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Kurven-Rebellen. Christoph Ruf
Читать онлайн.Название Kurven-Rebellen
Год выпуска 0
isbn 9783730700709
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Simon, ein Mann um die 30, ist seit Kindheit Bayern-Fan, schon als kleiner Junge war er fasziniert von „der Kurve“. Und er weiß, dass er damit als Bayern-Fan in der Allianz Arena ein Problem hat. Seine Ultra-Gruppe, die Schickeria, hat sich im Laufe der Jahre bundesweit gehörigen Respekt erarbeitet. Zum einen, weil sie wie kaum eine zweite mit Widerständen aus dem Verein und der eigenen Fanszene leben muss. Zum anderen, weil die Schickeria viele Debatten angestoßen und vorangetrieben hat, die später auch andere Szenen beeinflusst haben. Auch in anderen Szenen urteilt man über die Schickeria so wie Simon, der meint: „Wir könnten eine krasse Gruppe sein, wenn uns nicht ständig Knüppel zwischen die Beine geworfen würden.“
Doch die Knüppel werden immer mehr. Da dem Verein offenbar jeder Fan lieber ist als einer, der sich als Ultra versteht, kann die Schickeria nur einen Teil ihrer Anhänger auch ins Stadion mitnehmen. Im eigenen Stadion werden sie als kleine eifrige Randgruppe wahrgenommen, die im Meer all jener Leute unterzugehen droht, die allenfalls dann aufspringen und klatschen, wenn ein Tor fällt oder irgendein Sponsor Klatschpappen verteilt hat, diese lärmende Menschheitsgeißel für Leute, die schon so lange ihre Samstagabende mit Carmen Nebel und Markus Lanz verbringen, dass sie rhythmisches Klatschen auf Kommando für die pure Lebensfreude halten.
Simon sagt, er könne das alles ausblenden, die Konsumfans, die Stille im Stadion, die Deppenmusik, wenn ein Tor gefallen ist. Überhaupt will er sich nicht allzu kritisch über die anderen Fans äußern. Zu viele von denen denken sowieso, dass die Ultras mit ihrem politischen Ansatz und ihrem Dauer-Support nicht so recht zur sonstigen Fanszene passen. Und die Offiziellen haben in den letzten Jahren vieles dafür getan, um den schlichten Gegensatz „gute Fans / böse Ultras“ immer wieder neu zu betonen. Wer sich kritisch zur Vereinspolitik äußert, ist schon mal per se Ultra. Selbst wenn er tatsächlich vom „Club Nr. 12“ stammt und mit Ultra nicht allzu viel zu tun hat.
„Ich glaube, wir tun gut daran, selbstkritisch zu sein und unsere eigene Kommunikation zu verbessern“, sagt Simon. „Wir vermitteln unseren Jungen schon das Bewusstsein, dass jeder im Stadion seine Daseinsberechtigung hat, dass wir nur dann Respekt einfordern können, wenn wir ihnen Respekt entgegenbringen.“ Wenige Monate später, im August 2013, wird die Gruppe das auch in einem offenen Brief an die anderen Bayern-Fans offiziell dokumentieren. „Man könnte sich viel Ärger untereinander ersparen, wenn man sich gegenseitig mit mehr Respekt begegnen und mehr miteinander reden würde. Einen Schuh, den auch wir uns anziehen müssen. Wir haben definitiv auch selber Fehler gemacht, ob als Gruppe oder auch, was das Verhalten einzelner Mitglieder von uns betrifft. Es ist allerdings genauso wenig akzeptabel, wie man sich zum Teil uns gegenüber verhalten hat. Respekt ist keine Einbahnstraße. Respekt beinhaltet die Erkenntnis, dass es ganz verschiedene Formen gibt, Fan des FC Bayern zu sein. Alle haben ihre Berechtigung. Die jungen Fans aus der Südkurve, Ultras, Fanklub-Mitglieder, Jahreskartenbesitzer, Gegengeraden- und Haupttribünen-Besucher. Unser gemeinsamer Nenner ist Bayern München.“ Ausführlich erklären die Ultras zudem ihr Selbstverständnis, entkräften manches Vorurteil und werben für einen Dialog in der Fanszene. Die Spaltung Ultras/Fans, die in München viele schon verinnerlicht zu haben scheinen, nütze letztlich nur den Verbänden und Vereinen, finden sie bei der Schickeria. Egal, ob denen nun ein Fußball ohne Ultras vorschwebt – oder einer mit gezähmten Ultras. Doch so weit wird es nicht kommen, da weiß sich die Schickeria mit den allermeisten anderen deutschen Ultra-Gruppen einig. Gezähmte Ultras, die sich aufs Jubeln und Choreografie-Malen beschränken, wären Tanzbären in einem Zirkus, den sie ablehnen.
Drei Monate später. Samstag, zehn Uhr, in fünfeinhalb Stunden beginnt das Heimspiel der Bayern gegen den SC Freiburg. Das Oktoberfest beginnt hingegen erst in fünf Monaten. Doch die Leute, die hier am Hauptbahnhof zu Hunderten und Tausenden aus ICEs und Nahverkehrszügen steigen, sehen so aus, als planten sie einen Wiesenbummel. Mal Jeans, mal Lederhose über grobwollenen Socken, auch der Sepplhut ist gerne genommen, das Fantrikot, neueste Edition natürlich, Pflicht. Praktischerweise hat der FC Bayern unter der Rolltreppe, die vom Bahnhof zu den U- und S-Bahnen führt, einen Riesenfanshop eingerichtet: Vom Quietscheentchen bis zum totschicken Bademantel gibt es hier alles, was die Bayern-Fans aus Mittelfranken, Nordhessen und dem Sauerland gerne nach Hause mitnehmen: die volle Einkaufstüte schnell im Schließfach verstauen und ab zum Marienplatz, noch ein paar Bier trinken, ehe das Spiel gegen den langweiligen Gegner losgeht. Die mitgebrachte Freundin, selbstredend im pinken Bayern-Look, wird schon aufpassen, dass es nicht zu viel wird. Wenn der FC Bayern ruft, strömt die Provinz nach München. Und die Provinz gibt sich nicht die geringste Mühe zu verheimlichen, woher sie kommt.
Elf Uhr: Die Sonne scheint, es ist ruhig. Vor dem orangenen Streetwork-Bus in der Nähe der Allianz Arena stehen ein paar Ultras herum, andere haben sich ein Augustiner oder ein Wasser geschnappt und sich ins Gras gesetzt. Man unterhält sich.
Dann kommt Simon aus dem Bus. Er hat sich seit dem letzten Treffen einen Bart stehen lassen. Und das ist nicht das Einzige, was sich geändert hat. Das Verhältnis zwischen aktiver Fanszene und Verein ist noch einmal deutlich abgekühlt. „Da drinnen“, sagt Simon und zeigt auf die Allianz Arena, „trifft sich gerade der Arbeitskreis Fandialog“. Doch bei dem vom Verein bestellten Mediator, Prof. Dr. Wolfgang Salewski, einem Polizeipsychologen, der sich 1977 als Verhandlungsführer bei der Entführung der „Landshut“ in Mogadischu einen Namen machte, haben die Ultras offenbar keine guten Karten: Im August 2013 schlägt er im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor, „den gesamten Block neu zu organisieren: neue Leute, neue Lieder. Dann baut sich da wieder was auf.“ Als ob man eine Fankurve umstrukturieren könnte wie das Sortiment eines Kaufhauses.
Die Schickeria-Leute haben trotzdem in den letzten Monaten immer wieder brav einen Vertreter in die AG entsandt, obwohl sie schon immer den Eindruck hatten, dass sie da, wenn überhaupt, nur als Feigenblatt erwünscht sind. Denn sonst sind 30 Vertreter größerer Fanklubs aus dem Umland eingeladen, ausgesucht vom Verein. Fans, für die es die größte Freude ist, wenn einmal im Jahr die Profis zum „Traumspiel“ gegen den Fanklub antreten, und die der Verein großzügig mit Tickets versorgt. Mit der Schickeria tut sich der Verein da schon schwerer. Immer diese kritischen Fragen, diese Transparente, dieser Anspruch, mitreden zu wollen. Und keine Besänftigungsmöglichkeit weit und breit. Die Schickeria braucht kein „Traumspiel“, sie organisiert jeden Sommer ihr eigenes Fußballturnier zum Gedenken an den von den Nazis verfolgten Ex-Präsidenten Kurt Landauer. Doch so ganz können sie auf die Ultras eben doch nicht verzichten. Ohne sie wäre endgültig Totenstille im weiten Rund.
Schon heute – mit den paar hundert Aufrechten im Bayern-Block – hört man in der Mitte des Stadions deutlich lauter die Gäste- als die Heimfans – und das, obwohl der FC Bayern die in weiser Voraussicht schon in die entlegenste Ecke des Stadions verfrachtet hat. „Ihr seid nur Fußballkulisse“, singen die 7.000 Freiburger Fans in Richtung der über 63.000 Bayern-Anhänger. Es ist keine Beleidigung, sondern die Feststellung einer Tatsache. Kurzum: Der Verein braucht die Ultras. Er will sie nicht ganz aus dem Stadion vertreiben. Aber er will mit aller Macht verhindern, dass sie mehr werden. Dabei hat der FC Bayern sowieso schon den kleinsten Stehplatzblock der Liga, der ist fast komplett besetzt mit Jahreskarteninhabern, die die vergleichsweise günstigen Plätze nicht verlassen wollen. Für Stimmung wollen sie aber nicht sorgen. Junge Leute, die zu den Ultras wollten, hatten bisher nur die Möglichkeit, sich ein Ticket für einen anderen Stadionbereich zu kaufen – und sich dennoch zu den Ultras zu gesellen. Doch genau das geht jetzt nicht mehr. Um das zu verhindern, hat der Verein extra zusätzliche Drehkreuze vor dem Block installiert.
Und wenn man den Ultras einen eigenen Block einräumen würde? Simon lacht. Auch er findet es skurril, dass ein Verein, der 37 Millionen Euro für Mario Götze hat, sich nicht weitere Stehplätze