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Alles Recht geht vom Volksgeist aus. Benjamin Lahusen
Читать онлайн.Название Alles Recht geht vom Volksgeist aus
Год выпуска 0
isbn 9783947373505
Автор произведения Benjamin Lahusen
Жанр Афоризмы и цитаты
Издательство Bookwire
Und er macht sich gleich an sein grundstürzendes Werk. In Marburg beginnt er eine Lehrtätigkeit, die seine Zuhörer schon wegen ihrer intellektuellen Brillanz unweigerlich fesselt, dazu kommt seine imposante, großgewachsene Erscheinung und das schulterlange Haar. Zu seinen ersten Studenten gehören Jacob und Wilhelm Grimm, die bald eine grenzenlose Verehrung für Savigny entwickeln. »Dieses lehrenden Mannes freundliche Zurede, handbietende Hülfe, feinen Anstand, heiteren Scherz, freie, ungehinderte Persönlichkeit kann ich nie vergessen«, schwärmt Jacob von dem kaum älteren Lehrer,16 dem er brieflich offen bekennt: »Ich werde Sie immerfort lieb haben.«17 Die Deutsche Grammatik, die Jacob 1819 erstmals vorlegt, widmet er dem bewunderten Meister. Und Wilhelm notiert: »Ich würde ohne Bedenken mein ganzes Leben in seine Hände legen. […] Sein Muster muntert mich auf, es macht aber auch mutlos, weil man es nicht erreichen kann.«18 Diese letzte Einschätzung ist durchaus zutreffend – bis heute unerreicht geblieben ist das erste Werk, das der Dozent Savigny 1803 vorlegt: Das Recht des Besitzes, das den 24-Jährigen an die Spitze der deutschen Privatrechtswissenschaft setzt und ihn zudem zum außerordentlichen Professor in Marburg macht.
Studiermaschine
Savigny steht nun im Zentrum eines echten romantischen Kreises. Der Philologe Friedrich Creuzer gehört dazu, mit dem Karoline von Günderrode bald eine neuerlich schmerzhafte Affäre beginnt, die Brüder Grimm, Achim von Arnim, Clemens und Christian Brentano, und natürlich deren Schwestern, allen voran die umtriebige Bettina, die sich von Savignys stillem Wesen ebenfalls angezogen fühlt. Clemens versucht hartnäckig, Savigny mit Bettina zu verkuppeln – »es ist ein Mädchen von Gott gesandt, schüzzen sie die heilige Pflanze«, schreibt er dem gelehrten Freund im Herbst 1800,19 und auch Bettina arbeitet offen und unbekümmert für eine gemeinsame Zukunft. »Denken Sie an mich«, fordert sie von Savigny und moniert mit gespielter Entrüstung sein Desinteresse: »Ihr könnt das Posthorn von meinem Reiswagen hören und wüßtet nicht, daß ich es bin«,20 und weiter: »Ich will wetten, Sie wissen nicht mehr, wie ich aussehe, ob ich braune oder blaue Augen habe«, während sie ihn umgekehrt ausführlich studiert habe: »Sie haben große Blaulichte Augen und einen sehr frommen Mund übrigens haben Sie einen sehr wunderbaren Kopf und um diesen sind Sie großer als viele andre und um 3 großer als ich.«21
Aber alles Werben und Beten hilft nichts. 1804 heiratet Savigny die ältere Brentano-Schwester Kunigunde, die, deutlich spröder als Bettina und vermutlich die Bodenständigste unter den Geschwistern, Savignys Sehnsucht nach Ruhe und Maß am ehesten stillen kann. Der Freundeskreis verbringt viel Zeit bei Savignys auf Trages, man verreist gemeinsam, und Savigny unterstützt manchen seiner nicht immer lebenstüchtigen Freunde finanziell. Vor allem Clemens profitiert davon. Er dankt es auf seine Weise: In den Romanzen vom Rosenkranz, die er wohl 1803 in Savignys Haus in Marburg beginnt, taucht Savigny als »der stolze Jacopone« auf, der »helle Stern am Himmel der Juristen«, wie Clemens erläuternd hinzufügt, gelehrter, belesener, weiser, angesehener, eloquenter als alle übrigen Rechtsgelehrten des Planeten: »Wüßten das, was er vergessen, / Manche andre Professoren, / Wäre ziehenden Studenten / Öfters aus der Not geholfen.«22 Die Kollegen werden es mit Freuden vernommen haben. Brosamen von Savignys Tisch sind für sie noch immer ein Festmahl.
Ganz ungetrübt bleibt das Verhältnis der Freunde untereinander jedoch nicht. Die Günderrode ist tief enttäuscht über Savignys Eheschließung mit Kunigunde, Bettina nennt ihn nun »Habihnnie«23 und Clemens, bei aller Bewunderung für Ausgeglichenheit und Pflichtbewusstsein des Schwagers, zeigt sich doch »angeekelt« von dem »unendlichen Gleichmut«, mit dem dieser »von Morgens bis abends seine Folianten durchbuchstabiert«.24 Obwohl Clemens bekennt, Savigny zu ehren »wie keinen Menschen auf der Erde«, beklagt er sich wehmütig, »die Einsamkeit mit Savigny zerdrückt mich oft«.25 Tatsächlich ist schwer zu sagen, mit wie viel innerer Anteilnahme Savigny seine Freundschaften pflegt. Geselligkeit schätzt er durchaus; doch die Träume und Phantasien der Romantiker bleiben ihm merkwürdig fremd. Das Zauberwort trifft ihn nicht.26 Savigny bleibt in seinem »Schnecken Palast«,27 widmet sich den Büchern, den Studien, seiner Wissenschaft. Clemens empört sich immer wieder darüber, der inniglich geliebte Freund höre ihm nur aus Höflichkeit zu, rede »mit dem Buch in der Hand, ja arbeitet während der ganzen Unterredung fort, und kaum bin ich vor der Thüre, so bewegt sich die ganze Studiermaschine« wieder im alten Gleis.28 Was sich im Innern der Maschine abspielt, bleibt selbst den engsten Freunden verborgen.
Aber das Gleis gibt unbeirrbar die Richtung vor. Savigny fehlt das Material für die weitere Arbeit, er braucht neue Quellen. Mit Kunigunde reist er nach Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Straßburg, Metz; schließlich kommen die beiden nach Paris. Bei der Einreise fällt unbemerkt ein Koffer vom Wagen; die Pläne und Übersichten über Bibliotheken, Quellen, Ausgaben, Manuskripte sind verloren, dazu »tausend Notizen, zufällig gefunden oder componirt«, an die sich »eine Menge unaufgelöster Fragen […] knüpften«, insgesamt ein empfindlicher Verlust für den »Sammlerfleiß«, den Savigny sich selbst attestiert.29 Jacob Grimm kommt nach und hilft, den Rückschlag wieder wettzumachen. Unter widrigen Bedingungen exzerpieren Lehrer und Schüler ein knappes Jahr lang Unmengen mittelalterlicher Handschriften. Über Trier und Koblenz reisen sie Ende 1805 zurück nach Trages. Hier wird die unterwegs geborene Tochter Betine getauft, das erste von insgesamt sechs Kindern der Savignys.
Die Lehrtätigkeit in Marburg nimmt Savigny nicht mehr auf. Im Sommer 1806 bricht die junge Familie zu weiteren ausgedehnten Bibliotheksreisen auf, diesmal nach Süddeutschland. In Nürnberg bringt Kunigunde einen Sohn zur Welt, der nach nur vier Tagen stirbt. »Der Schmerz ist kalt und lähmt alle Kraft«, schreibt Savigny an Bettina.30 Aber damit nicht genug: Zur selben Zeit trifft die Nachricht von Günderrodes Tod ein, die sich wegen der unglücklichen Liebe zu Savignys Freund Creuzer das Leben genommen hat. In der für ihn typischen Nüchternheit gibt Savigny zu Protokoll, er sei »sehr erschüttert« über dieses Schicksal.31 Die Arbeit schützt ihn vor der Trauer; die Studiermaschine läuft bald wieder auf Hochtouren. Er reist nach Erlangen und Altdorf, anschließend nach Landshut, Augsburg, München, bis nach Salzburg und Wien. Überall stöbert er in den Hinterlassenschaften der Geschichte, sucht nach bewahrenswerten und verlässlichen Nachrichten von der alten Welt und schwärmt von einer »Bibliothek, voll von höchst merkwürdigen Sachen«, der er in Wien verfällt.32 Vermutlich dank Bettinas Charme, die in dieser Zeit fast immer mit den Savignys reist, zeigt sich auch Beethoven bei einer Veranstaltung im Hause Savigny und improvisiert »dort unaufgefordert in seiner hinreißenden Weise«.33 Die Rückreise führt über Weimar, wo Savigny mit seiner Familie einige Tage bei Goethe unterkommt. Man nimmt die Mahlzeiten gemeinsam ein, trifft sich zum Tee und geht zusammen ins Theater; der berühmte Gastgeber vermerkt in seinem Tagebuch dazu: »Komische Geschichten aus der Unglücksepoche des Preuß. Staates.«34 Auf besonderen Wunsch Savignys besucht die Gruppe außerdem die herzogliche Bibliothek, in der Goethe selbst die Führung der Gäste übernimmt.35 Ende 1807 kehren die Savignys nach Trages zurück. Nach gut vier Jahren ist die Wanderschaft damit beendet.
Savigny sehnt sich »nach einer ruhigen Stätte für mich und die Meinigen und für meine Studien«.36 Das Verlangen ist so groß, dass er im Herbst 1808 überraschend einen Ruf nach Landshut annimmt, zu dieser Zeit Sitz der bayerischen Landesuniversität und nach Savignys erst kurz zuvor abgegebener Einschätzung »die widerlichste Universität, nichts als Haß und Partey, ein