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glauben, dass die Ausübung des freien Willens etwas an sich Wertvolles sei. Daraus ergäbe sich, dass die sozialen Bedingungen, die Menschen mehr Freiraum für die Ausübung dieser Fähigkeit gewähren, unter sonst gleichen Bedingungen denen vorzuziehen sind, die ihnen weniger Freiraum dafür geben. Kurzum, wenn wir einen freien Willen haben und seine Betätigung wertschätzen, könnte dies ein weiterer Grund sein, auch gewisse Formen sozialer, politischer und ökonomischer Freiheit wertzuschätzen.26

      Die drei Bedingungen der Willensfreiheit

      Ich habe die Willensfreiheit als eine dreiteilige Fähigkeit charakterisiert: die Fähigkeit zu intentionalem Handeln, die Fähigkeit, zwischen alternativen Handlungsoptionen zu wählen, und die Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu kontrollieren.27 Diese Charakterisierung möchte ich nun präzisieren. Ich behaupte: Dafür, dass jemand oder etwas, sagen wir eine Person oder ein Organismus, einen freien Willen hat, müssen drei Bedingungen erfüllt sein. Ich werde sie „intentionales Handeln“, „alternative Möglichkeiten“ und „kausale Kontrolle“ nennen. Gehen wir sie eine nach der anderen durch.

      Intentionales Handeln: Jeder Besitzer eines freien Willens ist ein intentional Handelnder, dessen Intentionen hinter den fraglichen Handlungen stehen.

      Willensfreiheit ist also ein Merkmal intentionaler Akteure – von Akteuren mit Zielen und Zwecken – und nicht von nichthandelnden Entitäten. Menschen sind paradigmatische Beispiele für intentionale Akteure. Sie erfüllen diese Bedingung par excellence. Ja, sie sind dem Common Sense zufolge beispielhafte Besitzer eines freien Willens. Sofas, Fahrräder, Tomaten und andere unbelebte Gegenstände hingegen erfüllen diese Bedingung nicht. Sie sind keine Akteure wie Sie und ich, und sie kommen als Besitzer eines freien Willens überhaupt nicht infrage. Es ergibt keinen Sinn, solchen nichthandelnden Entitäten intentionales Handeln oder einen freien Willen zuzuschreiben. Wie könnte man davon sprechen, dass etwas einen „freien Willen“ hat, wenn überhaupt keine Rede davon sein kann, dass es einen „Willen“ hat?

      Wie der Theologe und Philosoph Jonathan Edwards in seinem 1754 erschienenen Buch Freedom of Will schrieb:

      „Das Subjekt, welches das Vermögen des Wollens oder der Wahl hat, ist der Mensch oder die Seele. […] Und er, der die Freiheit hat, seinem Willen gemäß zu handeln, ist der Handelnde oder Tätige, der diesen Willen besitzt. […] Frei zu sein, ist die Eigenschaft eines Handelnden, der Fähigkeiten oder Kräfte besitzt, ebenso wie schlau, tapfer, freigebig oder eifrig zu sein. Aber diese Qualitäten sind die Eigenschaften von Menschen oder Personen.“28

      All dies wirft natürlich die Frage auf, was genau ein „Handelnder“ oder „Akteur“ ist und was es heißt, dass etwas die intentionale Handlung eines Handelnden ist und nicht bloß ein physikalisches Ereignis oder Verhalten. Diese Fragen kann ich nicht gleich zu Beginn beantworten, aber ich werde auf sie an verschiedenen Stellen dieses Buches zurückkommen. Die grundlegende Behauptung, dass es ohne intentionales Handeln keinen freien Willen gibt, sollte jedoch auf jeden Fall unstrittig sein.

      Ich wende mich nun der zweiten Bedingung für einen freien Willen zu:

      Alternative Möglichkeiten: Jeder Besitzer eines freien Willens steht, zumindest in relevanten Fällen, vor der Wahl zwischen zwei oder mehr alternativen Handlungen: Jede dieser Alternativen ist eine genuine Möglichkeit für den Handelnden.

      Das ist die berühmte „hätte-anders-handeln-können“-Klausel. Es ist eine vertraute Vorstellung, dass die Wahl, die jemand trifft, nicht frei ist, wenn der Handelnde nicht anders hätte wählen können. Meine Entscheidung heute früh für Kaffee und gegen Tee war zu einem Teil deshalb frei, weil ich anders hätte wählen können. Mich für Tee zu entscheiden, war für mich eine genuine Möglichkeit. Ebenso war meine Berufswahl – in dem glücklichen Umfeld einer wohlhabenden Gesellschaft – zu einem Teil deshalb frei, weil ich einen anderen Berufsweg hätte einschlagen können. Ich hätte etwas anderes werden können als Professor. Gewiss, meine Berufswahl war durch meine Chancen und Fähigkeiten eingeschränkt. Ich hätte kein Künstler oder Leichtathlet werden können, um nur zwei von sehr vielen Beispielen zu nennen. Und ich wäre vermutlich gescheitert, wenn ich Finanzmakler geworden wäre, weil ich für so einen Job nicht die richtige Persönlichkeit und auch nicht die richtigen Fertigkeiten mitgebracht hätte. Davon abgesehen sind die meisten Menschen, wenn auch leider nicht überall, so zumindest in wohlhabenden Gesellschaften, nicht auf eine einzige mögliche Laufbahn für ihr ganzes Leben festgelegt. Gerade weil wir im Prinzip zwischen mehreren Optionen wählen können, haben wir alternative Möglichkeiten.

      Die Möglichkeit, anders zu handeln, springt uns vor allem dann ins Auge, wenn jemand einem anderen ein Unrecht antut. Ein Mörder ist, zu einem Teil, deshalb für seine Handlung verantwortlich, weil er, wie wir zumindest gewöhnlich annehmen, anders hätte handeln können.29 Es war ihm möglich, den Mord zu unterlassen. Ja, er hätte anders handeln sollen. Und wenn es ihm wirklich unmöglich war, anders zu handeln – zum Beispiel aufgrund von psychischem Zwang –, dann wäre er „infolge einer psychischen Erkrankung nicht schuldig“, wie es in manchen Rechtsprechungen heißt. Er wäre dann kein Fall für die Strafjustiz, sondern für die Psychiatrie.

      Es lohnt sich gleichwohl, einen Augenblick innezuhalten und zu überlegen, ob alternative Möglichkeiten für die Willensfreiheit tatsächlich notwendig sind. Denn genau das haben einige Philosophen bestritten. Daniel Dennett zum Beispiel erinnert an die Geschichte von Martin Luther, dem Kirchenreformator.30 Luther provozierte die katholische Kirche, indem er einige ihrer Lehren und Praktiken, wie etwa den Ablasshandel, kritisierte. Als er 1521 zum Reichstag nach Worms geladen und aufgefordert wurde, seine Kritik an der Kirche zu widerrufen, stand Luther zu den von ihm vertretenen Auffassungen und soll gesagt haben: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“

      Soll das heißen, dass Luther leugnete, einen freien Willen zu haben? Wenn Willensfreiheit alternative Möglichkeiten erfordert, mag dies auf den ersten Blick so aussehen. Aber das wäre gewiss die falsche Schlussfolgerung. Luther leugnete keinesfalls den freien Willen, vielmehr übernahm er für sein Handeln die Verantwortung, indem er behauptete, dieses ergebe sich zwangsläufig daraus, wer er ist. Wenn aber das Übernehmen der Verantwortung für die eigenen Handlungen für einen freien Willen ausreicht, so scheint es, bedarf es dafür keiner alternativen Möglichkeiten. Ein intentional Handelnder zu sein, der sich zu seinen Handlungen bekennt, wäre stattdessen die zentrale Bedingung.

      Die Geschichte von Luther kann aber auch anders gedeutet werden. Nach einer plausibleren Lesart sagte nämlich Luther nicht, dass es für ihn im buchstäblichen Sinne unmöglich war, anders zu handeln, sondern dass er nicht anders handeln konnte, ohne seine Integrität zu opfern. Hätte er anders gehandelt, wozu er die Fähigkeit gehabt hätte, hätte er seine eigenen Werte verraten und wahrscheinlich hätte er seine Wahl bereut. Es ist nicht so, dass er keine alternativen Möglichkeiten hatte; er hat diese Möglichkeiten nur nicht gutgeheißen.31

      Aus diesem Grund liefert die Geschichte von Luther kein Gegenbeispiel zu der Behauptung, dass der freie Wille alternative Möglichkeiten erfordert. Diese Geschichte stimmt vielmehr vollkommen mit der Behauptung überein, dass die beiden von mir eingeführten Bedingungen – intentionales Handeln und alternative Möglichkeiten – für einen freien Willen nötig sind. Deshalb werde ich auch davon ausgehen, dass es eine Verwässerung des freien Willens bedeuten würde, wenn man auf die Bedingung alternativer Möglichkeiten verzichtete.

      Wenden wir uns nun der dritten Bedingung zu:

      Kausale Kontrolle: Die relevanten Handlungen des Besitzers eines freien Willens sind nicht bloß durch bestimmte nichtintentionale physikalische Vorgänge verursacht, sondern durch die geeigneten mentalen Zustände, insbesondere die hinter den Handlungen stehenden Intentionen.

      Damit eine Handlung in einem genuinen Sinn unsere eigene Handlung ist, müssen wir die kausale Kontrolle über sie haben.32 Ereignisse, über die wir keine Kontrolle haben, liegen nicht in unserer Hand; sie fallen nicht in den Bereich unseres eigenen freien Willens. Die Kontrolle über unsere Handlungen zu haben heißt darüber hinaus nicht nur, dass sie von physikalischen Vorgängen im Gehirn oder im Körper verursacht werden. Wir würden nicht sagen, dass wir die Kontrolle über unsere Körperreflexe haben, obschon sie durch

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