wahrscheinlich noch das Ausmaß der Gefahr,« sagte er zögernd.

      Leanda legte einen Finger auf die Karte und fuhr die Linien des Symbols entlang.

      »Ich weiß selbst nicht, wieso diese Karte mir mehr zu bedeuten scheint. Ich habe den Eindruck, dass sie etwas verbirgt, als wolle sie uns etwas über die Natur, die Art der drohenden Auseinandersetzung erzählen, aber wir wissen es nicht zu deuten. Doch schließlich bist du der Kartenexperte, und wenn du ihr keine Bedeutung beimisst, hast du wohl recht damit.«

      »Ich bin mir nicht absolut sicher und empfinde ähnlich wie du. Aber es ist unmöglich, dass die Karte anzeigt, womit wir es zu tun haben. In diesem Fall hätte ich zumindest eine Bestimmungskarte gezogen. Die Weltenlinien sind in jeder Deutung ein unbestimmtes Symbol.«

      Ohne weiteren Kommentar stand Leanda auf und winkte Zardioc, ihr zu folgen. Der Kartenmagier konnte den Blick nur schwer von den Karten wenden, er spürte die Drohung fast körperlich, die von ihnen ausging. Schließlich sammelte er sie ein und folgte der Frau in ein vom Hauptraum mit einem blauen gemusterten Vorhang abgetrenntes Zimmer.

      Das Kartenbild hatte sein Gemüt verfinstert, alle Leichtigkeit war von ihm abgefallen. Er ahnte, dass ihm weitere Enthüllungen bevorstanden. Ein Kartenbild allein besagte nicht allzu viel, es gab nur einen Hinweis, zeigte die Richtung an. Was jetzt kam, würde womöglich eine deutlichere Sprache sprechen. Hier war das zu finden, was Leanda veranlasst hatte, ihn zu benachrichtigen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie ihn hierher führen würde, und versuchte nun, sich gegen die Angst vor weiteren schlechten Neuigkeiten zu stemmen.

      Der Raum war klein und fensterlos und vollgestopft mit Techno-Geräten. Er war der eigentliche Grund für Zardiocs engen Kontakt mit Leanda, der ihn von einem großen Teil der Bevölkerung Farewells isoliert hatte. In einem kleinen Ort sprachen sich ungewöhnliche Verhaltensweisen - noch dazu von einem Angehörigen der angesehenen Magier-Gilde - schnell herum. Besuche bei Leanda waren zwar nicht untersagt, aber nicht gern gesehen. Die Folgen machten sich bald bemerkbar: Man ging Zardioc aus dem Weg, die Gilde strafte ihn mit sichtbarer Verachtung und machte ihm das Leben schwer. Er hatte am eigenen Leib die negativen Seiten der strengen Sitten und ungeschriebenen Gesetze der Gemeinschaft zu spüren bekommen, die ihm früher nur Schutz und Geborgenheit vermittelt hatten.

      Leanda hatte die Öllampen angezündet, und auch diesmal ergriff Zardioc wieder eine eigenartige Faszination, als er die metallisch schimmernden Geräte betrachtete. Manche türmten sich unter einem Gewirr von Kabeln und Antennen bis zur niedrigen Decke. Leanda machte sich an ihnen zu schaffen, sie hatte kaum Platz, sich zu bewegen.

      Zardioc war mit der Abneigung der Gilden gegen jede Art von Technik und Technologie aufgewachsen. Die Gründe dafür lagen weit in der Vergangenheit und waren nur in Mythenform überliefert. Diese Geschichten berichteten ausnahmslos von Unglücken und Katastrophen im Zusammenhang mit dem Gebrauch technischer Errungenschaften.

      Natürlich war bekannt, dass es genug Lebensgemeinschaften gab, die sich auch hochentwickelter Technik bedienten, ohne dass es je zu solchen Verhängnissen gekommen war. Farewell jedoch vermied, wo immer es ging, den Kontakt mit solchen Völkern.

      Zardiocs erste Begegnung mit Leanda war aufgrund eines Auftrages der Gilde erfolgt, ihr eine Nachricht zu überbringen. Ein Auftrag, den er nur zu gern abgelehnt hätte, denn wer wollte schon etwas mit der »Alten am Berge« zu tun haben, über die teilweise beängstigende Gerüchte in Umlauf waren. Aber er war bestimmt worden und musste die Regeln ohne Widerspruch einhalten. Damals hatte er Leanda in diesem Raum überrascht. Nachdem er dem ersten Impuls von panikerfüllter Flucht widerstanden hatte, hatte sie ihm in Ruhe erklärt, womit sie sich gerade beschäftigte. Er erkannte bald, dass Leandas Tätigkeit nichts Gefährliches oder Verabscheuungswürdiges darstellte. Trotzdem wirkten die Verbote der Gilde wie eine Barriere, doch seine Neugier siegte über die anerzogene Abneigung, und er kam trotz der ihm bewussten Folgen öfter herauf, um sich weitere Erklärungen anzuhören. Die meiste Zeit verwandte Leanda darauf, mit Hilfe ihrer Techno-Geräte Informationen und Meldungen von anderen Gemeinschaften zu empfangen und in Kommunikation mit diesen zu treten.

      Im

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