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      Dominique Anne Schuetz

      Leo&Ludwig

      Dominique Anne Schuetz

       Leo&Ludwig

      Eine Biografie des Unvorstellbaren

      Bibliografische Information der Deutschen

      Bibliothek

      Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über >http://dnb.ddb.de< abrufbar.

      ISBN 978-3-937717-36-4

      eISBN 978-3-943941-40-1

      © Dittrich Verlag GmbH, Berlin 2009

      Lektorat: Marita Gleiss

      Umschlaggestaltung: Guido Klütsch

      Vignetten: Dominique Anne Schuetz

       www.dittrich-verlag.de

      FÜR HANNE

      und FÜR EDMOND

      Die Zwillinge Leo und Ludwig sind Kunstfiguren. Gewisse medizinische Erkenntnisse der Teratologie wurden bewusst ausgeblendet.

      Obwohl zahlreiche historische Fakten und Begebenheiten in den Roman Eingang gefunden haben, ging es stets nur darum, eine Geschichte zu erzählen.

~ Vorspiel ~

      D I E N A M E N L O S E N

       Kindsnöte, die Kirche, der Allmächtige und Luzifer

      Im Jahre des Herrn 1500 betrat der Schweinekastrator Jakob Nufer mit einem Messer in der Hand die niedrige Kammer, in der sich die Hitze staute und der Gestank des Todes auszubreiten begann – jener faulig-süße Geruch, der an schwülen Hochsommertagen über den Friedhöfen schwärte wie giftige Dämpfe.

      Jakobs Weib Elisabeth lag seit Tagen in ärgsten Kindsnöten, stöhnte, schrie und wand sich auf ihrem Lager. Ihr Mann legte das Messer an das Fußende der Liegestatt, krempelte die Ärmel seines schweißnassen Hemdes hoch und wies die verschreckten Hebammen und Wehfrauen, den Wundarzt und auch den Pfaffen, der sich vor schierem Entsetzen in seinem Rosenkranz verheddert hatte, vor die Tür. Lediglich eine hutzelige Bäuerin hielt er am Arm zurück, damit sie ihm in dieser dunklen Stunde beistehe.

      Noch während der Knecht im Stall den Rappen trocken rieb, mit dem der verzweifelte Jakob nach Frauenfeld gehetzt war, um die Einwilligung des Prälaten zu erbetteln, war in der einfachen Kammer alles für das Wundgeschäft bereitgestellt worden: Wasser, Tücher, Nadel, Zwirn und nun auch das Messer, dessen geschärfte Klinge im Schein der Kerzen aufblitzte.

      Endlich, nach langem Bangen, konnte Jakob den ungeheuerlichen Eingriff mit Segnung der Kirche wagen.

      Wortlos hoben der wackere Mann und die Bäuerin die Gebärende auf einen bereitgestellten Tisch, der mehr wackelte, als für eine solche Operation wünschenswert, banden sie fest, flößten ihr Alkohol ein, steckten ihr ein Schnupftuch zwischen die Zähne und baten Gottvater, seinen Sohn und den Heiligen Geist um Hülff. Die Heilige Jungfrau Maria dürfe nicht vergessen werden, sagte die Bäuerin bestimmt. In solch elender Bedrängnis könne es nicht schaden, wenn auch eine Frau ihre schützende Hand über sie halte. Nufer nickte und stieß dann das Messer – als Säulischnyder wusste er um die Anatomie von Schweinen und anderem Vieh – in Elisabeths prall gewölbten Bauch, während ihr Wehklagen dumpf unter dem Stoffknebel hervorquoll. Er zog einen mehr oder weniger sauberen Schnitt durch Haut, Muskulatur, Bauchfell und Gebärmutter, holte das Kind samt Nachgeburt aus dem Leib, durchtrennte die Nabelschnur, übergab den quäkenden Säugling der alten Frau und vernähte die Wunde. Mit behäbigem Schritt trat er hinaus auf den Hof und wusch sich am Brunnen die blutigen Spuren von den Händen, als hätte er nichts anderes getan als seine tägliche Arbeit.

      Jakob Nufer war der Erste, der einen Kaiserschnitt an einer Lebenden durchgeführt hat, und er sollte für Jahrhunderte der Einzige bleiben, dem dieses Kunststück auch gelungen war. Da Weib und Kind überlebt hatten und Elisabeth ihrem Jakob noch weitere Söhne und Töchter gebar, wurde der tapfere Schweizer aus dem thurgauischen Siegershausen ein bekannter Mann, und die wundersame Geschichte ging durch zahlreiche Münder. Auch ein Barde hörte davon und verfasste alsbald die schaurige Ballade Vom Schweinekastrator und seinem gebärenden Weibe.

      Zur Zeit des Heumondes 1516 gelangte der dichtende Sänger in die freie Reichsstadt Cölln, wo er sich mit Laute und leerem Hut in der Nähe der Hohen Domkirche postierte. Wie immer, wenn nicht gerade Seuchen, Hungersnöte und Kriege den Menschen ins Handwerk pfuschten, wurde am Dom herumgewerkelt. Gott allein wusste, wann sein Haus endlich fertig sein würde, arbeiteten die Cöllner doch schon seit über zweihundertsechzig Jahren an ihrem Werk.

      Im Schatten der sakralen Baustelle herrschte reger Betrieb. Kaufleute, Handwerker, Gaukler und Scharlatane, Mägde, Diebe, Pilger und Geistliche tummelten sich dort, es wurde geschnorrt und gekauft, gehandelt und gestohlen. Am Rande dieser brodelnden Geschäftigkeit unterhielt der Barde das staunende Publikum mit Gesang und dramatischen Versen, die von der ganz und gar unglaublichen und doch überaus wahren und überaus blutigen Messergeburt erzählten. Ein beinahe poetischer Vortrag, der ganz nebenbei mit unzähligen falschen medizinischen Details angereichert war, was allerdings keinem der Zuhörer je aufgefallen ist.

      Der Sommer ging, und der Barde war längst weitergezogen, da lag ein junges Weib, fast noch ein Kind, in einer schäbigen Kammer im ebenso schäbigen Altengrabengässchen in den Wehen. Ein hoher Würdenträger der Kirche hatte sich an ihr vergangen und sie geschwängert. Verstoßen von den Eltern, geächtet von der Gesellschaft, stand dem unglücklichen Geschöpf in dieser schweren Stunde nur eine alte Hebamme bei. Doch die Geburt schritt nicht voran, und das arme Mädchen wurde mit jeder Minute schwächer.

      Auch die Geburtshelferin hatte im Sommer die Ballade des fahrenden Sängers vor der Domkirche gehört, und so entschloss sie sich, dem Beispiel des Jakob Nufer zu folgen und dem Leiden ein Ende zu setzen, bevor Weib und Frucht elend zu Grunde gingen.

      In der dritten Stunde nach Mitternacht stießen Blitze zu Boden und Fluten stürzten aus dem Firmament, Rinnsale durchzogen, Flüssen gleich, die stolze Reichsstadt und verwandelten sie in eine einzige morastige Kloake. Im Gebärkämmerchen wurde das heftige Unwetter kaum wahrgenommen. Zu groß war die Not. Aufgeregt flehte die Hebamme: »Pater noster qui es in caelis, sanctificetur nomen tuum …« Und während sie betete, schnitt sie mit zittrigen Fingern den Leib der bedauernswerten Frau auf, deren Schreie durch die Wände drangen, als wären sie aus Papier.

      Während der Donner krachte, wurden die Laute des jungen Weibes immer schwächer, und schon bald erlosch der letzte Lebensfunke in dem gequälten Leib. Doch nur Atemzüge später – das Unwetter rollte über die Dächer wie eine Lawine – begann in diesem armseligen und von Gott vergessenen Winkel neues Leben zu krähen, heftig und entschlossen, den Kampf mit einer ungewissen Zukunft aufzunehmen. Doch dieses Krähen kam von einem zappelnden Etwas, das sich gar unheimlich in den Händen der alten Frau anfühlte, so dass sie entsetzt aufschrie. Sie hatte eine Monstrosität aus dem Bauch der Schwangeren geholt, eine Art Zwillinge, die an Kopf und Rumpf ganz schrecklich verwachsen waren. Mit einem Schaudern legte sie die Säuglinge neben die tote Mutter, bekreuzigte sich und stolperte dann in höchster Aufregung aus der Kammer.

      So schnell es ihre alten Knochen zuließen, eilte sie durch die Gassen, rutschte auf dem vom Regen glitschig gewordenen Untergrund aus, fiel, rappelte sich wieder auf und schleppte sich bis zum Pfarrhaus von Maria Ablass. Mit rasendem Herzen und nass bis auf die

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