Скачать книгу

Hause gelingt es mir tatsächlich, die Dinger mit Käse zu bestücken. Ein bisschen skeptisch bin ich ja schon. Sieht irgendwie etwas albern aus, dieser kleine Drahtkäfig. Und da sollen die freiwillig reinklettern? Am nächsten Morgen stelle ich fest, dass die Mäuse offenbar nicht die geringsten Bedenken haben, in diese kleinen Drahtkäfige hineinzuklettern. Völlig zu Recht zudem. Alle Köder sind ratzekahl weggefressen, trotzdem ist keine einzige Falle zugeschnappt. Aber nach einigen Tagen habe ich wertvolle mammologisch-oekotrophologische Ergebnisse gewinnen können: Speck und Erdnussbutter mögen sie gern. Auch Shoarma, Pita und Köfte werden anstandslos verschlungen. Lachsfleisch dagegen wird verschmäht. Finde am nächsten Morgen kleine Protestnoten in den Drahtkörbchen.

      Na gut. Ihr habt es nicht anders gewollt, niedlich hin oder her. Jetzt geht’s ans Eingemachte. Beziehungsweise an die Eingeweide. Ich hole ein ganzes Set klassischer Mausefallen. Ich erinnere mich noch an alte Donald-Duck-Comics, wo einer der Running Gags war, dass Donald ständig die zuschnappenden Dinger an den Fingern hatte. Ich bin also gewarnt. Ich fluche, als ich gleich die erste Falle am Daumen hängen habe. Okay, die funktionieren also wirklich. Die Mäuse gucken misstrauisch vom Boden zu mir hoch. Als ich am Kühlschrank stehe, um die Köder rauszuholen, und dabei versehentlich das Päckchen mit dem Lachsfleisch in der Hand habe, höre ich Pfiffe und Pfui-Rufe von unten.

      Zehn Stück stelle ich auf, sicher ist sicher. Zufrieden lege ich mich ins Bett, stecke mir Ohropax in die Gehörgänge, um nicht nachts vom beständigen Zuknallen der Fallen und den Todesschreien der Mäuse geweckt zu werden, und richte mich darauf ein, am nächsten Morgen die kleinen Kadaver einzusammeln. Lege mir schon mal die Nummer von der Tierkörperverwertungsanstalt auf den Nachttisch.

      Stattdessen kann ich am nächsten Morgen zehn Fallen neu mit Ködern bestücken. Keine einzige ist zugeschnappt. Aber sobald ich eine auch nur vorsichtig an­ticke, geht sie in die Luft wie eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Keine Ahnung, wie die Viecher das machen. Wahrscheinlich ein Evolutionssprung. Bin ein bisschen stolz auf meine Kleinen und kaufe für die nächste Bestückung extra den guten Cheddar-Käse, zur Belohnung. Auch nach Tagen ist immer noch keine einzige Maus in die Falle gegangen. Eines Morgens finde ich lediglich eine Leiche kurz vor der Falle. Ihr Fell ist ganz schütter und schlohweiß, sie hat einen großen Buckel, und ihre Pfötchen sind von dicken Gichtknoten gezeichnet. Keine Frage, sie hat es nicht mehr bis zur Falle geschafft. Kurz vor dem Ziel an Altersschwäche gestorben. Ich gebe auf. Ich sammele die Fallen wieder ein und füge mich in mein Schicksal. So machen die anderen Weddinger das also, denke ich. Was soll’s. Sind ja nur ganz kleine Küddel. Und die paar Lebensmittel kann ich auch problemlos im Kühlschrank lagern.

      Nach ein paar Tagen stelle ich erstaunt fest, dass die Mäuse verschwunden sind. Alle weg. Spurlos. Ich habe keine Ahnung, warum. Vielleicht macht es ihnen einfach keinen Spaß mehr, jetzt, wo ich sie nicht mehr jage. Das ist keine Herausforderung mehr für sie. Bedrückt sitze ich allein an meinem Küchentisch. Es ist still in meiner Wohnung. Ich fühle mich verlassen. Ich bin sehr einsam.

      Haus Bottrop

      Wenn man lange genug im Wedding wohnt, kennt man eigentlich die Regeln. Lungernde migrationshintergründische Jugendliche zum Beispiel – bei Sichtung weiträumig umschiffen, also Straßenseite wechseln, oder halt Dialog der Kulturen, wenn man gerade Zeit und Nerven für so was hat.

      So gesehen ist es ein dummer Fehler von mir, als ich an einem Samstagabend auf dem Weg zu einem Haus Bottrop mache, für einen kleinen Benefiz-Auftritt zu Gunsten politischer Kiezaktivisten. So etwas mache ich gelegentlich, wenn mir die Leute sympathisch sind.

      Eher teilautistisch gehe ich also erst über den »harten Beton des U-Bahnhofs Wedding« (Der Spiegel) über die Schönwalder Straße durch »eines der härtesten Krisengebiete unseres Landes« (Der Spiegel) und bemerke sie zu spät, die »Kids« (Der Spiegel). Sie gehen zu langsam, sodass selbst ich nicht umhin komme, sie zu überholen, was natürlich, das ist mir klar, unweigerlich Interaktion zur Folge haben wird. Egal, zu spät, so bleibt man wenigstens im Gespräch mit der Jugend. Alles verläuft erwartungsgemäß. Ich drücke mich vorbei an den Dreien, die vielleicht so um die 18 Jahre alt sind, unmotiviert über den Bürgersteig schlurfen und also offenkundig nichts mit dem Abend anzufangen wissen, derweil irgendwelches bushidoeskes Zeug aus ihrem Handy dröhnt. Der Erste, wohl der Boss des Trios, tänzelt mit irgendwelchen Hiphop-Bewegungen prompt neben mir her. Ich seufze unmerklich. Wir sind auf Höhe Schönwalder 31, das Haus Bottrop trägt die Nr. 4 – Mist. Das wird anstrengend. Zunächst reagiere ich, wie man es im Grundkurs »Berlin für Zugezogene« lernt: freundliches Ignorieren. Also nicht zu böse gucken, aber eben auch nicht drauf einsteigen, einfach weitergehen. Bis Nr. 29 greift die Strategie, dann hat der Bengel genug von seinen etwas kurios anmutenden Antanz-Versuchen mit den leicht gestört wirkenden zuckenden Arm- und Handbewegungen und eröffnet das, nun ja, nennen wir es halt: Gespräch. Zunächst die üblichen Versatzstücke über meine Figur, wobei ich »Moby Dick« sogar ganz originell finde. Offenbar habe ich es mit intellektuellen Ghetto-Bewohnern zu tun. Überhaupt wirkt der Junge nicht direkt unfreundlich, sein Grinsen hat etwas schwer auslotbares Dauerironisch-Spöttisches, nichts Aggressives.

      »Moby Dick!«, ruft er zum wiederholten Mal. Nr. 25.

      »Ja, Queequeg«, antworte ich, aber ganz so weit her ist es dann wohl doch nicht mit seiner Literaturkenntnis, er schaut kurz verständnislos, dann fährt er fort.

      »Moby Dick!« Nr. 23. Ich gehe weiter.

      »Ey, wir sind voll die Ghetto-Kids!«, stellt er sich und seine Freunde nun erst einmal vor – immerhin höflich also, die jungen Herren.

      »Ja, klar, seh ich doch«, erwidere ich.

      »Ey, voll die Ghetto-Kids! Voll perspektivlos, weißtu?« Er grinst wieder ironisch unter seinem weißen Baseball-Cap.

      »Ja sicher. Schön.«

      »Ey, nix schön! Voll das Ghetto!«

      »Ja, ich weiß. Ich wohne hier auch.«

      »Hier? Aber ich hab dich noch nie gesehen hier!«

      »Ja, nicht direkt hier. Mehr so Müller/Ecke See.«

      »Müller/Ecke See? Ey, das ist doch anders. Krasse Spießergegend. Hier ist voll das Ghetto!« Anklagend zeigt er auf die Nr. 19, ein eher unauffälliges Durchschnittshaus.

      »Ja gut«, gebe ich mich kompromissbereit.

      Er grinst weiter: »Ey, das ist ein Überfall.«

      »Ja sicher«, sage ich und gehe weiter.

      »Ey, das ist ein Überfall, weißtu? Wir sind voll die krassen Ghetto-Kids, und das hier ist ein verfickter Überfall. Gibstu jetzt Portmonee und Handy!« Er grinst weiter freundlich.

      Nr. 15, die Sache wird mir allmählich unheimlich. Einerseits: Die Jungs sehen definitiv nicht so aus, als wäre die Situation irgendwie bedenklich. Der Anführer guckt freundlich-ironisch, die anderen beiden gehen eher versetzt hinter mir. Der Zweite versucht, so cool wie möglich zu wirken, was offenkundig seine gesamte Konzentration in Anspruch nimmt, dem Dritten dagegen scheint die Sache eher peinlich zu sein, was er durch gelegentliche Grunzlaute zu kompensieren sucht. Zusammengefasst sehen sie also nicht gerade furchteinflößend aus. Einerseits. Und andererseits steht es einem dann doch plötz­lich vor Augen, das Bild vom Wedding-Adoleszenten »süd­ländischen Aussehens« aus der B.Z. und dem Spie­gel. Klar, jahrelang habe ich mich lustig gemacht über die Ghetto-Panikmache, über die Katastrophengebietskarikaturen der Medien, über das Gerede vom gefährlichen Wedding. Und nun stehen drei dieser Abziehbilder plötzlich vor mir und legen noch eins drauf:

      »Ey, wir sind bewaffnet, Mann!«

      Tja. Das sieht aber gar nicht danach aus. Andererseits, wer weiß schon, was die unter ihren merkwürdig aufgeplusterten Jacken immer so tragen.

      »Ey, gibstu jetzt Portmonee!« Klar in der Sache, aber immer noch nicht unfreundlich im Tonfall. Entweder habe ich hier die höflichsten kriminellen Homies des Kiezes Reinickendorfer Straße vor mir, oder eben einfach gelangweilte migrationshintergründische Jugendliche, die genau

Скачать книгу