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selben Tempo laufen, am besten fängst du hier unten schon damit an.« Er beugte sich zum Boden, sah zu mir hoch, klopfte mit seiner freien Hand langsam und gleichmäßig auf die nassen Platten neben dem Handtuch. »Zack, zack, zack, Yo-na, immer im sel-ben Tem-po.« Er machte mich nervös, ich nickte, blieb noch ein wenig stehen, »zack, zack, zack«, ich gewöhnte mich ans Tempo, sein »zack« hallte in mir nach, ich lief nach dem Trommelschlag in meinem Kopf los, ein kleiner Soldat in hellblauem Anzug am Beckenrand. Ich sah meine Füße, »zack, zack«, es war ein Marsch, ich erreichte die Leiter, es gab keine Schlange, »zack, zack«, es war beim Aufsteigen nicht einfach, das Tempo zu halten, Hände, »zack«, und Füße gleichzeitig, Stufe für Stufe, auf dem Fünfmeterbrett ging ich um die Treppe herum, »zack, zack«, ich flüsterte es mit, die Fläche war aus Beton, sie war kalt, das Zehnmeterbrett warf seinen Schatten darauf. Auf der Stufe zum Zehner wurde ich lauter, »zack, zack«, ich befahl es meinem Körper, er zitterte, meine Knie spürten das Ende, den Sprung, ich kämpfte mit dem Tempo, mein Herz pochte mindestens doppelt so schnell, der Boden unter mir wurde mit jedem Schritt weicher, »zack«, ich wurde panisch, das Blau des Beckens war weit, es vermischte sich mit dem Blau meines Badeanzugs, mein kleiner Bauch über meinen Zehen, die zitternd auf mein »zack« reagierten, ich streifte einen Körper, der neben mir am Geländer lehnte, konnte nicht aufblicken, »zack, zack«, kam am Rand an, wünschte mir ein hundert Meter langes Brett, mein Körper wusste, wie lang es war, alles pochte, es tat schon weh, mein rechter Fuß, »zack«, kam mit den Zehen über den Rand, meine Hände pressten sich an meine Beine, meine Stimme blieb stecken in meinem zitternden Körper, fand keinen Weg aus meinem Mund, der sich aufriss beim letzten, stummen »zack«. Mein linker Fuß trat in die Luft. Dann kam die Wucht. Sie zog meinen Körper mit sich, die Luft schnitt an meinem Körper entlang, die Bäume und der Rasen waren schnell, ich senkte den Kopf, er war so schwer, ich sah an meinem blauen Bäuchlein vorbei nach unten, meine Hände pressten, ich wurde schneller, meine Stimme löste sich, »za-«, das A wurde lang, mutierte zu einem nervösen Lachen, laut, befreite mich kurz, ich lachte hysterisch für einen Moment. Dann kam ich auf. Ein Pfeil in die Wasserdecke, sie stoppte mich. Es war plötzlich still. Kurz ohne Orientierung, sah ich meine Glieder irgendwo, oben und unten, suchte, fand die Oberfläche, nahm mir Zeit, es war schön, dumpf. Ich trieb schwerelos. Wurde ruhig. Ein Druck presste sich von allen Seiten auf meinen Körper. Ich wollte hierbleiben. Es war blau und stumm. Langsam trieb ich nach oben. Erst als die Not meiner Lunge in meinem Kopf ankam, machte ich zwei Züge, schloss die Augen, mein Kopf tauchte auf, ich atmete. Sah Umrisse. Ich hörte die Stimmen. Drehte mich auf den Rücken, ließ nur meine Ohren im Wasser, um die Stimmen zu dämpfen, hielt meine Augen geschlossen, bis ich am Beckenrand anstieß. Ich öffnete die Augen, hob den Kopf aus dem Wasser und das Erste, was ich hörte, war der Applaus meines Vaters.

      Doña lächelt, sperrt das Gitter von innen auf, wir steigen aus dem Auto, ihre Schritte sind so langsam wie ihre Gesten, die sie größer wirken lassen, als sie ist. Sie läuft auf mich zu und umarmt mich. »Bienvenida.« Sie riecht nach Seife und Zwiebeln. Ich bedanke mich mit einem Nicken und versuche, ihrem Blick standzuhalten. Ich habe ihren Namen unendlich oft gelesen auf meinem Zettel, jetzt wundere ich mich, dass ich mir keinerlei Vorstellungen von ihr gemacht habe. Mein Körper ist schwer, sie nimmt meine Hand auf eine Art wie zuletzt meine Kindergärtnerin, drückt sie ein paarmal fest, dreht sich um, zieht mich mit sich, meine Taschen bleiben auf der Straße liegen, ich drehe mich nach Cris um, er hebt sie auf und bleibt dicht hinter uns. Doña zieht mich durch das Gitter, es riecht und dampft aus dem schmalen Gang. Sie weist mir den Weg. »Hier hoch, mija«, die Vertrautheit dieses Wortes erschüttert mich. »Oben ist gerade niemand, du hast da dein eigenes kleines, ja«, wir passen kaum durch das schmale Treppenhaus, Doña ist geübter im Quetschen, hebt ihre Hand über sich und streckt zwei Finger in die Luft, »Paradies.« Plötzlich bleibt sie stehen vor dem Treppenabsatz, ich stoße fast in sie hinein, sie dreht sich um, sieht zur mir herunter, zwinkert, greift mein Gesicht von beiden Seiten, schließt die Augen und sieht dabei aus wie mein Vater, wenn er für mich betete. »Mija«, ihre Augen sind tränenunterlaufen, »es ist ein Wunder, dass du hier bist«, etwas daran weckt den Ton in meinem Kopf. Ich halte ihrer Berührung nicht stand und trete an ihr vorbei auf die Terrasse. Der Himmel hier ist dicht, überall begrenzen Masten und Berge den Blick. Doña zeigt auf die Tür. »Hier, dein Zimmer.« Sie schiebt mich von hinten hinein, es ist dunkel, die Vorhänge zugezogen, ein großes Bett, auf dem eine Wolldecke mit Tigeraufdruck liegt. »Magst du es?«, fragt sie, ich nicke stumm. Sie geht zum Fenster, schiebt die rosafarbenen Vorhänge zur Seite und winkt mich heran. Meine Schritte sind immer noch langsam, diese Art der Schwüle kenne ich nicht. Doña nimmt mich am Arm, stellt mich neben sich und zeigt seufzend nach draußen. Ein weißlicher Film liegt zwischen uns und der Straße. Bis zum gezackten Horizont ziehen sich rechteckige Betonsiedlungen. Doña öffnet das Fenster, ich zucke zusammen. »Unsere Straße, mija.« Etwas Theatralisches liegt in diesem Satz. Zwei Jungs mit weißen Hemden und dünnen Beinen kicken einen Ball vor sich her, ein Metalllager quetscht sich dazwischen. »Welcher von denen ist der Pacaya?« Meine Frage wundert mich selbst. Cris lacht von hinten, ich bemerke, dass er auch noch da ist. »Der mit den Wolken um die Spitze.« Der Rauch, der den Vulkan krönt, eine kleine graue Haube, bewegt sich nicht. »Kann man da hoch?«, meine Stimme klingt dumpf. Cris nickt: »Morgen?« Doña schlägt ihm einmal fest auf die Schulter. »Es reicht jetzt. Mija, hier«, Doña zeigt auf die rotweiße Markise direkt unter uns, »guck, da mache ich cena für alle, Abendessen, da kommst du dann runter, wenn du ein bisschen geschlafen hast, oder hast du jetzt Hunger vielleicht? Mein Gott, was erzähle ich da, du hast jetzt Hunger, ich bin so blöd«, sie schlägt sich mit der Hand gegen die Stirn. »Nein, danke.«

      »Ich mache dir was, ich bring’s dir gleich.«

      »Aber«, ich sehe Doñas Gesicht und gebe mich geschlagen, »okay.« Cris setzt sich aufs Bett, prüft es wippend. »Gut, also, dann sehen wir uns, ich melde mich, wenn er sich meldet, wegen dem Haus und so«, er sieht zu Doña herüber, sein Gesicht ist plötzlich keck wie das eines kleinen Jungen, er steht abrupt auf und gibt Doña einen Kuss auf die Wange, bevor er verschwindet. Sie scheint Cristóbals Abschied nicht zu bemerken und starrt unentwegt auf mich, dann auf meine Hände, ihre Augen sind feucht und zittern ein wenig. Sie seufzt, »ah, das Essen«, tätschelt mir abwesend die Wange, schüttelt ihren Rock zurecht und verschwindet. Ich lege mich unter die Tigerdecke, mein Kopf macht nichts mehr, kein Ton ist hier, keine Bilder. Ich schlafe so schnell ein wie seit dem Tod meines Vaters nicht mehr.

      »Der Vulkan, der Vulkan, mija!« Mein Vater schnalzte mit der Zunge und fuhr mir stolz durch die Haare. »Was die euch beibringen.« Er roch nach zu viel Eau de Cologne, hatte sich schick gemacht, grüßte die anderen Eltern ein wenig zu höflich, siezte sie, bis ihn einer duzte, dann duzte er sie, bis ihn wieder einer siezte. Wir waren in der Schule, an einem Abend, weil unser neuer Musiklehrer es so wollte. Ein langer Mann mit langen Haaren, der sich ständig nach meiner Herkunft erkundigte. »Super super, je weiter, desto besser!«, nach meinem Namen, »wie der Prophet?«, und daraufhin immer Walgeräusche machte, um die Lacher der Klasse zu kassieren. Er hatte mit uns für die Aufführung seinen Lieblingssong einstudiert. Am Ende standen wir also in einer Reihe auf der Bühne der Aula, wedelten bunte Fächer aus Krepppapier hin und her, mein Vater klatsche wild in der ersten Reihe, und wir sangen. »Du bist so heiß wie ein Vulkan.« Nach »Tanze Samba mit mir« sollten wir alle einen kleinen Hüftschwung machen, in den Proben hatte das gut geklappt, auf der Bühne verwechselten die meisten links und rechts, oder verpassten knapp ihren Einsatz, sodass wir ständig gegeneinanderstießen. Mein Vater konnte sich das Lachen nicht verkneifen und wippte vor Begeisterung in seinem Stuhl mit. Als wir fertig waren, machten wir uns wie üblich als Erste auf den Weg nach draußen, stiegen in die U-Bahn. »Weißt du, mija, das mit dem Vulkan«, er hielt sich die Nase zu, unterdrückte einen Lachanfall, »er ist heiß, ja, so ein Vulkan, das schon, aber das ist nicht das Schlimmste an ihm, das ist schön eigentlich, wenn einer aktiv ist.« Er wurde ernster. »Wenn einer aktiv ist, dann läuft er, und das ist auch nicht schlimm, das ist sehr schön, wie Adern in der Nacht sieht das aus, und er raucht«, er atmete ein, »und er spendet Leben, allen, die um ihn herum wohnen, er lebt, mija, aber er hat einen eigenen Willen. Wenn er will, dann lässt er alles raus, dann bricht er aus seinen Fesseln aus, die Menschen rufen dann Katastrophe, das Ende, das Ende, die Apokalypse«, er schüttelte den Kopf, »aber eigentlich, Yona, macht er alles

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