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Jahrhundert eine Vorbildfunktion auf dem ganzen Kontinent. Auf den dogmatischen Entdeckungen, die dabei zutage gefördert werden, ruhen alle späteren Errungenschaften. Recht wird gesammelt, gesichtet und sortiert, bis daraus ein widerspruchsfreies, lückenloses System geformt ist, genauso freischwebend und selbstreguliert wie die großartige römische Jurisprudenz mehr als eineinhalb Jahrtausende zuvor. Am Ende des Jahrhunderts ist es so weit. Das heutige römische Recht, das Savigny der Welt angedient hat, wird in generationsübergreifender Kommissionsarbeit in Gesetzesform gegossen. Aus der Vergangenheit des Rechts geschöpft, steht nun ein Gesetzbuch da, das kommenden Zeitaltern den Gang in die Geschichte auf ewig abschneiden wird: das Bürgerliche Gesetzbuch. Am 1. Januar 1900 tritt das neue Werk in Kraft und bringt damit Savignys Jahrhundert, das Jahrhundert der Jurisprudenz, zu einem glanzvollen Abschluss: eine eindrucksvolle Summe deutscher Rechtsgelehrsamkeit, die weltweit Bewunderer und Nachahmer findet.

      In der Heimat dagegen löst das juristische Meisterstück merkwürdig kühle Reaktionen aus. Seine technische Finesse, seine unbestechliche Präzision, seine strenge Abstraktion finden die lobende Anerkennung des kundigen Publikums, aber nicht die Zuneigung der breiten Massen. Zu kalt sind die Insignien der Wissenschaft, die das BGB trägt. Dem bürgerlichen Recht fehlt das staatsbürgerliche Pathos. Dem gewöhnlichen Bürger muss es wie eine sture Aneinanderreihung technischer Details erscheinen, in der, wer berufsmäßig nicht dazu gezwungen ist, weder lesen kann noch überhaupt nur soll. Aber auch die Juristen entwickeln keine rechte Leidenschaft für ihr neues Arbeitsinstrument. Im Lichte des BGB finden sie sich alsbald in ein langwährendes Prekariat versetzt. Die freie Rechtswissenschaft, die das 19. Jahrhundert ausgezeichnet hat, weicht nun einer Alltagsroutine, in der Juristen ihre Gesetze nicht mehr offen selbst produzieren können, sondern ihrer Freiheit im Rahmen des Gesetzesauslegung ein rhetorisch unauffälligeres Korsett anlegen müssen. Die einstigen Herrscher werden zu Schattenmännern.

      Juristen sind flüchtige Wesen, als Menschen noch mehr denn als Rechtsarbeiter. Ein Leben, dessen Werk im Dienste der Vergänglichkeit steht, interessiert noch weniger als seine ephemeren Hinterlassenschaften. Wieder ist es Savignys Erscheinung, die als Ausnahme heraussticht. Seit seinen ersten Tagen als Rechtslehrer übt er auf seine Umwelt eine Anziehungskraft aus, die ihn weit über Juristenkreise hinaus zum bewunderten Intellektuellen werden lässt. Zu seinen Schülern gehören Jacob und Wilhelm Grimm, eine enge Freundschaft verbindet ihn mit Bettina von Arnim und Clemens Brentano, er steht in Austausch mit Johann Wolfgang von Goethe und Wilhelm von Humboldt. Die Gedankenwelt der Romantik hat nicht nur zufällige Spuren in seinem Werk hinterlassen. Aber bestimmend für sein Schaffen bleiben andere Einflüsse. Die Herkunft aus aristokratischem, wohlhabendem, staatstragenden Elternhaus erweist sich als zu prägend, um die Vorboten eines neuen Zeitalters, die sich nach den Befreiungskriegen auch in Preußen zeigen, mit einer liberalen, demokratischen Rechtslehre zu unterstützen. Savigny zieht sich auf die wissenschaftlichen Gefilde der Rechtsgeschichte zurück, um der Politik der Reformkräfte seine eigene Politik entgegensetzen zu können – ein Aristokrat an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert, der die Forderungen der Neuzeit mit den scheinbar neutralen Mitteln der Wissenschaft bekämpft.

      In Savignys privilegiertem, elitären Leben ist viel von dem angelegt, was die Verwaltung der Gerechtigkeit bis heute zu einer privilegierten und elitären Angelegenheit macht. Niemand hat die Art und Weise, wie in Deutschland über das Recht gedacht und geschrieben wird, so beeinflusst wie er. Sein Name steht für die Anfänge einer Selbstbegründung des Rechts, die zum Signum der modernen Rechtswissenschaft schlechthin werden sollte. Aber die Bedingungen, unter denen Savigny am Beginn des 19. Jahrhunderts eine eigenständige Wissenschaft vom Recht etabliert hat, können nun, gut zweihundert Jahre später, kaum mehr dieselben sein. Sein Leben und sein Werk geben deshalb Anlass, den Weg des Rechts von einem untergeordneten Dienstleistungsbetrieb hin zu einer autonomen Disziplin erneut abzuschreiten. Nicht alle Richtungsentscheidungen, die Savigny getroffen hat, führen in die Moderne, auch sein Schaffen enthält flüchtiges Beiwerk. Aber wer sich in Savignys Erbe auf die Suche nach dem Bleibenden neben dem Vergänglichen macht, darf sich eine nachhaltige Vergewisserung über den Zustand des gegenwärtigen Rechtsbetriebs versprechen. Dem dienen die folgenden Kapitel.

      Dichterliebe

       Erlöser

      Dabei ist bereits die Existenz des Gedichts an sich Beleg für eine Sonderstellung des Geehrten. Friedrich Carl von Savigny, dessen 100. Geburtstag von Esmarch in Versform verewigt wurde, war Jurist. Und was immer sich über Juristen sagen lässt – der Gegenstand lyrischer Gesänge sind sie nur selten. Savigny aber war anders. Fast 200 Verse widmete ihm allein Esmarch; gut 20 Jahre nach dem Tod des großen Vorbildes entzog er dessen Leben und Werk irdischen Maßstäben und erhob sie ganz in mystisch-märchenhafte Sphären: Mit »Heldenarmen« und »ewalt’gem Schwerte« habe Savigny »das Geschlecht der Drachen« besiegt, den »Lindwurm« zerschmettert; jahrhundertealte Legenden hätten seiner »diamantenklaren« Geisteskraft weichen müssen und endlich überall der wahren Wissenschaft Platz gemacht, »von West und Ost und Süd und Nord«. Alle Himmelsrichtungen folgen einem Juristen. Wie gesagt: Savigny war anders.

      Und mehr noch: Savigny fand diese Anerkennung nicht nur bei den Vertretern der eigenen Zunft. Esmarch war lediglich einer von vielen, denen Savignys Schaffen Anlass für eine literarische Auseinandersetzung bot. Nicht alle waren von derselben Anbetung getragen. Aber bereits in jungen Jahren entwickelte Savigny eine Anziehungskraft, der sich seine Zeitgenossen nur selten entziehen konnten. Und da er seit ebenso jungen Jahren

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