ТОП просматриваемых книг сайта:
Kurven-Rebellen. Christoph Ruf
Читать онлайн.Название Kurven-Rebellen
Год выпуска 0
isbn 9783730700709
Автор произведения Christoph Ruf
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Die Horidos haben jedenfalls nicht eingesehen, warum sie ein Spiel mitspielen sollen, auf das sie keine Lust haben. Die Überschrift der Stellungnahme vom 9. April war eine trotzige Ansage: „Horidos lebt weiter!“ Stumpfere Zeitgenossen und Ultra-Orthodoxe dürften sich in ihrer Einschätzung der Fürther bestätigt gesehen haben. Zu weich, zu lasch, eben NICHT Ultra. Aber stimmt das? Wenn „Ultra“ bedeutet, unbequem zu sein, stellen sich nach solchen Aktionen Fragen, die an den Kernbestand der Ultra-Szene gehen. Was ist rebellisch an solchen Kindergarten-Ritualen? Was ist ihr Sinn?
Die netten Fürther, Ultras wie Normalos, können allerdings auch anders: Sie können sehr trotzig sein, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Und wenn sie es den Großen mal gezeigt haben, feiern sie das tagelang. Anlass dazu gab es in der Fürther Erstligasaison nicht oft, das ist der Haken an der Sache. In der Saison 2012/2013, auf die sich so gefreut hatten, haben die netten Fürther überhaupt nur viermal gewonnen. Gegen Mainz, Schalke und Stuttgart. Und der vierte Sieg, der hat dann die ganze Saison rausgerissen: Am 21. April gewann das Fürther Kleeblatt beim 1. FC Nürnberg. Noch eine Woche später wirkten bei den netten Fürthern alle so, als habe Johannes Geis gerade erst den Fernschuss im Netz hinter Raphael Schäfer versenkt. Das Tor war nicht mehr und nicht weniger als die gerechte Strafe für die Aktionen der Nürnberger. So sehen sie das hier.
Hier, bei den Sportfreunden Ronhof, kann jedenfalls jeder sehr anschaulich erzählen, was er in den Hundertstelsekunden empfunden hat, als der Ball den Fuß von Geis verließ und doch tatsächlich Anstalten machte, den Weg ins Tor zu finden. Vorausgesetzt, die Stimmen übertönen den einzigen Song, der hier seit drei Stunden in Endlosschleife rotiert: „Derbysieg“ von den Travelling Playmates. („Wir sin fast blatzt vor Stolz un lauder Freid“). Auch den Ultras gefällt der Song, der 2011 nach dem Sieg gegen den Club im DFBPokal aufgenommen wurde. Auch für sie hat der Geis-Treffer seine eigene Dramaturgie, die für immer eingebrannt ist. Schließlich fiel das Tor des Tages, wenige Sekunden nachdem Banda di Amici in der Nürnberger Kurve ein Schmähtransparent auf den Fahnenklau hisste, das eigentlich noch einmal Salz in die Fürther Wunden streuen sollte: „Wer mit den Bullen labert, hat keine Regeln verdient“, stand darauf. Dann nahm Geis Maß und traf. Das 0:1 aus der 27. Minute sollte bis zum Schlusspfiff Bestand haben. Die Schmähung, der Ärger, der Triumph, alles innerhalb weniger Sekunden.
Im Vereinsheim der Sportfreunde ist das Tor jedenfalls auch eine Woche später das wichtigste Gesprächsthema. „Die knabbern doch noch an der Derbyniederlage 2011. Für die ist das jetzt, wie wenn du nach einem Kreuzbandriss zurückkommst und dann reißen dir beim ersten Spiel nach der Verletzungspause gleich beide.“ Harry kann auch noch etwas Plastisches beitragen. Sein Arbeitskollege, ein Clubberer, hat ihn am Morgen nach dem Derbysieg wie folgt begrüßt: „Wir haben eine gute Saison zu einer beschissenen gemacht und ihr eine beschissene zu einer glorreichen.“
So sehen sie das auch hier. Die Nürnberger Kollegen wollen die Mannschaft beim darauffolgenden Auswärtsspiel in Hoffenheim nicht unterstützen – aus Protest gegen die Derbyschmach. Noch so eine Nachricht, die sie hier in Fürth mit Genugtuung hören.
Der Geräuschpegel ist mittlerweile merklich gestiegen. Hier, bei den Sportfreunden, ist Fußball wie früher, es wird geraucht, die Vorfreude aufs vorletzte Bundesliga-Heimspiel scheint mit jeder Minute zu steigen. 15-jährige Ultras sind hier und 60-jährige Fanveteranen. Jeder kennt jeden, wie es scheint. Und wer noch mal genau wissen will, was der gemeinsame Nenner ist, schaut in einem liebevoll eingerichteten Museum nach, das in einem Nebenraum der Kneipe eingerichtet ist.
Die Ultras, ein elitäres Volk? Nicht hier, wo sie mittendrin sind in der Masse der Feierwütigen und nach dem Fahnenklau die Solidarität erfahren, die ihnen im Liga-Alltag manchmal fehlt. Viele Fans stocken die Bierrechnung auf, die älteren Herrschaften vom Bayreuther „Altstadtkult“, deren Spielvereinigung Bayreuth zwei Tage darauf im nahen Erlangen spielen wird, haben gleich 100 Euro gespendet. Kommt alles in die „Choreokasse“. Domi ist gerührt. Zumal es auch in Fürth, wo vom Ultra bis zum Rentner eine der friedlichsten Fanszenen der Republik zu Hause ist, Konflikte zwischen älteren Fans und den Horidos gab – interessanterweise, weil die Ultras nach dem Verlust ihrer Fahne ihre Arbeit als Stimmungskanonen zunächst einstellten. „Wir wurden im Spiel danach in Mönchengladbach ganz schön angegangen“, erinnert sich Domi, „nach dem Motto: Ultras sind die Dienstleister, die haben für Stimmung zu sorgen, wenn sie das nicht machen, können sie gehen. Die Wunde ist eh schon so groß und dann wird’s dir noch reingedrückt. Manchmal haben wir mehr Verständnis für die, die nur beim Torjubel aufspringen, als die umgekehrt für uns.“
Dabei, darauf legen hier alle Wert, würde man sich regelrecht freuen, wenn Normalo-Fans das Gespräch suchten, einfach mal an den Infostand kommen, den die Horidos bei jedem Heimspiel hinter der Kurve öffnen. Aber nein: „Gepöbelt wird anonym im Internet.“ Eine Klage, die man im Übrigen öfter hört, es scheint, dass mancher Ultra-Gegner gar nicht erst den Versuch unternommen hat, mit Leuten zu reden, von denen er nachher behauptet, man könne mit ihnen nicht reden.
Die Horidos wüssten im Übrigen nicht, wie eine rebellische Grundhaltung, wie sie „Ultra“ für sich in Anspruch nimmt, unpolitisch sein könnte. „Leute, die sagen, ‚Ultra‘ sei unpolitisch, kann ich nicht ernst nehmen“, sagt Fabian und verweist auf die Wiege der Bewegung. „Man muss sehen, wie sich Ultra in Italien gegründet hat: eindeutig aus einer linken, politischen Bewegung heraus. Die Leute haben sich politische Forderungen auf die Fahnen geschrieben und die ins Stadion getragen.“
Das sei es, das Wesen des Ultra-Gedankens, nicht alles hinzunehmen, was einem Eltern, Lehrer und Politiker zu vermitteln suchen, sich seinen eigenen Kopf machen. „Bei mir“, sagt Domi, „war das klassisch. Natürlich war ich dagegen, dass Fußballspiele um 13 Uhr angepfiffen werden. Irgendwann habe ich dann gefragt, welche Interessen dahinterstehen, dass das gegen den Willen der Fans durchgesetzt wird.“ Die Interessen derer, die vom „Produkt“ Fußball reden, das sie in möglichst viele appetitliche Häppchen fürs Fernsehvolk zerlegen wollen. Nicht die Interessen derer, die zwei Tage Urlaub nehmen müssen, um als Fan von 1860 München am Montagabend ein Spiel bei St. Pauli sehen zu können. Domi hatte angefangen, politisch zu denken.
Damit war er bei den Horidos prima aufgehoben. „Unsere Bewegung ist ein kleiner Revoluzzerkreis, eine Opposition, die sich auch mal kritisch anschaut, was Verein und Politik treiben“, sagt er und formuliert damit das Selbstverständnis vieler Ultra-Gruppen.
Auch Harry und Andy, die beiden älteren Fans, nicken. Das sei oft so, berichten sie. Die Ultras von den Horidos sprechen das aus, was sie als über 35-Jährige erst wieder neu lernen müssen. Dass man nicht alles klaglos hinnehmen muss, beispielsweise. Die merkwürdigen Anstoßzeiten in der zweiten Liga beispielsweise, die hier allen auf die Nerven gehen. Mittags ins Stadion zu müssen, zu einer Zeit, zu der andere noch frühstücken, nur weil die Leute vom Pay-TV möglichst viele Wochenendspiele live zeigen wollen. Auch die Ticketpreise, die Gängeleien durch Ordner und Polizei. Draußen, sagt Harry und zeigt auf die Tür ins Freie, „draußen sind die 20-Jährigen doofer als die 40-Jährigen. Bei den Ultras ist es andersherum, da merke ich immer, wie doof wir Alten geworden sind. Ich finde, das ist eine Subkultur, wie man es sich wünscht.“
Fabian und Domi widersprechen nicht. Gegen Lob aus der eigenen Fanszene haben sie nichts einzuwenden. Schon gar nicht, wenn es von denen kommt, die schon zur Spielvereinigung gingen, als die noch in der Bayernliga gegen Frohnlach und Landshut spielte. Skeptischer – und auch da unterscheiden sich die Horidos nicht von anderen Ultra-Gruppen, werden sie, wenn das Lob von anderer Seite kommt; etwa aus der Politik. „Ich will gar nicht, dass Politiker und Medien alles toll finden, was wir machen“, sagt Fabian. „Es gibt uns nur im Gesamtpaket: mit Schwenkfahnen, Choreos und Pyrotechnik – und dann gehört bei uns das Politische dazu. Da ist sicher einiges dabei, das gesamtgesellschaftlich nicht jedem gefällt.“
Die Verbände, meint Fabian, wollen