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Jugendliche im Kopf haben, und mein Gesprächspartner will nur mal die Klischees ein bisschen tanzen lassen, sozusagen eine Art Meta-Pöbeln. Aber was, wenn die es tatsächlich ernst meinen? Nr. 12.

      »Ey, glaubstu nicht, aber das ist ein Überfall. Gibstu jetzt Handy und Portmonee!«

      »Ich habe überhaupt kein Handy.«

      Das verwirrt ihn einen kurzen Moment, man sieht deutlich, dass diese Möglichkeit in seiner Vorstellungswelt gar nicht vorkommt.

      »Wie? Hastu vergessen, oder was? Hastu Handy vergessen?«

      »Nee, ich hab einfach keins.«

      »Kein Handy?« Er ist kurz fassungslos, fängt sich aber schnell wieder.

      »Tja, Pech, kannstu nicht mal Polizei rufen nach Überfall gleich.«

      Punkt für ihn.

      »So, komm, gibstu jetzt Portmonee.«

      Jetzt kommt die blöde Panke, die irgendwelche irren Stadtplaner hier nicht unter die Erde verlegt, sondern mit so einem bekloppten Naherholungsgrünstreifen umsäumt haben, ein paar Meter nur, aber eben ein paar Meter, wo man jemand schön ins dunkle Gebüsch zerren könnte, von der Straße weg, was ein Überfallszenario doch erheblich realistischer erscheinen lässt, verdammt, hat er das etwa mit einberechnet?

      »So, und jetzt Portmonee.«

      Die bekloppten Stadtplaner haben genau bei der Panke-Brücke samt Grünstreifen auf jede Straßenbeleuchtung verzichtet, sehr pfiffig. Wahrscheinlich haben sie gedacht, dass nachts eh keiner mehr am Fluss entlang läuft, wozu dann also Licht. Oder das ist irgendeine irre Naturschutzmaßnahme, damit die Fische nicht geblendet werden. Oder die Schildkröten nicht abgelenkt, wenn sie zur Eiablage an den Pankestrand kriechen. Wie dem auch sei, die Straße wird merklich dunkler, und gleich wirken die Jungmänner einen Zacken bedrohlicher. Niemand sonst ist zu sehen. Auf der anderen Seite leuchten die Wohn­silos, eines davon muss die Nr. 4 sein – verdammt, die meinen das doch nicht etwa ernst? Und überfallen mich hier gerade? Mich!?!

      Ich merke, dass ich die bloße Möglichkeit, ich könnte überfallen werden, hier, mitten im Wedding, als persönliche Beleidigung empfinde. Das können die doch nicht machen!

      »Hört mal zu, Jungs«, der Fluss ist überquert, wir bewegen uns auf dem jenseitigen Grünstreifen auf die nächste Laterne zu, »ich soll hier bloß ein paar Geschichten vorlesen, das ist alles, ein paar Geschichten, hört ihr?«

      Mein Gegenüber ist erneut offenkundig irritiert, mit dieser Ansage kann er erkennbar nichts anfangen. Daher ergänze ich: »Auf so einer Feier. Von irgendwelchen Leuten, die hier im Kiez was politisch machen, versteht ihr?«

      »Politik? Achtu Scheiße. Bistu CDU, oder was?«

      »Seh ich so aus?«

      »Keine Ahnung«, er mustert mich eindringlich, »nee, du siehst einfach nur scheiße aus.«

      Jetzt werde ich doch langsam unwirsch. »Hör mal ...«, hebe ich an.

      »Schon gut, ich mein nur, ey, guck mal: Deine Hose, deine Jacke, was ist denn das für ein Outfit? Das ist doch voll kein Styling! Das sieht doch krass scheiße aus! So kannstu nicht auf ’ne Feier gehen.« Das hätte meine Mutter ganz ähnlich formuliert. Jetzt bin kurz ich etwas fassungslos.

      »Politik!«, sagt jetzt verächtlich der schweigsame Coo­le, sein erster Beitrag zu unserer langsam etwas ausufernden Konversation, »da gibt’s doch keine geilen Weiber!«

      »Nee, wahrscheinlich nicht«, pflichte ich ihm leicht resignierend bei.

      »Bistu schwul, oder was?«, sagt der Anführer und setzt sofort nach: »Ey, das ist doch voll eklig, wenn Männer so an sich rummachen!« Er weiß, was von ihm als korrekten Migranten erwartet wird, er grinst genau so, dass man sieht, dass er das weiß, und ich weiß doch nicht, was er will. Außer womöglich Geld, aber selbst das weiß ich ja nicht sicher, jedenfalls aber wird er nun etwas redundant: »Gibstu jetzt Portmonee«.

      Wir haben den Pankestreifen inzwischen passiert, auf der anderen Straßenseite leuchtet die Nr. 5, ein 70er-Jahre-Betonwohnsilo, ich zeige rüber und sage, dass ich da irgendwo hin muss, zur Nr. 4.

      »Das ist dahinter«, sagt mein Gesprächspartner, »komm, wir zeigen’s dir.« Sie deuten auf einen kleinen, schmalen eher dunklen Gang. Verdammt, ist das jetzt eine Falle? Aber langsam ist mir alles egal. Ich komme mit. Wir laufen an dem Mietshaus vorbei, dahinter taucht tatsächlich die Nr. 4 auf, Haus Bottrop steht in großen bunten Buchstaben an die Wand gemalt, davor stehen einige Menschen, es ist geschafft.

      Meine drei Begleiter gackern laut auf und verabschieden sie sich artig – per Handschlag. Dann verschwinden sie im Durchgang zwischen zwei weiteren Betonwohnsilos. Verwirrt betrete ich Haus Bottrop.

      Entfesselte Leidenschaft

      Es gibt ja so Abende, da läuft’s einfach. Ich weiß nicht, was sie an mir gefunden hatte, und ehrlich gesagt war mir auch nicht ganz klar, was ich an ihr und wie wir uns gefunden hatten, aber jetzt war es halt so, wir saßen im Taxi, und da der Wedding erheblicher näher an eben jenem seltsamen Kleinkunstclubkeller als Karlshorst lag, waren wir nun also auf dem Weg zu mir. Eigentlich habe ich in solchen Situationen immer Wert darauf gelegt, genau das zu vermeiden, denn meine Wohnung ist, nun ja, nicht wirklich, sagen wir: affärenkompatibel. Bei echten Liebschaften – kein Problem. Im Gegenteil: Ein zuverlässiger Indikator, ob es lohnen könnte, sich überhaupt näher auf eine Frau einzulassen, war eigentlich immer ihre Reak­tion auf meine Wohnung.

      Wer da schon komisch guckte, irgendwas murmelte in Richtung »hier müsste man aber mal richtig durchputzen« oder gar ein wenig quiekte, wenn sie auf meine Leguane stieß, die ich in durchaus ansehnlicher Zahl dort pflege, konnte zuverlässig als untauglich sofort wieder entsorgt werden. Wie überhaupt mal eine Wahrheit festgehalten werden muss: Frauen, die sich vor Kriech- und Krabbeltieren ekeln, sind schlecht im Bett. So. Sagt ja sonst keiner, wenn ich es nicht tue.

      Apropos Bett, dann mal weiter in eben dieser Geschichte. Die Ausgangslage war also klar, Karlshorst wirklich indiskutabel, und an den Echsen konnte ich sie leicht vorbeischleusen. Diese Bekanntschaft hatte ohnehin längst einen Stand erreicht, der ausschloss, dass wir zunächst eine Wohnungsbesichtigung durchführen muss­ten. Denn wenn schon in der Kneipe die Knutscherei mit eifrig unter den Textilien grabbelnden Händen endet, ist der Weg nach der Ankunft doch vorbestimmt. Vermutlich gibt es eine Art DIN für diese Fälle. Wohnungstür aufschließen, noch beim Zudrücken wildes Küssen, und mindestens ein paar Kleidungsstücke müssen bereits hier ungeordnet zu Fall gebracht werden, sonst gilt es nicht. Wir beschränkten uns auf die Jacken, ihren Pullover und meinen Gürtel, dann quiekte sie plötzlich auf, und zwar genau so, als hätte eine doofe Frau einen meiner Leguane gesehen. Ich kenne die diversen Varianten des doofe-Frau-sieht-tolles-Tier-Quieken ziemlich gut. Ich hoffte inständig, dass mir keiner meiner Pfleglinge am Nachmittag bei der Fütterung entwischt war und jetzt auf ein spontanes Sonnenbad unter der gerade aufgegangenen Lampe im Flur hoffte. Ich ließ also von ihr, guckte prüfend, was los sein könnte, da quiekte sie noch mal und deutete auf etwas sehr Kleines, Flatterndes, ah, jetzt konnte ich es erkennen – eine Motte. Eine Motte! Sie quiekt wegen einer Motte. Damit war ja immerhin schon mal geklärt, dass dies hier maximal ein One-Night-Stand würde, vielleicht reichten ja auch ein paar Stunden, machte ich mir Mut, die S-Bahnen nach Karlshorst fahren ja schließlich die ganze Nacht. »Ih, eine Motte!«, unterstrich sie ihre Disqualifizierung.

      Nun ist es ja so: Motten sind mir schnurz. Ich meine, es ist schön, dass es sie gibt, aber ich habe kein besonderes Interesse an ihnen. Und Kleidermotten finde ich lästig. Aber auch nicht so lästig, dass ich großen Ehrgeiz aufbringe, sie loszuwerden, was zu einer recht stabilen Kleidermottenpopulation in meiner Wohnung geführt hat. Nun trage ich eigentlich gar keine Kleidung, die für Kleidermotten von Interesse sein könnte, die haben ja doch einen recht speziellen Geschmack. Woher die gerade recht florierende Population also ihre Nahrungsgrundlage bezog, war mir völlig unklar, aber auch gleichgültig. Sie flatterten halt nachts hier und dort rum, und ich machte schnapp mit der Faust, wenn mir

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