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hier«, sie zeigt auf den Topf, etwas in mir löst sich, ich nehme den Topf hoch und nicke, unsere Finger und Gesichter sind fettig, der Topf auf meinem Schoß rutscht mir weg, ich weiß nicht, wie ich ihn halten soll. Doña greift nach ihm, erwischt ihn zu spät, er fällt auf die Straße und rollt ein bisschen weiter, bis er, von seinem Henkel gebremst, liegen bleibt. Die Krümel der chicharrones sind um uns herum verstreut wie Konfetti, mein Gesicht läuft warm an, ich entschuldige mich bei Doña, sie lacht, schon fangen Ameisen an, ihr Gelage zu planen, sie kommen von allen Seiten, Doña nimmt mich am Arm. »Komm, wir lassen sie, ich habe jetzt keine Lust, kommst du mit auf den Markt?« Sie schließt die Haustür und das Gitter ab, wir lassen die Stühle auf der Straße stehen und die Ameisen ihren Teil erledigen.

      Mein Vater telefonierte jeden Sonntag nach der Kirche mit der casa, ich saß meistens daneben, müde und zufrieden vom Eisessen, und hörte nur seine Hälfte des Gesprächs. Er fragte nach Namen und erzählte von mir, ich grinste ein wenig, wenn er mich lobte. Später, als ich schon lange in der Schule war und bei den Telefonaten nur noch dabei sein wollte, um mich vor den Hausaufgaben zu drücken, veränderte sich etwas. Ich verstand mit jeder Woche weniger. Einmal wurde er hitzig, er fragte nach immer mehr Namen, nach den Kindern der Namen, er senkte die Stimme, blickte sich um nach mir und dachte wohl, ich hörte ihn nicht, wenn er bei seinen Fragen nach den Toten die Hand vor den Hörer hielt. Dann schwieg er kurz und legte auf. In diesen Wochen murmelte er das Wort immer wieder mantraartig in sich hinein, mara, mara, er flüsterte und schüttelte den Kopf. Nachdem ich das monatelang gehört hatte, fragte ich nach. Er sah mich an, nahm mein Handgelenk, atmete einmal tief aus, schloss seine Augen und grub von irgendwoher ein Lächeln aus. »Mara kommt von marabunta, Yona, eine Ameise.« Er nahm seine Hand von mir und legte sie auf den Tisch. »Die marabunta ist eine Kriegerin«, er malte mit beiden Händen einen Wurm, der die Größe meines Unterarms hatte, »und hier ist die kleine Kriegerin mit allen ihren Brüdern, mit ihrem Heer, sie kommen von allen Seiten«, seine Fingerspitzen spielten auf dem weißen Plastiktisch herum. Er tippte um den Wurm herum, kam ihm näher und fiel über ihn her. Seine Fingerspitzen, die Ameisen, kletterten auf ihn. »Es sind viele. Weißt du, wie groß dieser Wurm ist für eine Ameise? Sie und ihre Freunde schleppen das Tier nach Hause«, sein Fingergewirr bewegte sich in trommelndem Plastiktischwirbel in meine Richtung, ich verschränkte meine Arme vor meinem Körper, »und fressen es auf!« Seine Ameisenhorde überfiel meinen Oberkörper, meinen Hals, meine Arme. Ich schob mein Gesicht über meine linke Schulter, bis er von mir abließ.

      Wir laufen los, Doña geht vor. Das Geräusch wird mit jedem unserer ungleichen Schritte lauter. Es ist das Klatschen. Zwei Häuser weiter stehen drei Mädchen hinter dem Gitter, tragen Zöpfe und Trachten, nicken Doña zu, legen ihre Fladen aus den kleinen Händen auf ein rundes Blech über dem Feuer, ein Schwall von Hitze kommt uns entgegen aus dem kahlen Raum, Ziegeln, er hat kein Fenster. Die Gesichter der Mädchen sind starr, ihre Handflächen geübt und fast genauso groß wie die Tortillas, die sie den ganzen Tag in ihre Form klatschen.

      »Ich komme später, das hier ist Yona, sie wohnt jetzt bei uns«, die Mädchen grüßen mich ohne Ausdruck, verlassen ihren Klatschrhythmus nicht dabei. »Wir kommen später und holen alles für die cena, heute vielleicht ein bisschen weniger, oíste, hast du gehört?« Die Kleine, die am nächsten an Doña steht, nickt, Doña zieht mich mit sich, weg von dem Tortilla-Gitter. »Gute Mädchen, sind noch nicht lange hier unten, ist vielleicht besser für sie, dass sie da drin bleiben, besser als hier draußen.« Sie zeigt auf die Häuser, an denen wir vorbeilaufen, die alle aussehen wie ihres, und sagt die Namen der Bewohner, zweimal fügt sie noch ein »assasinado« hinzu und bekreuzigt sich.

      Ich mache es ihr nach. »Das ist nicht mehr lustig, mija, weißt du, die mara bringt heute mehr Menschen um als die Soldaten und alle zusammen im Krieg.« Sie hebt ihre Hände. »Da, da auch, siehst du, ihr Sohn ist vermisst, wenn du verstehst, was ich meine.« Ich verstehe nichts. Sie hebt die Hand und grüßt einen Jungen, dann hakt sie sich bei mir unter und zischt zweimal. »Und keiner kann denen was, weißt du, wir müssen uns selber helfen, niemand tut was! Früher war das nur in den roten Zonen, aber jetzt, jetzt ist die mara überall.« Sie wippt im Laufen, ich passe mich ihr an. »Homies sagen sie zu ihren Freunden«, sie spricht das H mit Nachdruck, sie ist stärker, als ich dachte, schiebt mich an den Straßenrand, ein Pick-up fährt so knapp an uns vorbei, dass ich husten muss vom aufgewirbelten Staub. Wir biegen links ab, ein kleiner Hügel, unten sehe ich schon, was sie meinen muss mit Markt. Eine Halle mit blauem Dach, links ist etwas wie ein Wettbüro oder eines der Lädchen, die hier tienda heißen, sie grüßt hinein, nur eine abgewetzte Stimme kommt zurück. Wir bleiben vor der Markthalle stehen, ein Junge hockt vor einem kleinen Plastiktisch, hält sich ein Tuch vor die Nase, in seinen Augen ist alles rot, was weiß sein sollte, sein Blick ist tot. In der Kiste vor ihm, auf einem kleinen Haufen Stroh, ein Hahn, er bewegt sich fast nicht mehr, sein Gefieder ist schütter, seine Geräusche klingen rostig. Die Ware passt zu ihrem Verkäufer. Ich schaue den Jungen ein bisschen zu lange an, Doña bemerkt es, sammelt sich, nimmt mich am Ellenbogen. »Lösemittel, mija, das ist billiger als Zigaretten, gibt’s an jeder tienda, traurig traurig.« Sie atmet einmal laut aus, damit ist ihre Trauer bekundet. Auf ihrer Stirn liegt neuer Schweiß, die Sonne prallt auf uns, ihre Hand in meiner Armbeuge wird schwitzig. »Wir müssen rein, mija, drinnen ist es kühler, und es stinkt nicht so.« Am Eingang zur Halle hockt noch ein Junge, jünger als ich, er hält seinen Kopf gelangweilt in den Händen, vor ihm steht eine Kühlbox, wie meine Lehrerinnen sie zu Picknicks mittrugen und von denen sie immer wollten, dass jemand sie ihnen abnimmt. Doña hält ihm zwei Scheine hin, aus der Halle kommen kühle Luft und künstliche Geräusche von Musik und anderen Dingen. Doña nimmt sich ein rotes Tütchen aus der Picknickbox, ich auch. »Hier«, Doña beißt mit den Zähnen die Folie vom Wassereis ab, »musst aufpassen, kannst du nicht bei jedem kaufen, manchmal ist das Wasser schmutzig, und dein Magen macht ein paar Tage alles, was du nicht willst.« Sie macht ein blubberndes Geräusch, ich lache, dann saugt sie an dem kleinen Loch, das sie aufgebissen hat, bis um ihre Lippen herum das Eis seine rote Farbe verliert, ich mache es ihr nach, die Folie schmeckt bitter, was dahinter kommt ist seifig und süß, es tut gut. Dann gehen wir in die Halle, schieben uns durch die Menschen, wie ein Vorhang stehen sie herum. Doña geht vor, sie schiebt sie zur Seite, aus dem Weg. Sie rufen ihre Waren in die Halle, die Preise, Grüße, die Schönheit oder die Summen, die Tagesangebote, es gibt Kurzwaren, Nadeln, Batterien, daneben der Mann mit den Hühnerteilen, die Beine hängen schlaff in die Halle hinein. »Lecker«, Doña fragt mich, was ich brauche, ich zucke mit den Schultern, am Boden sitzt ein Junge und verkauft Lichterketten, singende Weihnachtsmänner und blinkende Tannenbäume. »Mijo, wir kommen nächstes Jahr wieder.« Er nickt, Doña verdreht die Augen wegen der Unangemessenheit der Weihnachtsbeleuchtung, wie mein Vater, wenn er mit seinen letzten Sommershorts durch den Discounter ging und sich an der Kasse beschwerte, dass die Spekulatius so aufgestellt waren, dass er sie sehen musste, auf Augenhöhe, in den Zwischenregalen, eine Frechheit. Wir hatten Regeln. Nichts, dass nach Weihnachten roch, aussah oder schmeckte, durfte in unser Haus, geschweige denn in unseren Mund kommen vor dem ersten Advent. Nur in seinem letzten Jahr machte er eine Ausnahme.

      »Ich werde zu Weihnachten nicht mehr da sein, mija.« Mein Vater hatte bei mir einen Schokoladennikolaus bestellt, hielt ihn in seinen Händen, stellte ihn auf den Kopf. »Wahrscheinlich«, er schwenkte ihn hin und her, wankte, setzte sich. Ich hasste den Supermarkt dafür, dass diese Sachen so früh in den Verkauf kamen, er war zu schnell in seinen Händen gelandet. Er entblätterte ihn zittrig, oben, an der Kappe, zog ein wenig rote Alufolie ab. »Deshalb darf ich auch jetzt schon.« In seinem Scherzen war nichts Bitteres, aber mein Körper vereiste. Der schokoladenbraune Kopf erschien unter seinem erwartungsvollen, ausgezehrten Gesicht. Er legte ihn auf seine untere Zahnreihe, biss langsam ab, seine Kraft reichte gerade noch für die billige Schokolade. »Das ist lustig, Yona«, er kaute, schloss die Augen, genoss kurz. »Ich habe es ausgerechnet, das Ende ist dann ungefähr«, seine Worte kamen sehr langsam, »auch das Fest der Geburt.« Er wischte sich mit einem Finger die verzuckerten Mundwinkel ab und hielt mir den Rumpf hin, ich winkte ab. »Stimmt, du darfst auch gar nicht probieren, bei dir würde das ja gegen die Regeln verstoßen, ganz eindeutig«, sagte er und biss noch ein wenig ab. Er kaute, schluckte. »Was ich noch sagen will, also, es ist ja immer auch ein Anfang.« Er

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