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die Realität intentionalen Handelns zu leugnen. Schließlich ist die Vorstellung, dass die Menschen intentionale Akteure sind, die sich mental ein Bild von der Welt machen und mit ihren Handlungen Ziele und Zwecke verfolgen, zentral für unser Verständnis menschlichen Verhaltens. Die Common-Sense-Psychologie, die wir im Alltag verwenden, um unsere Mitmenschen zu verstehen und uns in der sozialen Welt zurechtzufinden, baut auf dieser Vorstellung auf. Man bedenke nur die Rolle, die Begriffe wie Überzeugung, Wunsch, Präferenz und Absicht für unser Verständnis der Mitmenschen spielen. Selbst die einfachsten menschlichen Interaktionen wie etwa der Einkauf in einem Geschäft verlassen sich auf bestimmte Annahmen darüber, was andere Menschen denken, wollen, erwarten und beabsichtigen. Alle diese Begriffe sind mit der Vorstellung verbunden, dass Personen intentionale Akteure sind.

      Abgesehen von den täglichen Interaktionen stützen sich auch viele Theorien in den Sozialwissenschaften auf die Vorstellung intentionalen Handelns. Die Haushaltstheorie in der Volkswirtschaftslehre, um nur ein Beispiel zu nennen, betrachtet die Marktteilnehmer als rationale, nutzenmaximierende Akteure. Es wäre für uns praktisch unmöglich, menschliches Verhalten zu erklären und vorherzusagen, würden wir Menschen nicht als intentional Handelnde betrachten, die in ihrem Handeln durch Überzeugungen und Wünsche geleitet werden. Nichtsdestoweniger haben einige „materialistische“ Denker wie die beiden Neurophilosophen Patricia und Paul Churchland kraftvoll dafür argumentiert, dass diese Sichtweise nicht die beste wissenschaftliche Betrachtungsweise der menschlichen Psychologie ist.1

      Es wird weithin akzeptiert, dass die Phänomene der menschlichen Erkenntnis und des menschlichen Verhaltens letztlich das Resultat komplexer biologischer und physikalischer Vorgänge im Gehirn und Körper des Menschen sind. Auf einer ganz elementaren Ebene ist der menschliche Organismus eine biophysische Maschine. Viele Wissenschaftler und Philosophen sprechen sich für die als „Materialismus“ oder „Physikalismus“ bekannte Weltsicht aus. Dabei handelt es sich, grob gesprochen, um die Auffassung, dass alle in der Welt anzutreffenden Phänomene entweder selbst physikalische Phänomene sind oder zumindest das Resultat physikalischer Phänomene: Alles, so der philosophische Jargon, „superveniert“ auf dem Physikalischen. Ich habe diese Vorstellung bereits in der Einleitung erwähnt. Chemische Prozesse zum Beispiel sind auf physikalische Prozesse zurückzuführen; die Gesetze der Quantenmechanik untermauern die Art und Weise, wie Moleküle aus Atomen zusammengesetzt sind und aufeinander wirken. Biochemische Prozesse sind auf chemische und physikalische Prozesse zurückzuführen. Man denke an Vorgänge wie die Fotosynthese oder die Zellbiochemie. Die Biologie ist ein Produkt der Chemie, die ihrerseits ein Produkt der Physik ist. Psychologische Prozesse schließlich sind auf physikalische, chemische und biologische Prozesse zurückzuführen. Sie sind in einem physikalischen System realisiert, dem menschlichen Gehirn und Körper. Dieser Organismus funktioniert auf der Basis einer großen und komplexen Menge an chemischen Reaktionen, und das Gehirn und das Nervensystem verarbeiten Informationen mittels elektrischer Signale. Wenn wir eine physikalistische Weltsicht akzeptieren, haben wir keinen Grund zu glauben, dass das Gehirn und der Körper, und damit auch der menschliche Geist, außerhalb der Gesetze der Physik stehen. Sie werden vielmehr von denselben fundamentalen Gesetzen bestimmt wie der Rest der Natur. In eben diesem Sinne sind Menschen biophysische Maschinen.

      Bedenken Sie nun aber, dass es in physikalischen Systemen normalerweise keine Intentionalität gibt. Das heißt, solche Systeme besitzen keine mentalen Repräsentationen von der Welt, das heißt keine Überzeugungen, Ziele und Absichten. In physikalischen Systemen sind im Grunde genommen nur Mechanismen und gesetzesartige Strukturen zu finden. Intentionalität ist keine Eigenschaft physikalischer Systeme. Es wäre deshalb seltsam, anzunehmen, dass der menschliche Organismus, der ja selbst ein physikalisches System ist, eine Ausnahme darstelle und auf irgendeine Weise die Eigenschaft intentionalen Handelns erwerbe.

      Unsere Neigung, Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen Absichten zuzuschreiben, ist nach dieser Vorstellung einfach etwas, das sich in der Evolution als vorteilhaft erwiesen hat. Sie erlaubte es unseren Vorfahren, sich bestimmte Verhaltensregularitäten verständlich zu machen und diese vorherzusagen. Unsere Vorfahren stießen zufällig auf eine nützliche Fiktion, nämlich dass die Welt von intentionalen Akteuren bewohnt sei. Jäger, die das Verhalten ihrer Beute als zweckgerichtet deuteten, zum Beispiel, wenn sich ein Tier versteckte, waren erfolgreicher als andere Jäger, die das zielgerichtete Verhalten bei ihrer Beute übersahen. Als unsere Vorfahren darüber hinaus anfingen, ihre Mitmenschen als intentionale Akteure zu verstehen und sich gegenseitig mentale Zustände zuzuschreiben, verschaffte ihnen das Vorteile in ihrem Zusammenleben und bei der Koordination ihrer Tätigkeiten. Unter anderem ermöglichte es ihnen, zunehmend komplexe Gesellschaften zu bilden. Erinnern wir uns nur daran, wie wichtig es in unserem alltäglichen Leben ist, die mentalen Zustände anderer Menschen zu verstehen.

      Das ist die Erklärung für die Evolution der Alltagspsychologie in der langen Geschichte der menschlichen Spezies. Indes, so die Fortsetzung des Arguments, ändert die Nützlichkeit der gegenseitigen Zuschreibung von Intentionalität nichts an ihrer Fiktionalität, und in unseren besten wissenschaftlichen Erklärungen von Gehirn und Verhalten haben Zuschreibungen von Intentionalität keinen Platz. Selbst dann, wenn wir uns zu praktischen Zwecken weiterhin gegenseitig als intentionale Akteure verstehen, dürfen wir erwarten, dass Zuschreibungen von Intentionalität im Zuge eines immer weiter fortschreitenden Verständnisses der Biologie und Psychologie aus der Wissenschaft verschwinden werden.

      Betrachten Sie nur die Neigung unserer Vorfahren, vielen natürlichen Phänomenen Absichten und Zwecke zuzuschreiben. Nicht nur im Verhalten von Menschen und Tieren pflegten die Menschen intentionales Handeln zu sehen, sondern auch in vielen anderen empirischen Phänomenen, vom Wetter bis zur Pest. Intentionalität, so dachten sie, sei allgegenwärtig. Sie glaubten an die Existenz nicht greifbarer Akteure wie Geister und Dämonen, welche die materielle Welt beeinflussen konnten. Unsere Vorfahren mögen beispielsweise einen Sturm oder Blitz als eine Erscheinung betrachtet haben, in der sich die Absichten eines übernatürlichen Wesens äußern. In solchen Fällen hatte die ansonsten nützliche menschliche Disposition, die Welt intentional zu deuten, gewisse Nebenwirkungen: Sie führte zu einem Übermaß an Zuschreibungen von Intentionalität.

      Eine schöne Illustration dieser Tendenz zu einer übermäßigen Zuschreibung von Intentionalität liefert eine klassische psychologische Studie aus den 1940er Jahren.2 Die Teilnehmer wurden gebeten, die Bewegungen einfacher geometrischer Figuren in einem Animationsfilm zu beschreiben und deuten. Es fiel auf, dass sie dabei intentionale Begriffe verwendeten und diesen Figuren Zwecke und Motive zuschrieben, obwohl es sich dabei nur um Dreiecke und Kreise handelte, die sich auf dem Bildschirm herumbewegten. Wie Ilkka Pyysiäinen und andere festgestellt haben, könnte diese Tendenz, immer dann von Intentionalitätszuschreibungen Gebrauch zu machen, wenn wir bestimmte Bewegungsmuster sehen, erklären, warum der Glaube an übernatürliche Akteure bei Menschen so verbreitet ist.3 Menschen würden bestimmten Erscheinungen der natürlichen Welt, sei es ein Sturm oder eine Krankheit, eher Intentionalität zuschreiben, als dass sie diese auf rein physikalische, nichtintentionale Ursachen zurückführten.

      Zug um Zug hat die Wissenschaft den Bereich des „Intentionalen“ reduziert. Menschen betrachten wir immer noch als intentionale Akteure, und vielleicht tun wir dies auch im Falle von Katzen, Hunden und anderen komplexen Tieren, aber wir glauben im Allgemeinen nicht mehr an Geister und Dämonen, und was die meisten anderen natürlichen Phänomene angeht, so geben wir nichtintentionalen Erklärungen den Vorzug. Wie es die zweite Prämisse des kleinen Syllogismus am Anfang dieses Kapitels formuliert, nimmt die These des „radikalen Materialismus“ an, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis ein neurowissenschaftliches Verständnis des Gehirns die Intentionalität ganz aus der Wissenschaft verdrängen werde. Derzeit ist die Psychologie eine der letzten Bastionen des intentionalitätsgeladenen Diskurses in der Wissenschaft, aber der radikale Materialismus postuliert, dass die intentionale Begrifflichkeit schließlich komplett aus der Wissenschaft verschwinden werde. Philosophen bezeichnen diese These auch als „eliminativen Materialismus“.4

      Vertreter der materialistischen These wie Paul Churchland sind der Auffassung, dass die Alltagspsychologie ein „stagnierendes und degenerierendes Forschungsprogramm“ darstelle.5 Erstens lasse sie viele wichtige Fragen über das menschliche Gehirn und Verhalten unbeantwortet: Was ist die Erklärung für den Schlaf? Wie sind Wahrnehmungsillusionen

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