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mal serbischer Schriftsteller. Zum Glück bin ich, wie du weißt, kein Schriftsteller, ich schreibe nur, Bücher die keiner braucht, ich schreibe, weil mir nichts anderes, nichts Sinnloseres, eingefallen ist. Hier zu schreiben ist wie Tauchen mit angehaltener Luft, wie Atmen durch Kiemen, nicht metaphorisch, nein, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Land befindet sich in Depression, in einem endlosen hypnotischen, komatösen, lethargischen Winterschlaf, verglichen damit kommen die vergangenen Jahre des Schreckens einer paradiesischen Erinnerung gleich. (Und das ist noch sehr nüchtern und teilnahmslos ausgedrückt.)

      Die Opposition, wie immer unersättlich und korrupt, besitzt weder Kraft noch Verstand, nur Eitelkeit, die Regierung wiederum tut, als wäre nichts und feiert sogar den Sieg. Jahrmarkt der Eitelkeit, der Titel von Thackerays Roman, trifft es genau. Der Kosovo ist, nach dem, was ich von Flüchtlingen gehört habe, die reinste Hölle. Ich habe ein Interview mit einem amerikanischen Militär-Zombie gelesen und dabei teilweise verstanden, was uns widerfahren ist (ganz kann man es nicht verstehen, denn es übersteigt uns): eine Art technische Strafexpedition, die als Grund für ihre Vergeltung immer wieder nur einen Namen nennt. Vom Alltag der Menschen wissen sie nichts, und wollen auch nichts wissen. Wir alle, wie man es auch dreht und wendet, sind, egal ob wir für den Irrsinn mitverantwortlich waren, Versuchsobjekte für ein Experiment an lebendigem Menschenmaterial. Ein Experiment, ausgelöst vom hiesigen politischen Wahnsinn. Doch die Folge übersteigt ihre Ursache ums Hundertfache: Die Vergeltung ist übertrieben und irrational, aus dem Kampf gegen das Regime ist ein Kampf gegen das Volk geworden. Stell dir vor, irgendein minderjähriger, minderbemittelter Schulrowdy vergewaltigt ein Mädchen. Und dann kommt die Polizei und verprügelt die gesamte Schülerschaft. So ähnlich, nur noch viel irrsinniger, ist es auch uns ergangen. Interessen bestimmen die Wahrheit, und mit Gewalt wird sie uns aufgezwungen. Das ist die ganze Weisheit des heutigen Handelns. Verzeih mir, wenn ich dich mit meinen quälenden Sätzen belästige, sie sind alle im selben Tonfall geschrieben, ich hänge mir schon selbst zum Hals heraus mit dieser zwanghaften Analyse der Ausweglosigkeit, die tiefer ist als ich mir je vorstellen konnte. Darin liegt auch die Schizophrenie, man liebt ein Leben, vor dem man davonlaufen möchte. Bei all dem Irrsinn finde ich nur in der kleinen inneren Katharsis des Schreibens Frieden, eines Schreibens um des Schreibens willen, das niemand wirklich braucht, wirklich niemand, außer mir, wenn ich nicht auch selbst dieser Niemand bin.

      Manchmal gehe ich an die Donau. Die Donau, hat mal jemand gesagt, ist Geschichte, ein weiser Fluss, ein Fluss der Zeit, mehr noch: das Leben selbst. Der Kai, der meinen und deinen Geschichten innewohnt, ist ein Monstrum geworden, die Verkörperung eines faulenden, metastasierenden Staates. Der Sommer hier war absurd, im Krieg donnerte es wie noch nie, ein apokalyptischer Himmelsdonner, dann kam Regen, gefolgt von tropischer Hitze bis zum Umfallen, danach ein depressiver, unfruchtbarer Herbst, und jetzt ist es schon Winter, und der Schnee bedeckt die Entstelltheit der Welt. In diesem Weiß herrscht eine müde, kraftlose Ruhe, niemand weiß, was kommen wird.

      Ich weiß nicht, ob du es gemerkt hast: In unseren Briefen haben wir immer nur vom Alltag hier gesprochen, was ganz verständlich ist, denn dein Geist ist immer noch bei uns, während meiner in das Leben dort, wo du bist, nicht einmal flüchtigen Einblick genommen hat. Trotzdem wünschte ich, du würdest manchmal etwas mehr vom Alltag bei dir schreiben, obwohl das ruhige und geregelte Leben sicher nicht sonderlich inspirierend ist. Über meine Wirklichkeit gibt es nichts Wesentliches zu sagen: ein klinischer Tod, die Lebensfunktionen nur Schein. Vor ein paar Jahren ist die Stadt erwacht, um dann in einen noch tieferen Albtraum zu fallen. Neue Regungen sind nur ein schwacher Abglanz des Trubels von damals, ein letztes Zucken, bevor der Ertrinkende unter der Wasseroberfläche verschwindet. Die letzten Kräfte sind versiegt, es herrscht allgemeine Apathie, und ich, apathisch mittendrin. Eine Veränderung ist nicht in Sicht, solange der Westen sie nicht wirklich möchte, der aber scheint sie nicht zu wollen, er braucht etwas, was diesen Teil Europas destabilisiert, einen Raum, in dem er zu experimentellen und despotischen Zwecken Macht demonstrieren kann, worin der einzig wahre Sinn seiner Existenz liegt. Wie nach dem Krieg sehr schön zu sehen ist. Von wegen humanitäre Aktion, von wegen Demokratie, alles nur Beruhigungspillen für die öffentliche Meinung: Im Kosovo haben Henker und Opfer während der letzten Monate lediglich die Rollen getauscht. Die Zivilisation ist im Kosovo nie wirklich angekommen, die Uhren aller Nationalitäten dort ticken schon jahrhundertelang nach einer eigenen, besonderen Zeit. Nach und nach hat das Bedürfnis, dass ihre Zeit eine historische sein möge, sie verstellt, und am Ende sind sie alle stehengeblieben, wie gestorben.

      Die Depression ist die zwangsläufige Folge von allem. Um überleben zu können, muss man die Reaktions- und Empfindlichkeitsschwellen entweder auf Null setzen oder fast völlig ausschalten. Ich bin antriebslos, und um die Antriebslosigkeit zu besiegen, arbeite ich, die Arbeit zwingt mich, mich auf das, was ich tue, zu konzentrieren, nicht an mich zu denken. Ich habe tausend Verpflichtungen und noch mal ebenso viele, die ich erfinde. Das Leben, mein lieber Freund, ist ohnehin nur purer Schein, hier sogar nur noch ein Schein des puren Scheins, als hetzte ich ständig von Ort zu Ort, als wartete immer irgendwo anders etwas Wichtiges auf mich, in Wirklichkeit aber stehe ich auf der Stelle, bewege mich nicht vom Fleck und versinke in mir wie ein Stein. Und wenn sich irgendetwas um mich herum bewegt, dann irgendwie widerwillig, schleppend, das Elend steigt wie die Flut, so viele Mischungen aus Dummheit und Grauen auf so engem Raum. Was also soll ich dir sagen, ohne in einen pessimistischen Ton zu verfallen? Nichts. Besser sitze ich unter einer Weide und starre ins Wasser. Gibt es in Kanada Weiden? Über welchen Baum wirft man den Strick dort am häufigsten? Doch wohl nicht über den Ahorn. Ich bin verdrossen und finde alles sinnlos, oder genauer gesagt, was immer ich auch tue, hat keinen Sinn. Doch jetzt genug davon. Ich frage mich nur, wovon sich in deinem stabilen Umfeld dort die Unruhe nährt, welche guten Gründe du für die innere Nervosität findest, ohne die, wie du selbst weißt, Schreiben unmöglich ist. Hier ist es ganz leicht, ein Blick aus dem Fenster genügt, um an das Unglück zu denken, es rennt durch die Straßen. Ivana ist heute zum Beispiel noch vor Sonnenaufgang aufgestanden, um für Milch anzustehen, seit Tagen gibt es keine Milch mehr, nicht so schlimm, dann trinken wir eben Wasser, auch eine Flüssigkeit, die haben sie uns bis jetzt nicht abgedreht. Ich bin ebenfalls wach geworden und habe sofort begonnen, dir zu schreiben, geknickt, aus dem Zentrum des Chaos. Manchmal fühlt sich der Mensch wie ein Brunnen. Am Morgen gibt er her, was sich in der Nacht angesammelt hat.

      Vor ein paar Tagen ging hier ein literarisches Treffen zu Ende, stell dir mal vor, nach allem, was geschehen ist: Der Balkan in der Literatur – Ex-Jugos, ein paar Rumänen, Bulgaren und Griechen, die Albaner sind verständlicherweise nicht gekommen … Widerwillig bin ich zur Eröffnung gegangen, eine zwielichtige Schriftstellerschar, die kopflos umherirrt und versucht, ebenbürtigen Gestalten aus den Nachbarländern etwas zur Übersetzung unterzuschieben, als würde es irgendjemanden interessieren, als würde heute überhaupt jemanden irgendetwas interessieren, so viel Selbstproklamation, so viel Schaumschlägerei, so viel trauriges Streben danach, sich wichtiger zu machen, als man es in seiner völligen Bedeutungslosigkeit ist, alle tun höflich und brennen vor Interesse für das, was ihre Kollegen schreiben. Ein Nichts, ein großes Nichts, ein Jahrmarkt der Eitelkeit und des Unsinns. Und wieder einmal hat sich dort für mich bestätigt, was ich längst weiß: Schriftsteller brauchen die Illusion, dass irgendjemand ihr Schreiben braucht, sie brauchen also nicht das Schreiben, sondern die Illusion des Schreibens, sie sterben fast vor Höflichkeit und Wichtigkeit, dahinter aber ist nichts, ein großes Nichts, ein Schatten und Nichts, wie Sterija sagen würde.

      Ich bin müde und abwesend, ich lasse mich selbst längst in Ruhe, betrachte mich von der Seite, als betrachte ich einen fernen Unbekannten. Das alles ist ein pures Narrenspiel, Verrückt und Verwirrt im Bunde gegen blutdürstige und gierige Idioten, und die Übrigen, die noch eine Prise Verstand haben, sind ohnmächtig, betrachten alles von der Seite, schweigen und lächeln. Ein öffentlicher Irrsinn hat um sich gegriffen, regelmäßig verkündet uns das Fernsehen, dass wir in einem idealen Land leben. Ich reagiere nicht darauf, ich rühre mich nicht von der Stelle. Eine neue Rezession bricht an, ähnlich wie die, die du vor ein paar Jahren selbst durchlebt hast. Das Volk ist völlig verzweifelt und am Ende, es wird so früh dunkel hier, nichts Heiteres weit und breit. Vor ein, zwei Monaten haben meine Vorlesungen begonnen, und ich beschäftige mich gerade intensiv damit, mir hunderte falsche Gründe für die Existenz und die Existenzberechtigung von Literatur auszudenken.

      Ab

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