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19. Juni 1939 berichtete der deutsche Botschafter in Warschau, Hans-Adolf Graf von Moltke, an das Auswärtige Amt in Berlin, dass seine Proteste ungehört verhallten: „Auf meine Frage, ob er es nicht für angezeigt halten würde, der gefährlichen Politik Einhalt zu gebieten, antwortete mir der polnische Staatssekretär Graf Szembek nur mit einem resignierten Achselzucken. Er verwies zwar mit dem Ausdruck des Bedauerns auf die Verschlechterung der Lage, zeigte aber keinerlei Initiative, um, meiner Anregung entsprechend, einen Abbau der Kampfmaßnahmen herbeizuführen.“70 Mitte Juli 1939 fügte Graf von Moltke hinzu: „Es ist immer schwierig gewesen, Minderheitenfragen im Außenministerium zur Sprache zu bringen. Wie die täglich zunehmende Zahl der Gewaltakte gegen die Volksdeutschen zeigt, fühlt sich aber offensichtlich die polnische Regierung jetzt durch die englische Blankovollmacht so stark, daß sie es nicht mehr für nötig hält, bei der Behandlung der Minderheit irgendeine Rücksicht auf die deutschen Interessen zu nehmen.“71

      Im August spitzte sich die Lage der deutschen Minderheit in Polen immer mehr zu. Kirchen, in denen man deutsche Gottesdienste abhielt, wurden gestürmt. Auf dem Lande wurden deutsche Höfe angezündet. Und in den Städten wurden Menschen auf offener Straße verprügelt. Am 25. August begannen die polnischen Behörden mit der Verhaftung und Verschleppung von 15.000 Volksdeutschen. An den Grenzen mussten Zeltlager errichtet werden, um die aus Polen strömenden Flüchtlinge aufzunehmen. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sollen bis zum Kriegsausbruch 78.000 Volksdeutsche ins Reich geflohen sein; noch einmal 18.000 retteten sich nach Danzig.72

      Die Warschauer Regierung zeichnete sich zudem durch eine geradezu verhängnisvolle militärische Selbstüberschätzung aus. Bereits im Sommer 1938 erklärte Oberst Józef Beck dem Völkerbundskommissar Carl Jacob Burckhardt: „Die Wehrmacht ist mit der kaiserlichen Armee von 1914 nicht zu vergleichen. Unsere eigenen Streitkräfte aber sind auf einen elastischen, hinhaltenden Bewegungskrieg eingerichtet. Man wird große Überraschungen erleben.“73 Als sich die Franzosen am 18. Mai 1939 beim polnischen Kriegsminister, General Tadeusz Kasprzycki, nach den Befestigungen an der polnisch-deutschen Grenze erkundigten, antwortete er ihnen: „Wir haben keine. Wir gedenken einen Bewegungskrieg zu führen und gleich bei Beginn der Operationen in Deutschland einzufallen.“74 Und im Juli 1939 verkündete Jedrzej Giertych vom Zentralkomitee der Nationaldemokratischen Partei: „Nach dem bevorstehenden Krieg […] sollte Polen Danzig, Pommern, Schlesien und Ostpreußen […] annektieren.“75

      Es kann sicher kaum ein Zweifel daran bestehen, dass Hitler auf Grund des polnischen Hochmutes und der polnischen Übergriffe gerne eine militärische Strafexpedition unternommen hätte. Solange jedoch ein Angriff auf Polen unweigerlich einen Krieg mit England nach sich ziehen würde, kam dies nicht in Frage. Hitler hatte mehr als nur einmal gesagt, dass „ein Krieg gegen England nichts anderes bedeute als ‚finis Germaniae’.“76 Der am 23. August 1939 geschlossene „Hitler-Stalin-Pakt“ hatte die Aufgabe, England und Frankreich dazu zu bewegen, sich aus ihrem Bündnis mit Polen zu lösen und sich für ein neues München auszusprechen. Wie während des Münchner Abkommens, bei dem England und Frankreich die Tschechoslowakei zwangen, das Sudetenland an Deutschland zurückzugeben, so sollten England und Frankreich dieses Mal Polen dazu zwingen, den Freistaat Danzig ins Deutsche Reich zurückkehren zu lassen.

      Hitler hätte auch beinahe Erfolg gehabt. Angesichts des Molotow-Ribbentrop-Paktes drängte der französische Außenminister Georges Bonnet seinen Staatspräsidenten Edouard Daladier dazu, den Ausschuss für Landesverteidigung einzuberufen, um die Frage in den Raum zu werfen: „Sollen wir wirklich blind zu unserem Bündnis mit Polen stehen? Ist es nicht besser, Warschau zu einem Vergleich zu bewegen?“77

      Wie Bonnet in Paris, so suchte auch Halifax in London nach einem Ausweg. Er meinte: Sollte Deutschland Polen attackieren, müssten England und Frankreich nicht sogleich zu den Waffen greifen. Es würde genügen, Hitler zunächst ein Ultimatum zu stellen. Er solle seine Truppen augenblicklich stoppen und sein sofortiges Einverständnis zu einer Friedenskonferenz geben. Erst wenn er einen Haltebefehl an die Wehrmacht und Friedensverhandlungen ausschlagen sollte, würden England und Frankreich genötigt sein, ihrer Bündnispflicht nachzukommen und Deutschland den Krieg zu erklären.78

      Als Antwort auf den Pakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion bekräftigten England und Polen am 25. August 1939 noch einmal ihr gegenseitiges Beistandsabkommen. Dennoch ließ Halifax nichts unversucht, um den Konflikt um Danzig gütlich beizulegen. Noch am selben Tag erklärte er dem britischen Botschafter in Warschau, Sir Howard Kennard, dass „die polnische Regierung einen großen Fehler mache, wenn sie versuche, eine Stellung zu beziehen, in der die Diskussion über eine friedliche Veränderung des Status von Danzig ausgeschlossen wäre.“79

      Halifax sah nur noch eine einzige Möglichkeit, einen europäischen Krieg zu verhindern. Beck musste zu direkten Verhandlungen mit Hitler und zu Zugeständnissen bezüglich Danzigs gedrängt werden; und Hitler musste Beck ein Angebot machen, das die wirtschaftlichen Interessen Polens berücksichtigte, und einwilligen, dass alle etwaigen territorialen Veränderungen durch eine internationale Kommission garantiert werden.80

      Trotz tagtäglichen Drängens erklärte sich Józef Beck erst am 28. August 1939 bereit, „sofort in direkte Verhandlungen“81 mit Adolf Hitler zu treten. Den 29. August verbrachte Beck damit, sich mit dem Präsidenten Polens, Ignacy Móscicki, und dem Marschall Polens, Edward Rydz-Smigłi, darüber zu beraten, wer die Verhandlungen führen sollte. Die Wahl fiel naheliegenderweise auf den polnischen Botschafter in Berlin, Józef Lipski.82 Hitler hatte unterdessen mit einer Überarbeitung seiner Vorschläge an Polen begonnen und erwartete einen „mit allen Vollmachten versehenen“83 polnischen Abgesandten für den 30. August. Der 30. August kam und verging, ohne dass ein polnischer Unterhändler in Berlin erschien. Stattdessen verkündete Polen am selben Tag die Generalmobilmachung seiner Armee.84

      Am 31. August 1939 spitzten sich die Ereignisse weiter zu. Hitler beauftragte Göring damit, seine Vorschläge für eine Bereinigung aller zwischen Deutschland und Polen bestehenden Probleme nach London und Warschau weiterzuleiten. Göring bediente sich hierzu eines persönlichen Freundes, des schwedischen Industriellen Birger Dahlerus, der bereits seit Wochen zwischen England und Deutschland vermittelte und direkte Gespräche mit Hitler und Ribbentrop sowie mit Chamberlain und Halifax führte. Im Auftrage Görings begab sich Dahlerus um 10 Uhr in die britische Botschaft in Berlin. Gemeinsam mit Botschafter Sir Nevile Henderson ging Birger Dahlerus die inzwischen auf 16 Punkte angewachsenen Vorschläge Hitlers durch.85 Da Henderson der Auffassung war, dass Polen nie wieder ein so gutes Angebot erhalten werde (wie er auch sogleich nach London telegraphierte86), drängte er Dahlerus, sogleich mit dem britischen Diplomaten George Ogilvie-Forbes zur polnischen Botschaft zu fahren und direkt mit Józef Lipski zu sprechen.

      Wie Dahlerus beschreibt, war man in der polnischen Botschaft offenbar längst auf Krieg eingestellt: „In der Halle standen Kisten aufgereiht und überall war das Personal beschäftigt, die Abreise vorzubereiten. Lipski empfing uns in seinem Arbeitszimmer, aus dem bereits ein Teil der Ausstattung entfernt war.“87 Der polnische Botschafter schien sich für den 16-Punkte-Plan nicht im Geringsten zu interessieren. Er bat Dahlerus, ins Nachbarzimmer zu gehen und Hitlers Vorschläge einer Sekretärin zu diktieren.88 In Dahlerus’ Abwesenheit ließ Lipski seine Maske fallen. Er erklärte dem im Arbeitszimmer verbliebenen englischen Diplomaten George Ogilvie Forbes, „daß er in keiner Weise Anlaß habe, sich für Angebote von deutscher Seite zu interessieren. Er kenne die Lage in Deutschland nach seiner fünfeinhalbjährigen Tätigkeit als Botschafter gut und habe intime Verbindung mit Göring und anderen aus den maßgebenden Kreisen; er erklärte, davon überzeugt zu sein, daß im Falle eines Krieges Unruhen in diesem Land ausbrechen und die polnischen Truppen erfolgreich gegen Berlin marschieren würden.“89

      Nur anderthalb Stunden später ließ auch Józef Beck seine Maske fallen. In einem vom deutschen Nachrichtendienst abgefangenen Telegramm wies er Lipski an, ins Auswärtige Amt zu gehen und um eine Unterredung mit Ribbentrop zu ersuchen. Er fügte jedoch hinzu: „Lassen Sie sich unter keinen Umständen in sachliche Diskussionen ein; wenn die Reichsregierung mündliche oder schriftliche Vorschläge macht, müssen Sie erklären, daß Sie

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