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Befragungen durch. Ist Ihnen in den letzten Tagen etwas an Altay aufgefallen?«

      Der Vorarbeiter spitzte die Lippen und ließ den Atem entweichen. »Also, ein bisschen komisch war er schon.«

      Marie und Harald wechselten einen raschen Blick.

      »Inwiefern?«, fragte Harald.

      »Na ja, er war irgendwie nicht richtig bei der Sache. Ist sonst ein prima Kerl und immer voll dabei. Leistet gute Arbeit, wirklich. Aber in den letzten Tagen … Er war ganz woanders mit seinem Kopf. Und in jeder Pause ist er raus, dabei raucht er gar nicht mehr. Ich glaube, er hat telefoniert.«

      »Wissen Sie, mit wem?«

      »Nee, keine Ahnung.«

      »Könnten Sie uns bitte informieren, wenn Herr Kabaoglu wiederauftaucht? Wir würden ihm gerne ein paar Fragen stellen. Hier ist unsere Visitenkarte.«

      »Klar«, sagte der Vorarbeiter und steckte die Karte in die Brusttasche seiner Latzhose.

      »Vielen Dank.«

      »Ist ein guter Kerl.«

      »Wie bitte?«

      »Altay. Ist ein guter Kerl. Das mit der Abmahnung nehmen Sie man nicht zu ernst.«

      »Natürlich.«

      Sie fuhren zu Altays Wohnanschrift und klingelten. Keine Antwort.

      »Habe ich mir schon gedacht«, sagte Harald und drückte zum dritten Mal den Klingelknopf.

      »Zu wem wollen Sie?«, fragte jemand hinter ihnen.

      Sie drehten sich um. Eine ältere Frau blickte halb misstrauisch, halb neugierig zwischen ihnen hin und her.

      »Zu Herrn Kabaoglu«, sagte Marie.

      »Der ist nicht da. Soll ich ihm etwas ausrichten?«

      »Nein, danke. Wir kommen später wieder.«

      »Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?«

      »Wir wollten mit Herrn Kabaoglu über die Bibel sprechen«, sagte Marie. »Es ist nie zu spät, gerettet zu werden. Wie steht es um Ihr Seelenheil?«

      »Gott bewahre«, schnaubte die Frau und verschwand im Haus.

      »Marie«, tadelte Harald sie, konnte sich ein Grinsen aber nicht verkneifen.

      »Ach, ich kann diese neugierigen alten Schachteln nicht ab.«

      »Und wenn wir sie noch befragen müssen?«

      »Schicken wir die Evangelisten Johannes und Markus.«

      Sie setzten sich in den Wagen. Harald zog sein Telefon heraus und wählte Altays Mobilnummer. Über die Freisprechanlage hörten sie die Ansage: »Diese Nummer ist zurzeit nicht erreichbar.«

      »Aha«, sagte Harald. »Allmählich wird es auffällig, meinst du nicht?«

      »Ja, scheint fast, als wolle er nicht gefunden werden.«

      »Mich würde interessieren, mit wem er die letzten Tage telefoniert hat.«

      »Lass es uns herausfinden.«

      Seit dem Anruf am Vortag hatte Altay gebetet, so oft er konnte und die Vorschriften es zuließen. Um Vergebung, dass er seinen Vater getötet hatte. Um Verständnis, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Aus Dankbarkeit, weil Schwester und Mutter lebten. Und für eine Eingebung, wie er mit seinen Glaubensbrüdern umgehen sollte.

      Es war nicht recht, was sie getan hatten. Ungläubigen den Tod zu bringen, war gerecht und gottgefällig, aber es waren nicht nur Ungläubige in die Hölle geschickt worden. Sein Vater und viele der Toten waren gläubige Moslems – manche zwar nicht auf dem rechten Pfad der Tugend, den Versuchungen der Heiden anheimgefallen, schwach im Glauben und unwillig zu kämpfen. Aber musste ein gerechter Krieg nicht bei den Leugnern und Heiden, den falschen Propheten und Verkündigern der Sünde anfangen? Das Übel an der Wurzel ausreißen?

      Wie konnten sie ihn nur so benutzen? Sie wollten ihm nicht sagen, was in dem Paket war, das er in den Koffer gelegt hatte. Was du nicht weißt, kannst du nicht verraten, hatten sie gemeint. Was sollte in so einem Paket schon sein? Geld wahrscheinlich. Oder Drogen, um ihren heiligen Krieg zu finanzieren. Das hatte er vermutet und es nicht genauer wissen wollen.

      Aber Sprengstoff? Er war bereit, Ungläubige zu töten, ja, das war er. Sie hätten ihn nur fragen müssen, und er hätte den Sprengstoff am Flughafen versteckt und eigenhändig gezündet. Aber so?

      »Allah ist mit dir. Du hast Großes vollbracht. Unsere Bewunderung und Dankbarkeit wird dir für immer sicher sein.«

      Lächerlich! Bewunderung? Dankbarkeit? Wofür? Dafür, dass er ein nichtsahnender nützlicher Idiot war? Dafür, dass er keine Fragen stellte?

      Sie hatten ihn geopfert. Ein Bauernopfer, das sie jetzt mit Geld und falschen Papieren abspeisen wollten. Ihm zur Flucht verhelfen, ja, das war bequem. Wahrscheinlich wäre es ihnen am liebsten gewesen, wenn er gleich mit in die Luft geflogen wäre. Oder war das sogar ihr Plan gewesen? Die ganze Familie am Flughafen, fröhlich, vollkommen unverdächtig, und dann – bumm!

      Und jetzt hing die verdammte Polizei vor seiner Wohnung herum. Sie trugen Zivil, aber es waren Polizisten, ganz sicher. Er hatte nur ein paar Sachen von zu Hause holen wollen, bevor er endgültig untertauchte, doch daraus wurde nun nichts mehr. Sie waren auf seiner Fährte. Er konnte nirgends mehr hin, wo man ihn vermutete, mit niemandem reden, den er kannte, nichts tun, was verdächtig war. Nicht einmal seinen Vater zu Grabe tragen.

      Und das war nur ihre Schuld.

      Tim schloss die Wohnungstür hinter sich und warf den Schlüssel auf die Flurkommode. Er holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, setzte sich aufs Sofa, legte die Füße hoch und trank einen großen Schluck.

      Der heutige Tag war im Vergleich zu gestern ruhig gewesen. Einiges an Kleinkram – ein umgeknickter Knöchel, eine Platzwunde und ein Verkehrsunfall mit einer Person, die Schmerzensgeld witterte, jedoch offensichtlich unverletzt war. Dazu einige ernst zu nehmende Einsätze – Asthma, Herzprobleme, ein gebrochenes Bein nach Motorradunfall.

      Trotzdem war Tim rechtschaffen fertig, und er fragte sich warum. Klar, das Ding am Flughafen war nicht ohne gewesen, aber kein Grund, in den Seilen zu hängen. Lag es an der Sache mit Marie?

      Er stand auf, ging zum Schlafzimmer und lehnte sich an den Türrahmen. Er hatte das Bett gestern Abend noch frisch bezogen – er hatte es nicht ertragen, ihren Geruch um sich zu haben. So großartig die Nacht gewesen war, so ernüchternd war der Morgen. Machte ihm die Abfuhr so zu schaffen? Er überlegte. Nein, sicher nicht. Damit konnte er leben. Auch er war das eine oder andere Mal vor dem Frühstück gegangen – das war halt so bei One-Night-Stands.

      Er ging zurück ins Wohnzimmer und ließ sich wieder aufs Sofa fallen. Die Bierflasche schäumte über, und er bemühte sich, den Schaum aufzuschlürfen, bevor er auf den Boden tropfte.

      One-Night-Stand – ja, das war es wohl gewesen. Von Zeit zu Zeit ganz okay, wenn man solo war, aber nur, solange keiner von beiden mehr erwartete.

      Und nun hatte es ihn erwischt. So fühlte sich das also an.

      Er ging in die Küche und holte Gemüse aus dem Kühlschrank. Kochen, fand er, war eine wunderbare Sache, um die Nerven zu beruhigen. Gemüse schnippeln hatte für ihn etwas geradezu Meditatives. Er hatte das Gefühl, die Pesto-Gemüsepfanne würde heute Abend ziemlich groß ausfallen.

      Das Telefon klingelte. Er ging ran, ohne vorher auf die Nummer zu sehen. Großer Fehler.

      »Roth.«

      »Ich muss mit dir reden.«

      Natürlich. Welchen Grund sollte man sonst haben, jemanden anzurufen? Von Liebesgeflüster konnte sicher keine Rede sein, wenn die Ex anrief.

      Tim verbiss sich einen Kommentar. »Was gibt’s?«, fragte er.

      »Das Wochenende. Es wird nichts.«

      »Aber

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