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Blaulichtmilieu. Stefan Mühlfried
Читать онлайн.Название Blaulichtmilieu
Год выпуска 0
isbn 9783839266984
Автор произведения Stefan Mühlfried
Жанр Триллеры
Издательство Автор
In Absprache mit der Polizeiführung haben wir auf die Einrichtung einer Sonderkommission verzichtet. Der Grund: Nach allem, was wir bisher wissen, handelt es sich um einen Einzeltäter. Wir haben bislang keinerlei Hinweise gefunden, dass es Hintermänner gibt. Trotzdem wird dieser Fall ein wenig über den Rahmen des Üblichen hinausgehen: Wir haben eine große Menge an Zeugen und Betroffenen, die alle vernommen werden müssen, und die Presse wird jeden unserer Schritte genau beobachten, ganz zu schweigen von Polizeipräsident und Innensenator. Seien Sie sich dessen bitte bewusst, und fordern Sie bei Bedarf zeitig weitere Kräfte an. Mit dabei ist der polizeiliche Staatsschutz in Gestalt des LKA 7. Herr Behrend und Frau Zander waren heute vor Ort, vielleicht hat der eine oder andere sie schon am Flughafen gesehen.«
Die beiden Kollegen nickten in die Runde.
»Und da der Tatort der Flughafen war, ist auch die Bundespolizei mit an Bord. Im Grunde fällt die Angelegenheit in ihren Zuständigkeitsbereich, aber da die Bundespolizei keine Tötungsdelikte bearbeitet, sind wir übereingekommen, dass die Sache von uns geführt wird. Wenn Sie irgendetwas von der BuPol brauchen, wenden Sie sich am besten an Herrn Kubicki.«
Der Bundespolizist nickte. »Gerne. Und entschuldigen Sie bitte meinen Aufzug. Hätte ich gewusst, dass es hier so leger zugeht, hätte ich mir kein Bein ausgerissen, um noch zu duschen und die Uniform zu wechseln.«
Alle lachten.
»Wie Herr Decker ganz richtig sagte, liegt der Fall eigentlich bei uns, aber wir sind ganz froh, dass Sie sich darum kümmern. Wenn Sie die Kollegen von der Flughafenwache vernehmen wollen oder Augen und Ohren vor Ort brauchen, koordiniere ich das gerne für Sie.«
»Sehr schön, vielen Dank«, sagte Decker. »Auch von meiner Seite kann ich Ihnen allen volle Unterstützung zusichern: Sagen Sie, was und wen Sie brauchen, und Sie werden es bekommen. Also alles wie immer.«
Verhaltenes Lachen. Die prekäre Finanz- und Personallage der Polizei war ihnen allen bekannt.
»Noch Fragen? Gut. Ich übergebe die Leitung des Einsatzes hiermit an Herrn Thewes von der Mordermittlungsgruppe drei.«
»Danke«, sagte Arthur. »Wie gesagt, sieht es vom ermittlungstechnischen Standpunkt her nicht kompliziert aus. Sprengstoffexperten und die Spürhunde haben jede Ecke und jeden Winkel des Flughafens abgesucht, ohne einen Hinweis auf Mittäter oder eine weitere Bombe zu finden. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um einen Selbstmordanschlag handelt, womit wir keinen flüchtigen Täter mehr suchen müssten. Alleine der große Umfang des Tatorts, der Spuren und der Zeugen und nicht zuletzt, wie Herr Decker schon sagte, die große Aufmerksamkeit, die unserer Arbeit zuteilwird, machen die Sache aufwendig.« Er wandte sich an den Bundespolizisten. »Herr Kubicki, könnten Sie die Befragung der Angestellten am Flughafen übernehmen? Ihre Leute sind näher dran, man kennt sie, und Sie würden uns damit sehr helfen.«
Kubicki nickte. »Natürlich. Ich habe damit gerechnet, meine Leute sind bereits unterwegs.«
»Vielen Dank. Herr Behrend, Frau Zander, wie stellt sich die Sache aus Sicht des Staatsschutzes dar?«
Zander winkte ab. »Diffus. Ich wünschte, wir könnten Ihnen etwas anderes sagen, aber die Sache hat uns ziemlich kalt erwischt.« Sie war eine kleine rundliche Frau Anfang 40 mit kurzen dunklen Haaren. Obwohl sie entspannt auf die Unterarme gestützt am Tisch saß, strahlte sie eine ungeheure Dynamik aus.
Marie mochte sie auf Anhieb.
»Zwar hat die Terrormiliz ›Islamischer Staat‹ über ihren Propagandadienst Amak verlauten lassen, sie sei für den Anschlag verantwortlich, aber wie üblich wurde kein Täterwissen offenbart und nur spärlich Informationen herausgegeben: ›Der Ausführer des Sprengstoffanschlags heute in Hamburg ist ein Soldat des Islamischen Staates. Er führte die Operation nach Aufrufen zum Angriff auf Angehörige der Koalitionsstaaten aus.‹ Das war alles.«
»Ist es nicht ohnehin so, dass der IS bereitwillig die Verantwortung für jeden Vorfall übernimmt, der nur im Entferntesten nach einem Anschlag aussieht?«, frage Kubicki.
Zander nickte. »Im Grunde schon. Wir verlassen uns lieber auf unsere eigenen Erkenntnisse, aber die sind dieses Mal ausgesprochen dünn. Für gewöhnlich liegen uns bereits geraume Zeit vor einer Tat zumindest vage Beobachtungen vor. Wenn diese sich weit genug eingrenzen lassen, dann können wir die Tat oft verhindern. Wir kennen unsere Szene, die linke wie die rechte, und wir bekommen jede größere Erschütterung mit. Aber dieses Mal – nichts. Nicht bei den Islamisten, nicht bei den Rechten, nicht bei den Linken. Sogar die Reichsbürger machen Ferien.«
»Für mich klingt das nach Einzeltäter«, sagte Harald.
Behrend, ein großer Mann mit strubbeligen schwarzen Haaren und einem dicken Schnauzbart, nickte.
Er erinnerte Marie an eine ältere Beamtenversion von Tom Selleck als Privatdetektiv Magnum. Nur nicht so gut aussehend.
»Ja«, bestätigte Behrend, »scheint so. Aber im Regelfall haben wir auch die einsamen Wölfe auf dem Radar, denn auf die eine oder andere Art und Weise sind sie alle vernetzt. Extremisten wollen Bestätigung, sie lieben ihre Filterblase, wie das neudeutsch so schön heißt. Wir dürfen zwar nicht alles mithören, doch die meisten kennen wir.«
»Ibrahim Kabaoglu?«, fragte Marie. »War der bei euch bekannt?«
Zander schüttelte den Kopf. »Eine makellos weiße Weste. Braver Staatsbürger und Steuerzahler, kein einziges Mal in einer der Moscheen aufgetaucht, die wir im Fokus haben.«
»Also sehr vorsichtig? Oder hat er wirklich eine weiße Weste?«
»Meine Liebe, wenn wir das wüssten, wären wir ein gutes Stück weiter.«
»Es spricht aber dennoch eine Menge gegen Kabaoglu«, sagte Behrend. »Ich meine, er hatte im wahrsten Sinne des Wortes die Hand an der Bombe, oder?«
Allgemeines Nicken.
»Gut«, sagte Arthur Thewes. »Wir haben einiges auf der Liste: Familie Kabaoglu muss noch heute vernommen werden, und ich möchte so schnell und so genau wie möglich wissen, was heute Morgen passiert ist, von den beteiligten Personen bis hin zur Bauart der Bombe, dem Explosionsradius und allem, das uns helfen kann, den Vorfall zu rekonstruieren. Ich brauche Aussagen von den eingesetzten Polizisten, Ärzten, Feuerwehrleuten, alles.«
»Wir übernehmen Familie Kabaoglu«, sagte Marie.
»Dann übernehmen die Evangelisten die Tatrekonstruktion. Einverstanden?«
»Evangelisten?«, fragte Kubicki.
»Johannes und Markus, vermute ich«, sagte Zander.
Kubicki schmunzelte.
»Ist dieser Boskop schon vernehmungsfähig?«, fragte Thewes.
»Nein«, antwortete Markus Schnittgereit. »Wir waren vorhin im Krankenhaus Boberg wegen ein paar anderer Aussagen. Es scheint ihm besser zu gehen als befürchtet, aber noch ist nichts zu machen.«
»Okay, aber bleibt dran. Mit Glück können wir den Sack zumachen, sobald wir seine Aussage haben.« Arthur stand auf. »Wenn ihr mich bitte entschuldigt.« Er sammelte seine Papiere ein und verließ den Raum.
Für Marie wirkte es wie eine Flucht, und die verwunderten Gesichter ihrer Kollegen zeigten, dass es ihnen ebenso ging.
Er saß vor seinem Fernseher, unfähig, sich zu bewegen. Sein ganzes Sein war von den Bildern eingenommen, die über den Bildschirm flackerten. Die restliche Welt hatte aufgehört zu existieren. Seine Hände waren taub, und die Kommentare aus den Lautsprechern drangen wie durch Watte zu ihm und verhallten in der Leere in seinem Inneren.
»… 17 Tote …«, hallte es ihm durch den Schädel. »… Bombe … Koffer … Flughafen …« Die Kamera schwenkte durch die Halle. »… Turkish Airlines … Zuckerfest …« Bilder in seinem Kopf. Die Mutter, wie sie ihn küsste. Die Schwester, die ihn umarmte. Der Vater, der