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das eine blöde Situation. Soll man rausgehen und schauen, wo sie bleibt? Wenn man nackt ist? Rufen fände ich unhöflich. Nein, stillhalten und abwarten. Die Zeit nützen, im Kopf nochmal die Gepäckliste durchgehen. Überlegen, ein Packerl Einwegfußsohlen zu klauen, falls es im Flugzeug keine Schlafbrillen gibt. Irgendwie war es außerhalb meiner Kabine verdächtig ruhig. Ist die heimgegangen und hat mich nackt im Soli eingesperrt? Vergessen?

      Dann endlich hörte ich die erlösende Stimme. Offenbar musste sie noch ein dringendes Telefonat beenden. »Nein, Jäcki. Heute muss i hackeln und kann nicht chillen kommen. Nach der Hacke muss ich zu meinen Oiden, die machen voll den Terror wegen den scheiß Weihnachtsfest, Oida!«

      DEM! Es heißt dem scheiß Weihnachtsfest, dachte ich mir. Die soziale Talfahrt beginnt immer mit der unsachgemäßen Verwendung des dritten und vierten Falls. Wem oder was. Die Kontrollfrage für den Dativ lautet: »Wem oder was?« Aber ich stand nackt und mit erhobenen Händen in der Box, nicht gerade die beste Position für schlaue Belehrungen.

      »Okay, ich muss Schluss machen«, sagte sie dann, »hör’ ma sich später.« Auch das kein ganz korrekter Gebrauch eines Reflexivpronomens, doch auch diese kleine Spitzfindigkeit verkniff ich mir.

      Dann ging es los. Sie kam zu mir in die Kabine rein und schraubte an einen Schlauch mit einer Sprühdose dran einen von drei Kanistern, die in der Kabine bereitstanden. Sie bat mich, die Arme seitlich vom Körper wegzustrecken, und fuhr mehrfach mit der Sprühdüse rauf und runter. Als sie fertig war und ich mehrfach gewendet wie ein Schnitzel beim Panieren, kam der obligatorische Standventilator zum Einsatz. Da heißt es dann: ruhig stehen bleiben und trocknen. Beim Trocknen fiel mir die Farbe zum ersten Mal als seltsam auf. So hatte das bisher noch nie ausgesehen. Aber das künstliche Licht war auch schlecht und ich vertagte die Inspektion auf daheim. Bei besserem Licht. Daheim dann riss der Gatte zuerst die Tür und dann die Augen weit auf. Ob ich durch den Rauchfang gerutscht sei? Oder zu nah hinter einem LKW spaziert? Das alles klang für mich nicht unmittelbar beruhigend und ich suchte sofort das Badezimmer auf. Und tatsächlich! Eine metallisch blau-schwarze Schicht überzog meinen gesamten Körper. Besonders stark metallisch schimmerte es im Gesicht, auf dem Kinn und an der Oberlippe! Ich hatte einen Sprühbart!

      Schon ahnte ich die Wurzel des Übels: Hatte sich die engagierte Soli-Mitarbeiterin in der Farbe geirrt? Wurde mir statt »Middle European« der Farbton »African« aufgetragen? Der Gatte lachte laut. Er musste sich erst einfinden in seiner neuen Rolle als Gatte der Magda aus »Verrückt nach Mary«. Googelt die mal, dann wisst ihr, wer gemeint ist!

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      Es folgt ein Tinder Screenshot mit Profilbild. Prinz, 43, posiert im Halbdunkeln auf Waschbetonplatten neben einem Holzstoß. Vorher dürfte er noch schnell den Boden für das Foto hergerichtet haben, weil ein blauer Besen lehnt noch am Holzstoß. Er trägt eine Haube, es scheint kalt zu sein. Verstörend ist, dass auf der Haube kleine Bärliohren wegstehen. Noch verstörender ist, dass er eine Langwaffe im Arm hält. Flinte, Schrotgewehr, so was in der Art.

      Sicherheitshalber habe ich mir die Farbe daheim dann doch wieder abgewaschen. Der volle Farbton entwickelt sich nämlich beim Airbrush-Tanning erst nach sechs bis acht Stunden. Mir hat der Sprühbart schon gereicht, ich wollte bei der Passkontrolle in Thailand keinen Vollbart rechtfertigen müssen. Also habe ich alles wieder abgewaschen und zugeschaut, wie der blauschwarze African-Schimmer in den Abfluss der Badewanne geronnen ist.

      Deswegen liege ich jetzt wieder schneeweiß auf meiner Liege unter Palmen. Farblich bin ich eins mit dem hellen Sandstrand und der cremefarbenen Aufliege der Liege. Ohne das bunte Handtuch würde am Ende gar keiner sehen, dass da schon länger wer liegt …

      Wenn du nach stundenlanger Verweildauer mal wieder von deiner Liege aufstehst und dir dann ganz laut eine Naht im Oberteil reißt, ist das nur halb so schlimm. Weil wirklich schlimm ist es, wenn sich dieser Riss anhört wie ein Pups! Die Kölner (meine Vermutung, sie klingen nämlich wie Big Brother Jürgen) links von mir glauben jetzt, dass ich spontan aus meinem Gewand rausgeplatzt bin, während die Bayern (die sind zweifelsfrei als solche zuordenbar) rechts die Nase rümpfen und mich für eine Schoasserin halten.

      Würde irgendjemand auf der Welt Sport machen (also anstrengenden mit Schwitzen und so), wenn es eine Pille gäbe, mit der man alle Ziele, die man mit Sport erreichen will, auch so erreichen kann? Zum Beispiel auf der Couch oder im Bett? Das diskutierte ich kürzlich mit einer Freundin und wir waren uns bei der Antwort sehr einig …

      Hier im Hotel gibt es offenbar auch solche sportlichen Neigungsgruppen. In der Früh beim Frühstück kommen die schon top ausgestattet daher und bedrängen dich mit ihrer subtilen Sportausstrahlung. Während ich meine Pancakes mit reichlich Milchreis übergieße (die haben da Kokosmilchreis!), stehen die Supersportis beim Sprossenbuffet (Superfood!) und häufen Tomaten auf ihre Tellerchen. Ist das vielleicht wie bei den Haustieren? Dass man langfristig beginnt, sich zu ähneln? Also ich meine jetzt Frühstücksteller und Besitzer.

      Die Frühstücksteller der Sportler sind gesund, knackig und mit roten Backen … Bei mir ist alles weich (Pancakes) und weiß (Milchreis).

      Und am Ende wartet da wieder das schlechte Gewissen. Wieso bin ich nicht schon sporteln? Stattdessen liege ich faul am Strand rum und träume von meinem sportlichen Alter Ego. Dabei blättere ich in der aktuellen Ausgabe von Woman, einem österreichischen Frauen- & Lifestyle-Magazin. Für die Ausgabe zum Jahresende haben sie online nach Frauen gesucht, die darüber berichten, was sie im nächsten Jahr gerne Neues ausprobieren würden. Weil ich schnell bin in Sachen-ausprobieren-Wollen, habe ich mich gleich gemeldet und lese jetzt das Interview mit mir selbst und meinen drei Ausprobier-Vorsätzen:

      1. Sie würde gerne ein Buch schreiben.

      2. Einen Halbmarathon im Ausland laufen. (Anmerkung der Autorin: Überhaupt mal Sport in Erwägung zu ziehen wäre hierbei sehr hilfreich!)

      3. Eine Kolumne in einem Magazin über Bücher schreiben.

      Was Punkt 2 betrifft, fällt mir die Sache mit der Pille wieder ein. Das Einzige, wo ich mir vorstellen kann, dass Sport wirklich Spaß macht, ist, wenn man so einen Hobbyfußballverein hat. Wo man zuerst mit Freunden spielt und nachher viel trinken geht. Aber erstens kann ich nicht Fußball spielen und zweitens wären mir 90 Minuten ehrlich gesagt auch schon wieder zu lang. Mir würde eine alkoholunterstützte Literaturgruppe auch reichen.

      Er hat jetzt einen neuen Freund. Bereits zum dritten Mal beobachte ich dieses seltsame Treiben. Er kommt immer zur gleichen Zeit, zwischen Nachmittagsjause und -cocktail. Meine Zeitrechnung hat sich mittlerweile komplett auf Mahlzeiten umgestellt. Er trägt einen braunen Korb mit sich, so einen geflochtenen, wie wir ihn in der Steiermark zu Ostern zur Fleischweihe vorne in die Kirche stellen. Mit einem gestickten Kreuzstich-Deckerl drüber und wohlriechendem Selchfleisch drinnen.

      Ohne die lokalen Thai-Sitten und -Gebräuche hier näher zu kennen, schließe ich aus, dass der Thai-Mann Geselchtes, Kren und Eier feilbietet. Bisher habe ich ihn immer knapp versäumt, entweder war ich grad im Wasser oder auf dem vergnügten Weg von oder zur Cocktailbar.

      »Wer ist denn das, mit dem du da immer sprichst?«, frage ich den Gatten. »Das ist Momo«, sagt er. »Momo and his spices.«

      Warum er jetzt englisch mit mir redet, weiß ich nicht. Aber »Spices« verstehe ich gerade noch. Ich bin ein Kind der 90er. Ginger Spice, Sporty Spice, Baby Spice. Ich kenne sie alle.

      »Willst du Gewürze kaufen?«, frage ich. Notiz an mich selbst, googeln, ob Thailand für Gewürze bekannt ist. »Und falls ja«, füge ich hinzu, »was machst du mit denen? Die Kartoffelsuppe vom Buffet nachwürzen?« – »Nein, ich tratsche nur freundlich mit dem Mann«, sagt er. »Aber wenn du so lange redest, musst du dann nicht auch was kaufen?« Ich arbeite im Verkauf, mehr oder weniger. Ich kenne alle Schmähs: persönliche Beziehung herstellen, Verbindlichkeit

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