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Zentrum gerichtet. Mit den schnellen, unwillkürlichen Reaktionen geschieht dann das Unerwartete.

       2.1.2System 1 und System 2

      Wenn man das Phänomen »Rationalität« genauer untersuchen möchte, lohnt es sich, die zwei Systeme des Denkens im Blick zu haben, die Daniel Kahneman (2012) in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken ausführlich und eindrücklich beschrieben hat. Wir können diese beiden Systeme im Alltagsgeschehen kaum auseinanderhalten, da sie untrennbar zusammenarbeiten. Vereinfacht ausgedrückt: Alles, was unwillkürlich gemacht und gedacht wird, gehört zu System 1, und alles, was einer Rechenleistung des Gehirns bedarf, gehört zu System 2.

      »In System 1 entstehen spontan die Eindrücke und Gefühle, die die Hauptquellen der expliziten Überzeugungen und bewussten Entscheidungen von System 2 sind. Die automatischen Operationen von System 1 erzeugen erstaunlich komplexe Muster von Vorstellungen, aber nur das langsamere System 2 kann in einer geordneten Folge von Schritten Gedanken konstruieren (Kahneman 2012, S. 33).

      Kahneman führt weiter aus, dass, wenn System 1 beteiligt ist, die Schlussfolgerung zuerst kommt und dann erst die Argumente von System 2 folgen. Das Spannende an Kahnemans Konzept ist, wie diese beiden Systeme trotz ihrer fundamentalen Unterschiedlichkeit ineinandergreifen. Das, was man subjektiv als rationale Gedanken empfindet, ist aus dem Zusammenwirken beider Systeme gespeist. Aus den Wahrnehmungen und Gedächtnisinhalten konstruiert das assoziative Gedächtnis (System 1) fortwährend und blitzschnell seine Interpretationen. Diese sind dann sozusagen das Futter für die langsameren mentalen Aktivitäten (System 2), deren Ergebnisse sich rational anfühlen und subjektiv ohne Weiteres als Handlungs- und Entscheidungsfreiheit erlebt werden können.

      Seitdem ich ein Bewusstsein für die beiden Systeme des Denkens habe, fallen mir manchmal solche – zum Teil abstrusen – Interpretationen auf. Hier zwei Beispiele aus meinem Alltag für das unglaublich schnell agierende System 1:

       Beispiele: Von Siamkatzen und Gorillas

      a) Beim morgendlichen Walken über eine Wiese sehe ich von Ferne etwas, das mein System 1 sofort als leblose Siamkatze identifizierte – unwillkürliche Mustererkennung. Automatisch geht es weiter in meinen Gedanken: Hab ich mein Handy dabei, um ein Foto für den Besitzer zu machen oder einen Tierarzt anrufen zu können? Dann überlege ich weiter, wie ich sie mitnehmen könnte, falls sie nur schwer verletzt ist. Mein Herz klopft stark, ich zittere etwas und während ich näher komme, bin ich auf alles gefasst …, um dann eine hingewehte, hellbeige Luftpolsterfolie zu entdecken.

      b) Als Beifahrerin im Auto schaue ich auf ein Feld, in dem mein System 1 einen Menschenaffen entdeckt. Ich reagiere ungläubig, und trotzdem produzieren meine Gedanken eine glaubwürdige Hypothese: Der Züricher Zoo ist nicht weit und es besteht theoretisch die Möglichkeit, dass der Affe seiner Gefangenschaft entkam und nun hier herumläuft. Er entpuppt sich dann als Bauer im schwarzen Regenmantel.

      System 1 schafft blitzschnell Wirklichkeiten, die sich der Selbststeuerung komplett entziehen, eben weil es so schnell ist. Auf den Begriff der Rationalität angewandt könnte man daraus schließen, dass geordnetes Denken erheblich komplexer vonstattengeht, als man sich das landläufig vorstellt, und es deshalb mit Vorsicht zu genießen ist. Frei nach Heinz Erhardt: »Man sollte sich nicht alles glauben, was man denkt.«

      Die Arbeit mit der Triade unterstützt eine solche Haltung, da man immer wieder überrascht wird, wie eklatant die Diskrepanz sein kann zwischen den rationalen Überlegungen zum Geschehen und dem reinen Körpererleben.

       2.1.3Selbstbild und embodimentale Wirkung

      »Da das Bewusstsein allen möglichen äußeren Anziehungen und Ablenkungen ausgesetzt ist, lässt es sich leicht dazu verleiten, Wege zu gehen, die seiner Individualität fremd und nicht gemäß sind« (Jung 2011, S. 30 f.).

      Dieses Zitat von C. G. Jung fasst zusammen, dass äußere Einflüsse, sowohl aus dem Familiensystem als auch aus anderen systemischen Kontexten, in uns und auf uns wirken. So speist sich auch die Einschätzung der eigenen Persönlichkeit ein Leben lang aus unterschiedlichsten Quellen und schafft in Summe das Selbstbild. Jeder kennt Situationen und Begebenheiten, in denen er sich falsch verstanden fühlt. Man erhält z. B. die Rückmeldung, dass man im Ton nicht angemessen sei, oder jemand schreit los: »Ich bin überhaupt nicht genervt!« Oft wissen wir nicht wirklich, welche Wirkung wir auf andere haben, und es ist geradezu natürlich, dass wir manchmal der Meinung sind, der andere habe ein Problem, aber nicht wir selbst.

      Die eigene psychische und auch körperliche Wirkung auf die Umwelt und besonders auf andere Menschen kann man häufig nur bedingt in den Fokus bekommen. Man steckt nun mal in der eigenen Haut und kann sich selbst eben nicht von außen wahrnehmen. Im Fokus ist das, was man von sich sieht. Das, von dem man meint, dass es einen ausmacht. Und unter anderem generiert man daraus die eigene Identität. Immer wieder stellt man jedoch fest, dass man auf andere Menschen anders wirkt, als man sich selbst wahrnimmt (siehe Abb. 6).

       Abb. 6: Fokus und Wirkung

      Je höher die Kongruenz – die Übereinstimmung von Selbstbild und Fremdbild –, desto realistischer ist ein Mensch, was die Einschätzung seiner selbst und seiner Außenwirkung betrifft. Wenn Selbst- und Fremdbild eines Menschen sehr stark voneinander abweichen, dann sind Konflikte nicht weit. Denn er versucht automatisch – vor allem für sich selbst –, Erklärungen dafür zu finden, warum ihn andere angeblich falsch wahrnehmen oder falsch interpretieren. Dann kann er an sich selbst zweifeln oder an den anderen oder auch an beidem. Jede der Varianten ist für zwischenmenschliche Beziehungen belastend. Wie unsere Wirkung auf andere ist und was das wiederum mit ihnen zu tun hat, ist ein komplexes systemisches Geflecht.

      Es gibt die interessante Idee, man könne einen anderen Menschen spiegeln. Da jedoch der »Spiegel« ein anderer Mensch mit eigenem Fokus und Bezugssystem ist, kann es höchstens ähnlich sein, was man einem anderen zur Verfügung stellt. Aufgrund der Unterschiedsbildung beim triadischen Prinzip kann man den einzelnen Komponenten in sich mehr auf die Spur kommen.

       Die embodimentale Wirkung mit in den Fokus nehmen

      Diese Betrachtungsweise ist für die Idee einer minimalinvasiven Psychologie hilfreich, da man geneigt ist, sich in der Beratung damit zu befassen, was der Kunde im Fokus hat, und das ist unter Umständen problem- oder defizitorientiert. Der embodimentale Zugang eröffnet jedoch einen weiteren Horizont: Durch den zirkulären körperlichen Perspektivwechsel können Bereiche, Themen, Relevanzen bemerkt und aktiviert werden, die über den Rahmen des bewusst Erfassten hinausgehen. Was über den persönlichen Fokus hinauswirkt, erschließt sich hier auf eine natürliche Weise.

       2.1.4Das Johari-Fenster

      Ein weiterer Begriff, der das Phänomen der eigenen Wirkung auf die Umwelt aufgreift, ist der blinde Fleck. Dieser bezeichnet den Teil der Persönlichkeit, der anderen bekannt, einem selbst jedoch unbekannt ist. Im Modell des Johari-Fensters (Knust 2011) ist er einer der folgenden vier Bereiche (siehe Abb. 7):

      •die öffentliche Person – einem selbst und anderen bekannt

      •die private Person – einem selbst bekannt, anderen unbekannt

      •der blinde Fleck – einem selbst unbekannt, anderen bekannt

      •das Unbekannte – einem selbst und anderen unbekannt

      Das Unbekannte umfasst unter

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