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So schrieb der frühere Hohe Kommissar des Völkerbundes für die Freie Stadt Danzig, Carl J. Burckhardt, in seinen Memoiren: „Am 2. Dezember 1938 hatte mich der amerikanische Botschafter in Warschau, Tony Biddle, besucht. Er erklärte mir mit merkwürdiger Genugtuung, die Polen seien bereit, wegen Danzig Krieg zu führen. […] ‚Im April’, so erklärte er, ‚wird die neue Krise ausbrechen; niemals seit der Torpedierung der Lusitania bestand in Amerika ein solch religiöser Haß gegen Deutschland wie heute! Chamberlain und Daladier werden durch die öffentliche Meinung hinweggeblasen werden. Es handelt sich um einen heiligen Krieg!’“18

      Der polnische Botschafter in Washington, Jerzy Potocki, zeigte sich über die Naivität seiner Regierung entsetzt. Am 6. Juli 1939 erklärte er dem Unterstaatssekretär im Außenministerium, Jan Szembek: „Im Westen gibt es allerlei Elemente, die offen zum Krieg treiben: die Juden, die Großkapitalisten und die Rüstungsfabrikanten. Alle stehen heute vor einer glänzenden Konjunktur, denn sie haben einen Ort gefunden, den man in Brand setzen kann: Danzig; und eine Nation, die bereit ist, zu kämpfen: Polen. Auf unserem Rücken wollen sie Geschäfte machen. Die Zerstörung unseres Landes würde sie gleichgültig lassen.“19 Anders als Außenminister Józef Beck sah Botschafter Jerzy Potocki offenbar sofort, dass sich Roosevelt Polens nur bediente.

      Wie eingangs erwähnt, hatte das amerikanische Außenministerium die in Warschau erbeuteten Depeschen der polnischen Botschafter in Washington, London und Paris bereits unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland sogleich zu „Fälschungen“ erklärt. Der polnische Botschafter Graf Jerzy Potocki wurde vom amerikanischen Außenminister Cordell Hull sogar zu einem öffentlichen Dementi in der New York Times genötigt.20

      Damals konnten sich nur wenige amerikanische Politiker ein vollständiges Bild vom Inhalt der Depeschen machen. Doch nachdem die „Polnischen Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges“ im Juni 1940 in einer englischen Übersetzung erschienen und der Geschäftsmann Ralph B. Strassburger 17.000 Exemplare der Übersetzung kaufte, um sie an Journalisten, Senatoren und Gouverneure in ganz Amerika zu verschicken, entstand Anfang Juli 1940 eine breite Diskussion in den Medien. Der Pulitzer-Preisträger Felix M. Morley von der Washington Post war der erste amerikanische Journalist, der es wagte, die vom deutschen Auswärtigen Amt herausgegebenen Papiere als authentisch zu bezeichnen. Die meisten anderen Zeitungen versuchten die Bedeutung der Dokumente herunterzuspielen.21

      Am 11. Juli 1940 nutzte Ernest Lundeen eine Senats-Sitzung, um das Thema in Gegenwart von Roosevelt anzusprechen. In einer denkwürdigen Rede sagte er: „’Dies ist mein Krieg!’ hatte der russische Botschafter Iswolski 1914 in Paris ausgerufen. ‚Dies ist mein Krieg!’ könnte auch unser Präsident ausrufen, wenn er die Katastrophe betrachtet, die Europas Kultur heute zu verschlingen droht. Europäer haben jetzt ausgesprochen, was Amerikaner schon lange argwöhnten: England, Frankreich und Polen würden ihren Streit mit Hitler am Konferenztisch beigelegt haben, wenn sich unser Präsident nicht eingemischt hätte. Die polnische Regierung würde die vernünftigen Vorschläge des deutschen Führers niemals zurückgewiesen haben, wenn Botschafter Bullitt ihr nicht die militärische Unterstützung Englands, Frankreichs und Amerikas zugesichert hätte.

      Als die Deutschen Warschau eroberten, entdeckten sie in den Archiven eine Vielzahl von Dokumenten. Die prominentesten unter ihnen stammten von William C. Bullitt, unserem Botschafter in Paris, und Joseph P. Kennedy, unserem Botschafter in London.22 Vor mir liegen Fotokopien der Dokumente, von denen die Deutschen behaupten, sie in Warschau gefunden zu haben. Ich weiß nicht, ob diese Dokumente echt sind oder nicht. Ich hoffe, es handelt sich um Fälschungen, aber ich fürchte, sie sind es nicht. Ich fürchte vielmehr, sie sind echt, und sie nähren den begründeten Verdacht, daß unsere Regierung geheime Verpflichtungen gegenüber den Alliierten eingegangen ist.

      Aus diesen Dokumenten ersehen wir, daß Mr. Bullitt der polnischen Regierung versicherte, Amerika sei der erklärte Feind Deutschlands. Er stachelte darüber hinaus auch Großbritannien an, Polen im Widerstand gegen Deutschland den Rücken zu stärken. Das ist von großer Bedeutung, weil gerade diese englische Handlungsweise der Hauptgrund für den Ausbruch des Krieges war. In einem Brief vom 29. März 1939 schrieb Botschafter Lukasiewicz an seinen Außenminister in Warschau, daß Mr. Bullitt unseren Botschafter Kennedy in London dringend ersucht hatte, Verbindung mit dem britischen Premierminister Chamberlain aufzunehmen und ihn zu bitten, Polen eine britische Garantie zu geben. Dies half entscheidend zum Kriegsausbruch. Polen war widerspenstig und nicht willens, die vernünftigen deutschen Forderungen anzunehmen. Dadurch wurde jede friedliche Lösung des Danzig- und Korridor-Problems unmöglich gemacht. Und England und Frankreich zogen zuversichtlich in den Krieg, weil sie die Versicherung schneller amerikanischer Hilfe zu haben glaubten.“23

      Am Ende seiner Rede verlangte Lundeen eine Untersuchung durch einen Senatsausschuss. Viele prominente Anti-Interventionisten – darunter der Pilot Charles Lindbergh, der Historiker Harry Elmer Barnes und der Senator Gerald P. Nye – schlossen sich ihm an.24 Doch statt einer Untersuchung zur Tätigkeit von Bullitt gab es nur eine Ermittlung zur Veröffentlichung der polnischen Dokumente. Das „House Committee on Un-American Activities“, also das „Komitee für unamerikanische Umtriebe“, wandte sich noch im selben Monat an den New Yorker Verlag „Howell & Soskin“ und erfuhr dort, dass ihm die Dokumente von dem deutschen Journalisten Dr. Manfred Zapp angeboten und von dem deutsch-amerikanischen Schriftsteller George Sylvester Viereck übersetzt worden seien.25 Sowohl Zapp als auch Viereck wurden im Frühjahr 1941 wegen Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda verhaftet.

      Um Roosevelt und sich selbst gegen den Vorwurf zu verteidigen, den Alliierten bereits 1939 eine Teilnahme am Krieg zugesichert zu haben, überredete Bullitt den früheren französischen Ministerpräsidenten Daladier dazu, ein Entlastungsschreiben aufzusetzen, in dem es hieß, dass es keinerlei amerikanische Zusagen gegeben hätte.26

      Zumindest seit den 60er Jahren wissen wir, wie gesagt, dass die polnischen Dokumente authentisch sind. Angesichts ihrer ungeheuren Erklärungskraft kann man sich nur wundern, weshalb sie nach wie vor von nahezu allen Historikern stillschweigend übergangen oder gar bewusst unterschlagen werden. Ja, man muss sich fragen, wie man überhaupt nur ein Buch zur Kriegsursachenforschung schreiben kann, dass die diplomatischen Depeschen der polnischen Botschafter in Washington, London und Paris kurzerhand ausblendet.27

      Die Dokumente sprechen eine unmissverständliche Sprache: Roosevelt arbeitete seit 1937 gezielt auf einen Weltkrieg hin. Nach dem Anschluss Österreichs und dem Münchner Abkommen nutzte er den sich Ende Oktober 1938 abzeichnenden Konflikt um die Freie Stadt Danzig, um Polen, England und Frankreich gegen Deutschland in Stellung zu bringen. Obgleich die Abtrennung des Freistaates Danzigs und die Schaffung des Polnischen Korridors schon immer als die größten geopolitischen Makel des Versailler Friedensvertrags betrachtet wurden, sollten sich Warschau, London und Paris kompromisslos zeigen. Um eine politische Rechtfertigung für eine Intervention Englands und Frankreichs zu schaffen, drängte er die Regierungen von London und Paris zu einer Garantieerklärung an Polen. Warschaus Säbelrasseln sollte Hitler sodann provozieren und ihn in die von Roosevelt ausgelegte Falle tappen lassen – in einen möglichst langen Krieg gegen England und Frankreich.

      Die geheimen Verhandlungen, die William C. Bullitt, Joseph P. Kennedy und Anthony J. Biddle im Auftrage Roosevelts führten, nötigen zu einer ganz anderen Sicht auf den Zweiten Weltkrieg, und es ist durchaus lohnenswert, die wichtigsten politischen Entscheidungen zwischen 1938 und 1940 einmal aus dieser Perspektive zu betrachten.

      Am 24. Oktober 1938 trafen sich Joachim von Ribbentrop und Józef Lipski zu einem Abendessen im Grand-Hotel in Berchtesgaden. Im Auftrage Hitlers sollte der deutsche Außenminister dem polnischen Botschafter einen Plan zu einer „Gesamtlösung“ aller zwischen Deutschland und Polen bestehenden Probleme vorlegen.28 Der Plan bestand im Wesentlichen aus 6 Punkten:

      1. Der Freistaat Danzig kehrt zum Deutschen Reich zurück.

      2. Durch den Korridor29 wird eine Autobahn und eine mehrgleisige Eisenbahn gelegt.

      3. Polen erhält ebenfalls eine Autobahn, eine Eisenbahn sowie einen Freihafen.

      4.

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