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ist dunkel und kühl, auf allem liegt dieser Fleischgeruch, sodass ich die frischen Farben kaum abkaufen kann. Eine dicke Frau steht hinter zwei Feuerstellen, Suppen, sie rührt abwechselnd und klopft die Kellen am Topfrand ab. Doña begrüßt sie mit einem Handschlag, stellt mich vor, die Frau macht mir ein Kompliment, bevor sie wieder in Interesselosigkeit fällt. Doña bestellt zwei liquados, holt Münzen aus ihrer Schürzentasche, die Frau schüttelt den Kopf, Doña diskutiert nicht und steckt sie sofort wieder zurück. Die Frau schneidet Früchte in allen Farben, die sich auf ihrem Schneidebrett zu einem Braun vermischen, wirft sie in den Mixer, fragt nach Milch, Doña nickt, sie fragt nach Zucker, Doña hält ihre Hand über den Mixer, lässt ein paar Millimeter zwischen Daumen und Zeigefinger, »un poquito.« Die Frau füllt einen Plastikbecher voll, gibt ihn in den Mixer, füllt alles mit Eiswürfeln auf, legt den Deckel darauf und mixt. Ihre Blicke wandern von mir zu Doña. »Das ist sie also«, sie schnalzt mit der Zunge, Doña stellt sich einen kleinen Schritt vor mich. »Was?« Die Frau zuckt mit den Schultern. »Das Mädchen, das Mädchen, auf das der Bauch gewartet hat«, sie hebt ihre Augenbrauen, »auf das alle gewartet haben. Wie sie aussieht«, sie mustert mich und reicht uns unsere Becher. Doña reißt sie ihr aus der Hand, wünscht einen guten Tag, verschüttet dabei einen großen Teil und wendet sich heftig von der Frau ab. Was wir trinken, ist rosa, kühl und süß. Sie trinkt bis auf den Grund des Bechers, saugt an seinem Boden herum, und stößt ein paar Worte seitlich am Strohhalm vorbei in meine Richtung. »Lass dich nicht verunsichern, mija.« Sie hakt sich bei mir unter, schiebt mich aus der Halle, auf die Straße. Wir laufen zurück, an den Straßenrändern sind manchmal Stücke eines Gehwegs, links ein paar Blechhäuschen, Kinder, Hunde und frische Wäsche, der Mittag ist geschäftig, die Straße ist voll von klappernden Flip-Flops und Blechmusik, links ist ein Neubau, davor ein älterer Herr als Wachmann mit Schrotflinte. Die Sonne steht steiler als vorhin, ich schwitze, Doña bleibt kurz stehen, atmet aus und holt von irgendwoher plötzlich das Wichtigste hervor: »Bist du wegen dem Haus hier, mija?« Ich verschlucke mich an nichts, schüttle den Kopf, zucke mit den Schultern. »Na gut«, sie hakt sich wieder bei mir ein und zieht mich die Straße entlang. Ich verstehe ihr Timing nicht. »Die haben es in den Händen«, als hätte das Thema an Wichtigkeit verloren, verfällt sie in ein märchenhaftes Erzählen, »auf beiden Seiten, die alemanes, der Club, und der, na ja, und Barriga, der Bauch, du lernst ihn bald kennen, er hat einen Fuß auf der einen Straßenseite.« Sie kichert. »Eine Brücke, stell ihn dir als Brücke vor, nur mit einer Wampe, hier«, sie hält sich ihre Hände einen halben Meter vor den Bauch und kichert, »ist mit uns aufgewachsen, also da oben«, sie hebt ihren Finger, zeigt auf den Berg, »im Haus mit deinem papá, deiner ma –«, sie sieht mich mitleidig an, »mit mir, allen, den Deutschen, ein Waise, kannte nur uns und deinen Vater, ist ihm immer hinterhergelaufen, schon als Kind, hat ihn fast vergöttert«, sie bekreuzigt sich. »Das sollte man nie, Menschen vergöttern ist immer eine dumme Idee, mija.« Sie klopft mir auf den Arm. »Aber das machst du nicht, ich sehe das. Das sieht man Menschen an, du hast diesen Rücken.« Sie geht mit ihren Fingern meine Wirbelsäule ab. »Diesen geraden Rücken, du weißt ganz genau, wie groß du bist, du fragst dich das nicht bei jedem Schritt, und noch wichtiger, mija, deine Augen«, sie bleibt stehen, stellt sich vor mich, um mir lange in die Augen zu sehen, dann lächelt sie. »Ja, deine Augen sind von deinem Vater, diesen Punkt, du hast nur einen Punkt, immer«, sie hakt sich wieder bei mir ein, »habe ich gleich gesehen, du suchst nicht überall, kommst in ein neues Haus, ein neues Land, zu uns, wir sind ja alle neu für dich, aber deine Augen wissen, welchen Punkt sie sich suchen. Deshalb mache ich mir keine Sorgen, dass da irgendetwas passiert, wenn du ihn kennenlernst, weil du weißt, wie groß du bist, mija. Du darfst nur nicht lachen! Er sieht ein bisschen peinlich aus«, sie zieht ihren Arm aus meiner Beuge, fährt sich mit beiden Händen durch die Haare, zieht sie an ihrem Kopf entlang nach hinten. »So, mija, mit dem Fett in den Haaren, wie in den Filmen, ich glaube, er war ein bisschen zu lange in den Staaten.« Sie lacht, zischt etwas in Gedanken an den Mann, der die finca »verwaltet«, so hat mein Vater das genannt und sein Gesicht dabei zwischen Fingeranführungszeichen bewegt. »Genug, ich Plappertante, er ist jedenfalls oft hier gewesen, hat etwas vorbereitet, hat jemanden gesucht, der dich hinbringt und so weiter, ich habe gesagt, Cristóbal macht das, dann hat er sich mit ihm getroffen, und du hättest Cris’ Gesicht sehen sollen, als er zurückkam, das war nicht schön, aber geredet hat er nicht, nein«, sie bleibt an der Kreuzung mit unserer Straße stehen, nimmt meine Hände. »Was ich sagen will, keine Angst, Cris ist ein Guter, fast so etwas wie mein Sohn, mija, aber pass auf, ich weiß nicht, was das alles soll, ich weiß nicht, was er will, was mit dem Haus ist, dem Club, ich weiß nichts davon, ich weiß nur, dass alles gut wird.« Sie drückt meine Hände, ihre Worte verlieren die Floskelhaftigkeit. »Aber pass auf dich auf, ich bete.« Sie drückt noch einmal, hakt sich wieder bei mir ein. »Aber schön, sehr schön, mija, dass du hier bist, das ist ein bisschen Zuhause, oder?«

      Wir wussten beide, dass seiner Diagnose nichts entgegenzusetzen war, gaben uns Mühe, ihr keine Beachtung zu schenken, wir übertrafen uns dabei, dachten uns Ausreden aus für sein Zittern und für seine schwindende Kraft. Unser Lachen darüber wurde mit jeder Woche hektischer. Einmal, während ich kochte, schimpfte er über die Steuererklärung, was dort alles angegeben werden müsse: »Das Erbe wollen die wissen, noch von meinen Eltern«, er machte eine Pause, so lange, bis ich mich umdrehte, »und die finca im alten Ort, die noch uns gehört.« Er sah mich eindringlich an, nur kurz, atmete aus, ich drehte mich wieder zum Kochtopf, versuchte, die Gedanken abzuschütteln, er keuchte ein paarmal. »Yona«, sein Hals war trocken, »Yona, dreh dich um, ich muss mit dir reden.« Ich rührte schneller, tat, als hätte ich ihn nicht gehört. »Du musst dich entscheiden, weißt du.« Ich hörte ihn ja. »Yona!« Er stand auf, lief auf mich zu, ich ließ den Schwamm erst fallen, als er seine Hand auf meinen Arm legte. Ich sah ihn nicht an. »Es gibt zwei Wege«, er winkte ab, »zwei leichte Wege, du kannst natürlich auch etwas anderes machen.« Ich versuchte zu lächeln, wir gaben uns große Mühe. »Aber so oder so, mija, ich habe lange nachgedacht, ich wollte es dir nicht«, er schluckte, nahm meinen Arm fester, als ich es ihm in seinem Zustand zugetraut hätte. »Yona, ich muss das jetzt, sonst kann ich nie«, er zog mich zum Tisch, ich setzte mich, er suchte einen Zettel und einen Stift, setzte sich mir gegenüber, legte die Spitze des Stiftes auf den Zettel. »Zwei Wege, Yona.« Er sah mich nicht an dabei. »Nummer eins, das Haus hier, du bleibst, machst, was du willst, und ich rufe morgen drüben an, im alten Ort.« Er starrte auf die Spitze des Stifts, der sich fast durch den Zettel bohrte. »Und sie verkaufen die finca, ich mache das so, dass das Geld bei dir ankommt, es ist nicht so einfach, aber das kriegen wir schon hin.« Seine Stimme veränderte sich, Tränen schossen ihm in die Augen, und er zwang ein paar von den Worten hervor, die wir mein ganzes Leben lang virtuos irgendwo verscharrt hatten. »Diese finca, Yona, im alten Ort, sie ist befallen, mija, ich möchte, dass du sie verkaufst«, er fing an, Kreise in den Zettel zu malen, immer schneller und enger, »es ist nur nicht ganz einfach, wegen der Ameisen, mija

      Der Kreis im Zettel durchbrach das Papier. »Und Weg Nummer zwei ist das Gegenteil.« Er kniff die Augen zusammen, als wäre ihm etwas herausgerutscht, das er nicht hatte sagen wollen, und machte eine Pause. Ich half ihm: »Ja?« Er wusste nicht mehr, wo wir waren. »Du willst mir Weg zwei erklären.« Er nickte erschrocken, wandte sich wieder dem zerfetzten Zettel zu. »Hier«, er rang mit sich, »unser Haus hier verkaufst du und gehst in den alten Ort.« Er sprach so schnell, dass ich es fast nicht verstand, ich lehnte mich zurück in den Stuhl, wir wussten beide, dass es nie wirklich eine Wahl gab. Er riss einen unversehrten Teil des Zettels ab, setzte den Stift an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, lehnte sich vor und schrieb Doñas Namen, ihre Adresse und ihre Telefonnummer auf. Seine Schrift war vom Zittern ganz kindlich geworden.

      Als wir vor Doñas Haus stehen, sind fast alle chicharron-Reste vom Boden abgetragen. »Die kleinen Fleißigen.« Doña bückt sich über den Ameisen und summt ihnen ein Lied, winkt mich herbei, zeigt auf sie. »Guck genau hin, mija, siehst du, wie groß sie sind, ich glaube, das sind die Asiatischen.«

      Ich sehe ihnen an, dass es keine Asiatischen sein können, mein Vater hat mir alle Arten erklärt. Doña stemmt ihre Hände in die Hüften: »Weißt du, warum die mara mara heißt, warum sie sich nach Ameisen benannt haben? Hat er dir das erzählt?« Ich sage nichts, sehe

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