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Kurven-Rebellen. Christoph Ruf
Читать онлайн.Название Kurven-Rebellen
Год выпуска 0
isbn 9783730700709
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Am 28. Januar 2013 um 17 Uhr 30 blickten die Zuschauer im Stuttgarter Stadion wie gebannt Richtung Block 61. Dort reckten tausende Bayern-Fans eine aufwendig gestaltete Stoffbahn der Schickeria in die Höhe. Die Aufschrift erinnerte an einen Mann, der fast schon in Vergessenheit geraten war: Richard „Dombi“ Kohn. Unter der Regie des jüdischen Coachs holten die Bayern 1932 den ersten von mittlerweile 23 nationalen Meistertiteln. „Ein tolles Erlebnis“, fand Eberhard Schulz von der Evangelischen Versöhnungskirche in Dachau, der mit den Münchner Fans nach Stuttgart gereist war. „Das Engagement der Schickeria gegen Rassismus und Antisemitismus ist absolut glaubwürdig“, sagt Schulz, der den „Erinnerungstag“ des deutschen Fußballs initiiert hat, mit dem an diesem Wochenende in vielen Stadien des Holocausts gedacht wurde. Die Schickeria sei seit Jahren Mitglied im antifaschistischen europäischen Fan-Netzwerk FARE („Football against racism in Europe“).
Wenige Tage zuvor waren 200 Gäste ins FCN-Vereinszentrum gekommen, um zu hören, was Evelyn Konrad, Tochter des einst von den Nazis vertriebenen Coachs Jenö Konrad, über ihren Vater zu berichten hatte. Dass die eloquente 84-Jährige überhaupt in die Stadt zurückkehrte, die sie als Dreijährige verließ, ging auf eine Initiative der Gruppe „Ultras Nürnberg“ zurück. Acht Wochen lang arbeiteten mehrere Dutzend von ihnen an der Choreografie zum Gedenken an Jenö Konrad: Sie nähten schwarze und rote Stoffbahnen zusammen und verteilten auf Tausenden von Stadionsitzen verschiedenfarbige Pappen, die emporgereckt ein gigantisches Mosaikbild ergaben. Am 17. November schließlich präsentierten sie zum Heimspiel gegen den FC Bayern eine Choreografie, die mehrere tausend Euro gekostet hatte. „Diese Geste gegen Antisemitismus und Rassismus wurde medial fast nicht gewürdigt“, sagt FCN-Manager Bader. Es sei aber ein „Gebot der Redlichkeit“, dass sich nun nicht ausschließlich der Verein für seine Aktivitäten feiern lasse: „Ohne das Engagement der Ultras wären wir nicht so konsequent aktiv geworden.“
Ähnlich würden sich wohl die Manager vieler anderer Profivereine äußern. Die „Supporters“ des Bundesligisten Hamburger SV finanzierten 2007 und 2008 die Sonderausstellung „Die Raute unter dem Hakenkreuz“. Beim Lokalrivalen FC St. Pauli sorgte die Fanbasis-Organisation „Arbeitsgemeinschaft interessierter Mitglieder“ für die Umbenennung des Stadions, das bis 1998 nach einem NSDAP-Mitglied benannt war. Auch der Beitritt des Vereins zum Entschädigungsfonds jüdischer Zwangsarbeiter geht auf eine Faninitiative zurück. In Mainz sorgte der Fan-Dachverband „Supporters“ dafür, dass die Zufahrtstraße zum neuen Stadion nicht „Arenastraße“ (wie von der Politik geplant) heißt. Sie trägt nun den Namen des nach Auschwitz deportierten ehemaligen Mainz-05-Präsidenten Eugen Salomon. Keine Einzelfälle, der Hamburger Journalist Werner Skrentny führt in seinem Buch „Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet.“ viele weitere Beispiele dafür auf, wie sich Fans für eine ehrliche Erinnerungskultur engagieren. Herumgesprochen hat sich das allerdings scheinbar noch nicht; das Image von Fußballfans und insbesondere der Ultras könnte schlechter kaum sein.
Wenn man Christian Mössner von Ultras Nürnberg mit dieser Feststellung konfrontiert, schaut man in ein Gesicht, das neben Genugtuung auch ein wenig Trotz verrät. Mössner spricht von „Medienhetze“ und betont, dass sein Selbstwertgefühl nicht von einer Schlagzeile abhänge. „Auch dann nicht, wenn die ausnahmsweise mal positiv ausfällt.“
Immer wieder fragt sich Mössner allerdings, warum das Negativimage der Ultras auch politisch konnotiert ist, warum so viele Menschen davon ausgehen, dass in den deutschen Fankurven der Rechtsradikalismus fröhliche Urstände feiert. „Eines steht mal fest“, sagt Mössner, „wenn bei uns in der Kurve ein antisemitischer Spruch zu hören ist, wird das auf dem kürzesten Dienstweg unterbunden.“ Was Mössner von der Nürnberger Fanszene berichtet, lässt sich durchaus verallgemeinern. Seit die Ultra-Szene etwa Mitte der neunziger Jahre zur dominanten Jugendkultur in den Stadien wurde, sind rechte Slogans in den allermeisten Stadien tabu. Es ist heute weitgehend undenkbar, dass irgendwo in der ersten oder zweiten Liga rassistische Gesänge erschallen. Ein Verdienst von Leuten wie Mössner und Simon. Ob sich beide kennen, ist nicht überliefert, aber beide würden bei einem persönlichen Treffen in den meisten Punkten einer Meinung sein. Sie würden dennoch kein Bier miteinander trinken – auch darin wären sie sich einig. Schließlich ist der eine Nürnberger Ultra – und der andere Münchner.
HORIDOS FÜRTH
STRESS MIT DER NACHBARSCHAFT
Fürth ist ein nettes Städtchen. Die Stadt mit ihren verwinkelten Gässchen und schönen Altstadtfassaden, nett. Auch Fürths Fußballverein ist, wie könnte es anders sein, nett. Es gibt hier selbstgebackenen Kuchen im Presseraum und auf allen vier Tribünenseiten fast nur friedliche Menschen, die das Spiel nicht gerade euphorisch, aber mit Sympathie verfolgen. Von „15.000 netten Fürthern“ wird allerdings auch Cheftrainer Frank Kramer nach dem Heimspiel gegen Hannover sarkastisch sprechen, als er sich über die Fehlentscheidungen des Referees aufregt. Nette Fürther sind nicht so gut darin, den Schiedsrichter unter Druck zu setzen wie 80.000 Dortmunder oder 65.000 Schalker, meint Kramer, dem nicht als Einzigem aufgefallen ist, dass sein Verein in seiner Bundesligasaison doch ziemlich oft benachteiligt wurde. Das Wort „nett“ ist vergiftet, man verbindet nur vordergründig etwas Positives damit. Und assoziiert: „harmlos“, „naiv“, vielleicht sogar „Opfer“.
Auch Fürths Ultras sind ungeheuer nett. Und das ist nun wirklich ein Problem. Denn Ultras wollen vieles sein, aber garantiert nicht „nett“. Journalisten bemerken immer wieder den gleichen Reflex. Lobt man einem Ultra gegenüber das Verhalten seiner Gruppe und vergleicht es mit dem einer anderen, betont er mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit, dass auch seine Gruppe schlimme Dinge tue und er selbstredend nicht das Recht habe, das Verhalten anderer Gruppen zu bewerten.
Bei der Fürther Ultra-Gruppe „Horidos“ ist das ähnlich. Dass sie in den zurückliegenden 18 Monaten schon dreimal – mutmaßlich von Anhängern des benachbarten 1. FC Nürnberg – überfallen und ausgeraubt wurden, bestreiten sie dann aber nicht. Trotzdem haben sie nicht die geringste Lust auf Racheakte. Die würden wohl auch nicht viel bringen. Die Nürnberger Ultras, die ihnen den Krieg erklärt haben, sind einfach hoffnungslos überlegen. Zahlenmäßig und physisch. Weshalb man sich fragen könnte, warum sich so viele Nürnberger ausgerechnet an den „kleinen“ Fürthern abreagieren müssen, zumal die Nürnberger ja schon eine anstrengende Feindschaft mit den Ultras des FC Bayern unterhalten, die von beiden Seiten liebevoll gepflegt wird. Man kann mit einem 17-jährigen Nürnberger Ultra sprechen oder mit einem 67-jährigen Clubberer im „Bahnhof Dutzendteich“, wo sich nach dem Spiel die traditionelleren Die-hard-Fans treffen. Es ist, wie es ist: Viele FCN-Fans bekommen Schaum vor den Mund, wenn sie auch nur auf den grün-weißen Verein aus der Nachbarstadt angesprochen werden. Rivalität? Das Verhältnis zwischen Fürth und Nürnberg ist dann doch eher eine echte Feindschaft.
Das mag überraschend sein, schließlich stehen sich im Gegensatz zu den Rivalen Schalke/Dortmund, HSV/St. Pauli oder 1860/Bayern hier nicht zwei große, über Jahrzehnte gewachsene Fanszenen gegenüber, sondern die große des FCN und eine sehr junge, zahlenmäßig sehr überschaubare Anhängerschaft der Fürther, die nach einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf (in den Achtzigern spielte das Kleeblatt dritt- oder viertklassig) ab der Jahrtausendwende mit der Etablierung des Kleeblatts in der zweiten Liga allmählich heranwuchs. Doch die gegenseitige Abneigung, die schon in den zwanziger Jahren entstand, als beide Vereine den deutschen Fußball dominierten, scheint zwei Generationen überdauert zu haben und heute die 20-Jährigen auf beiden Seiten anzutreiben.
Allerdings geht die Gewalt in diesem Fall fast ausschließlich von einer Seite aus. Immer und immer wieder. Und in einer Vehemenz, dass bundesweit Ultras den Kopf schütteln. Dass Fürth und Nürnberg so nah beieinanderliegen, dass sie nur durch eine U-Bahn-Station mit dem programmatischen Namen „Stadtgrenze“ getrennt sind, hat deutliche Nachteile für die Fürther Szene: Es kommt vor, dass nachts an Fürther Wohnungstüren geklingelt wird, hinter denen keiner aufmachen will.
Doch beschränken wir uns auf die offiziell registrierten Vorfälle. Im Dezember 2011 gewann der damalige Zweitligist Greuther Fürth das Pokal-Achtelfinale in Nürnberg. Nürnberger Ultras versuchten unmittelbar nach dem Schlusspfiff, über den Stadioninnenraum die