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Caesar ermordet wurde oder wann die Schlacht von Waterloo stattfand. „Die Geschichte der Welt“ in dem hier verstandenen technischen Sinn ist vielmehr die Folge aller vergangenen Zustände des Universums, von Anbeginn der Zeit bis zu dem Zeitpunkt, auf den sich unser Interesse richtet.18 Ein „Zustand des Universums“ wiederum ist eine vollständige mikrophysikalische Bestimmung von allem in der Welt zu einem gegebenen Zeitpunkt, einschließlich der Standorte und Impulse sämtlicher Teilchen und der Details aller physikalischen Kräfte. Der „Determinismus“ ist also die These, dass bei einer bestimmten Folge von vergangenen Zuständen des Universums bis zu jedwedem Zeitpunkt nur eine Fortsetzungsweise dieser Folge möglich ist: Alle nachfolgenden Zustände des Universums sind notwendige und unvermeidliche Konsequenzen der früheren Zustände.19

      Ein deterministisches Universum ist wie ein mechanisches Uhrwerk, wo alles, was geschieht, unerbittlich durch das determiniert ist, was zuvor geschah. So stellt Isaac Newtons Physik die Welt dar, indem sie eine bestimmte Menge von Naturgesetzen angibt, entsprechend derer die Bewegung einer jeglichen Klasse von Gegenständen durch ihre Anfangszustände vollständig determiniert ist. Sind beispielsweise die Anfangszustände aller Himmelskörper des Sonnensystems gegeben, so bestimmen Newtons Gesetze bis in alle Ewigkeit, was ihre zukünftigen Bewegungen sein werden. Im Zeitalter der Aufklärung war die Vorstellung des Universums als eines „Uhrwerks“ das geltende Paradigma. In einer berühmt gewordenen Passage trieb der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace diese Idee auf die Spitze:

      „Wir müssen also den gegenwärtigen Zustand des Weltalls als die Wirkung seines früheren und als die Ursache des folgenden Zustands betrachten. Eine Intelligenz, welche für einen gegebenen Augenblick alle in der Natur wirkenden Kräfte sowie die gegenseitige Lage der sie zusammensetzenden Elemente kennte, und überdies umfassend genug wäre, um diese gegebenen Größen der Analysis zu unterwerfen, würde in derselben Formel die Bewegungen der größten Weltkörper wie des leichtesten Atoms umschließen; nichts würde ihr ungewiß sein und Zukunft wie Vergangenheit würden ihr offen vor Augen liegen.“20

      Soweit wir wissen, gibt es keinen laplaceschen Dämon, wie diese hypothetische Intelligenz häufig genannt wird. Und gewiss gibt es keinen Sterblichen, der eine solche Intelligenz besitzt. Aber dennoch steht fest: In einem deterministischen Universum ist die Zukunft durch die Vergangenheit auch dann vorherbestimmt, wenn es niemanden gibt, der so intelligent und wohlinformiert wäre, dass er das, was geschehen wird, vorhersagen könnte. Was auch immer sich zu Anbeginn der Zeit, sagen wir, in den ersten Momenten nach dem Urknall, ereignet haben mag, es hätte genügt, um all das notwendig zu machen, was seither passiert ist.

      Wenn unser Universum diesem Bild entspricht, dann stand Ihre Wahl eines bestimmten Getränks zum Frühstück, Ihre Wahl eines bestimmten Partners, Ihre Wahl eines bestimmten Berufs und Ihre Wahl eines Urlaubsziels für den nächsten Sommer bereits fest, lange bevor Sie über diese Wahl nachgedacht haben. Ja, sie stand bereits lange vor Ihrer Geburt fest. Schließlich sind Sie Teil des Universums; und die physikalischen Bausteine, aus denen Ihr Gehirn und Ihr Körper bestehen, werden ebenso durch deterministische Naturgesetze bestimmt wie alles andere auch. In diesem Fall, so scheint es, wäre es falsch zu glauben, dass Sie anders hätten handeln können. Es gibt schlicht keine alternativen Möglichkeiten. Wenn das richtig ist, ist Ihr Leben wie ein Film, dessen Ende feststeht, bevor Sie im Kino Ihren Platz einnehmen. Das Leben läuft vor Ihren Augen ab, aber nirgendwo verzweigt sich der Weg.

      Aber ist die Welt wirklich deterministisch? Denn offensichtlich funktioniert das vorliegende Argument gegen den freien Willen nicht, wenn der Determinismus falsch ist. Und der Determinismus könnte ein Relikt einer aufklärerischen Weltsicht sein, das von der heutigen Wissenschaft nicht länger gestützt wird.

      Die besten Theorien von Raum und Zeit und physikalischen Makrosystemen, über die wir gegenwärtig verfügen, nämlich Albert Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie, halten zwar immer noch am Determinismus der newtonschen Physik fest, obwohl sie die newtonsche Theorie in Bezug auf andere Fragen ersetzt haben. Dagegen scheint die Quantentheorie, unsere beste Theorie physikalischer Systeme auf mikroskopischer Ebene, Raum für Indeterminismus zu lassen. Wenn beispielsweise ein Photon, ein Lichtteilchen, auf einen halbtransparenten Spiegel trifft und wir seine Bahn beobachten, dann gibt es eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass es reflektiert wird, und eine fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass es weitergeleitet wird. Nichts in der früheren Geschichte des Photons scheint festzulegen, welche dieser beiden Möglichkeiten zustande kommen wird. Hier sieht es so aus, als würde sich der Weg verzweigen. Ähnliche Beispiele ließen sich in Bezug auf andere mikrophysikalische Prozesse anführen. Radioaktiver Zerfall etwa ist anscheinend indeterministisch. Selbst wenn wir alles über die frühere Geschichte eines bestimmten Uranatoms wüssten, wären wir dennoch nicht in der Lage vorherzusagen, wann genau dieses Atom zerfallen wird. Der genaue Zeitpunkt des Zerfalls wird durch die frühere Geschichte des Atoms offengelassen.

      Genügt diese Beobachtung, um den freien Willen gegen die Herausforderung durch den Determinismus zu verteidigen?21 Die Antwort auf diese Frage ist ein entschiedenes Nein. Zunächst wird die Quantenmechanik selbst unterschiedlich interpretiert. Alle sind sich einig darüber, dass die Quantenmechanik eine Art von „Oberflächen-Indeterminismus“ befürwortet: Die zukünftige Flugbahn des Photons, wenn es auf den Spiegel trifft, lässt sich selbst dann nicht vorhersagen, wenn seine Vergangenheit vollständig bekannt ist. Genauso wenig können wir selbst bei vollständiger Kenntnis der vergangenen Geschichte eines Uranatoms vorhersagen, wann es zerfallen wird. Aber hier endet der Konsens. Während einige Wissenschaftler zu dem Schluss kommen, dieser Oberflächen-Indeterminismus beweise, dass die Welt prinzipiell indeterministisch sei (eine Ansicht, die durch die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik gestützt wird)22, bestreiten andere diese Folgerung. Von Einstein stammt der Ausspruch: „Gott würfelt nicht“, womit er nicht so sehr die Quantenmechanik selbst infrage stellte als vielmehr ihre in seinen Augen unbefriedigende indeterministische Interpretation.23

      Zu den Interpretationen der Quantenmechanik, die diesen Indeterminismus vermeiden, gehören jene, die von dem Konzept der sogenannten „verborgenen Variablen“ ausgehen, wonach die Unberechenbarkeit der Quantensysteme auf unserer Unkenntnis gewisser verborgener Variablen beruht, das heißt, bestimmter Bestandteile der Realität, die zwar objektiv existieren, aber nicht beobachtbar sind. Sie bestimmen sozusagen stillschweigend, wie sich das System entwickelt. Bei dem Beispiel des halbtransparenten Spiegels wird die verborgene Variable das Photon entweder auf den Kurs der Reflektion gebracht haben oder auf den Kurs der Transmission. Nur wissen wir vor der Durchführung des Experiments nicht, welchen Wert die verborgene Variable erhalten hat. Aus diesem Grund haben wir es hier mit einem Fall von Unvorhersehbarkeit zu tun – wir können also nicht vorhersagen, was mit dem Photon geschehen wird – aber, und das ist entscheidend, nicht mit einem Fall von Indeterminismus.

      Die Details solcher Interpretationen, die von verborgenen Variablen ausgehen, sind kompliziert. Wir wissen aus der mathematischen Physik, dass das Postulat „lokaler“ verborgener Variablen, die mit lokalen Prozessen wie etwa einzelnen Photonen verbunden sind, nicht generell funktionieren kann (ein Resultat, das aus der sogenannten „Bellschen Ungleichung“ folgt). Stattdessen müssten die verborgenen Variablen „global“ sein, das heißt, sie müssten mit dem physikalischen System als Ganzem verbunden sein. Ungeachtet dieser Details zeigt die bloße Möglichkeit einer deterministischen Deutung der Quantenmechanik, dass die Quantenmechanik als solche den Determinismus nicht ausschließt.

      Wichtiger noch ist indes, dass die besten physikalischen Theorien, über die wir gegenwärtig verfügen, nicht das letzte Urteil über die Naturgesetze fällen. Bekanntermaßen sind die Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie, die momentan besten Theorien mikroskopischer und makroskopischer Systeme, nicht miteinander vereinbar. Und es besteht kein Konsens darüber, wie man sie miteinander in Einklang bringen oder über sie hinausgehen könnte, sodass dieser Konflikt vermieden würde. Man muss deshalb fairerweise sagen, dass in der Frage, ob die große vereinheitlichte Theorie der Physik, wenn man sie denn jemals finden wird, die Welt als indeterministisch repräsentieren wird, das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

      Festzuhalten ist auch, dass der bloße Beweis des Indeterminismus der Welt auf irgendeiner mikroskopischen Ebene für die Verteidigung des freien Willens nicht genügt,

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