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Schlafwandlers zum Beispiel ist als solche keine freie Handlung; genauso wenig ist sein freier Wille in relevanter Weise im Vorfeld seiner Bewegung beteiligt. Deshalb kann er für das, was er beim Schlafwandeln tut, nicht verantwortlich gemacht werden. Falls er dagegen weiß, dass er eine Neigung zum Schlafwandeln hat, und es dazu kommt, dass er während einer solchen Episode jemanden erschießt, können wir ihn dafür verantwortlich halten, dass er keine vernünftigen Vorkehrungen dagegen getroffen hat. Er sollte beispielsweise keine Pistole auf seinem Nachttisch liegen lassen. Ebenso wenig mag die betrunkene Person frei handeln, sobald sie einmal stark berauscht ist, weshalb ihre Autofahrt im betrunkenen Zustand nicht als mit freiem Willen ausgeführt gelten mag. In dem Maße aber, in dem ihre ursprüngliche Entscheidung zu trinken von ihr kontrolliert wurde und sie keine Vorkehrungen dagegen traf, im angetrunkenen Zustand zu fahren (indem sie beispielsweise den Wagen zuhause ließ oder den Autoschlüssel einer anderen Person gab), war ihr freier Wille im Vorfeld dessen, was sie tat, beteiligt, und sie könnte deshalb dafür verantwortlich gemacht werden. Wie die Prozessanwältin Deborah C. England schreibt: „Trunkenheit ist keine Entschuldigung für kriminelles Verhalten, aber sie kann die angetrunkene Person des geistigen Vermögens berauben, diejenige Absicht auszubilden, die rechtlich erforderlich ist, um sie bestimmter Verbrechen für schuldig zu befinden.“ Sie fügt jedoch hinzu: „[S]ofern ein Verbrechen durch rücksichtsloses Verhalten oder Fahrlässigkeit definiert ist, wird Trunkenheit wahrscheinlich kein Verteidigungsgrund sein, weil vorhersehbar ist, dass der Genuss von Alkohol zu rücksichtslosem oder fahrlässigem Verhalten führt.“36

      Verantwortung ist selbstverständlich ein kompliziertes Problem (und auf jeden Fall ein anderes Thema), ebenso wie die Zuschreibung von Handlungen: Was genau bedeutet es, dass ein vorliegendes Ereignis oder Verhalten die intentionale Handlung eines bestimmten Akteurs ist?37 Mit diesen Problemen werde ich mich hier nicht im Detail auseinandersetzen können. Meine Anmerkungen sollten aber genügen, um die Unterscheidung zwischen der Willensfreiheit als einer Fähigkeit und der Ausübung dieser Fähigkeit anschaulich herauszustellen.

      Willensfreiheit als graduelles Phänomen

      Abschließend ist zu bemerken, dass wir die Willensfreiheit nicht als etwas auffassen müssen, das man entweder ganz oder überhaupt nicht hat. Wir können auch Fälle von einem nur partiell freien Willen anerkennen – entweder im Falle eines Handelnden oder im Falle einer spezifischen Handlung – bei denen nur eine oder zwei, aber nicht alle drei Bedingungen erfüllt sind; oder alle drei Bedingungen sind erfüllt, aber nur in einem begrenzten Maße. Vielleicht verfügt der oder die Handelnde nur in einem begrenzten Umfang über die zum Handeln notwendigen Fähigkeiten. Oder seine oder ihre kausale Kontrolle über eine bestimmte Handlung ist in irgendeiner Weise kompromittiert, wenn auch nicht vollständig abwesend.

      Wie gehen wir mit solchen Grenzfällen um? Wo genau ziehen wir die Grenze zwischen jemandem, dessen Wille frei ist, und dem, der keinen freien Willen hat? Und ebenso: Wo ziehen wir die Grenze zwischen Handlungen, die als frei ausgeführt zu gelten haben, und solchen, für die dies nicht gilt? Sobald wir die drei Bedingungen der Willensfreiheit vollständig präzisiert haben, sollten wir im Prinzip imstande sein, jeden Fall zu beurteilen, indem wir identifizieren, welche der drei Bedingungen erfüllt sind und welche nicht. Aber in der Praxis mag es mehrere Arten der „Präzisierung“ dieser Bedingungen geben: Wir können sie in einem strengeren oder einem weniger strengen Sinne deuten.

      In diesem Lichte betrachtet mag die Grenze zwischen freiem Willen und keinem freien Willen sowie jene zwischen frei ausgeführten und nicht frei ausgeführten Handlungen verschwommen sein. Wenn wir den Versuch unternehmen, Akteure und ihre Handlungen danach zu klassifizieren, ob sie „frei“ sind, mag es klare Fälle geben, bei denen wir uns rasch einig sind, aber auch umstrittene Fälle, bei denen unterschiedliche Deutungen der drei Bedingungen für einen freien Willen zu unterschiedlichen Urteilen führen. Eine striktere Deutung führt möglicherweise dazu, dass bei einem bestimmten Grenzfall nicht von freiem Willen die Rede sein kann, während man bei einer weniger strikten Deutung zu dem gegenteiligen Schluss kommen kann. Verschiedene Deutungen könnten zu verschiedenen Zwecken nützlich sein. Wir könnten aber auch einfach darauf verzichten, eine scharfe Grenze zu ziehen, und anerkennen, dass die Willensfreiheit ein graduelles Phänomen ist.

      Viele Begriffe weisen vage Grenzfälle auf. Denken Sie beispielsweise an glatzköpfig, groß und reich. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob jemand wirklich glatzköpfig, groß oder reich ist; verschiedene Deutungen dieser Begriffe legen unterschiedliche Antworten nahe. Dennoch ändert der Mangel an scharfen Grenzen nichts daran, dass es paradigmatische Anwendungsfälle dieser Begriffe gibt. Lord Voldemort in den Harry Potter-Verfilmungen ist wirklich glatzköpfig; einige Basketballspieler sind wirklich groß; und Bill Gates ist wirklich reich.

      Desgleichen möchte ich den bescheidenen Vorschlag machen, dass die von mir eingeführten drei Bedingungen, wenn wir sie so deuten, wie es im Großen und Ganzen auch der gesunde Menschenverstand tut, den freien Willen in seiner paradigmatischen Form charakterisieren und uns eine Richtschnur an die Hand geben, unter welchen Bedingungen eine Handlung als frei ausgeführt gelten darf. All das ist vereinbar damit, dass es anerkanntermaßen verschiedene Möglichkeiten gibt, wie bei Grenzfällen die Trennlinie zu ziehen ist, und dass die Erfüllung der Bedingungen manchmal gradueller Natur ist.

      Meine anfängliche Skizze der Bedingungen für einen freien Willen ist damit abgeschlossen. Ich habe dafür argumentiert, dass die Willensfreiheit, in ihrer paradigmatischen Form, eine dreiteilige Fähigkeit ist: Sie erfordert intentionales Handeln, alternative Möglichkeiten und kausale Kontrolle. Außerdem ist eine bestimmte Handlung dann frei ausgeführt, wenn die Handlung intentional ist, wenn der Handelnde anders hätte handeln können und die Handlung unter der kausalen Kontrolle des Handelnden ist. Ich wende mich nun der Frage zu, ob wir wirklich einen so verstandenen freien Willen haben.

      Kapitel 2

       Drei Herausforderungen

      Ich habe dafür argumentiert, dass jeder Besitzer eines freien Willens – eine Person etwa oder ein Organismus – ein intentionaler Akteur sein muss; dieser Akteur muss imstande sein, zwischen alternativen Möglichkeiten zu wählen; und er oder sie (oder es) muss die kausale Kontrolle über die resultierenden Handlungen haben. Aber können wir tatsächlich einen in diesem Sinne freien Willen haben? Wie passt die Willensfreiheit zu einer wissenschaftlichen Weltsicht?

      Es gibt mindestens drei Herausforderungen für den freien Willen. Ich werde sie „die Herausforderung des radikalen Materialismus“, „die Herausforderung des Determinismus“ und „die Herausforderung des Epiphänomenalismus“ nennen. Diese Herausforderungen beziehen sich im Wesentlichen auf die drei von mir formulierten Bedingungen der Willensfreiheit. Ziel dieses Kapitels ist es, diese drei Herausforderungen zu erläutern. Ich beginne mit der ersten Herausforderung, welche die Bedingung des intentionalen Handelns ins Visier nimmt.

      Die Herausforderung des radikalen Materialismus

      Wir können diese Herausforderung in dem folgenden einfachen Argument zusammenfassen. Es leitet die Nichtexistenz des freien Willens aus zwei Prämissen ab:

      Prämisse 1: Der freie Wille erfordert intentionales Handeln.

      Prämisse 2: Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es kein intentionales Handeln. Der Begriff des intentionalen Handelns ist ein Relikt aus der Alltagspsychologie sowie aus einer überholten wissenschaftlichen Psychologie und wird irgendwann zugunsten einer neurowissenschaftlichen Theorie menschlichen Verhaltens aufgegeben werden.

      Die erste Prämisse gibt die erste unserer drei Bedingungen für den freien Willen wieder. Die zweite Prämisse bringt die These des „radikalen Materialismus“ zum Ausdruck, die ich gleich näher erläutern werde. Es sollte offensichtlich sein: Wenn wir diese beiden Prämissen akzeptieren, dann müssen wir die folgende Konklusion akzeptieren:

      Konklusion: Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen freien Willen.

      Aber sollen wir die beiden Prämissen akzeptieren? Für die erste Prämisse habe ich bereits argumentiert. Wie steht es jedoch mit der zweiten

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