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ein „halsbrecherisches Abenteuer“49. Staatssekretär Sir Alexander Cadogan bezeichnete sie als „tollkühnes Vabanquespiel“50. Und der frühere Marineminister Duff Cooper betonte: „Noch nie zuvor in unserer Geschichte haben wir einer zweitrangigen Macht die Entscheidung darüber gelassen, ob Großbritannien in den Krieg ziehen soll oder nicht.“51

      Spätere Historiker teilten das Urteil der britischen Abgeordneten. So beschrieb Sir Roy Denman die Garantieerklärung beispielsweise als „die verantwortungsloseste Verpflichtung, die eine britische Regierung jemals abgegeben hat. Sie legte die Entscheidung über Krieg und Frieden in Europa in die Hände einer rücksichtslosen, unnachgiebigen, säbelrasselnden Militärdiktatur.“52 Ähnlich äußerte sich Donald Cameron Watt: „Chamberlain hatte die Entscheidung über Krieg und Frieden in die nervösen Hände Oberst Becks und seiner Waffenbrüder der polnischen Junta gelegt.“53

      Die beste Charakterisierung des „Blankoschecks“ entstammt sicher dem britischen Militärhistoriker Sir Basil Liddell Hart, der von der Garantie sagte: „Sie war gleichzeitig die größtmögliche Versuchung und eine eindeutige Provokation. Sie machte die halsstarrigen Polen noch weniger zu Konzessionen gegenüber Deutschland bereit; und Hitler selbst konnte sich nun nicht mehr aus der Affäre ziehen, ohne sein Gesicht zu verlieren.“54

      Der britische Premierminister Sir Neville Chamberlain musste den Tadel seiner Kabinettsmitglieder ohnmächtig über sich ergehen lassen, ohne auch nur mit einer einzigen Silbe erwähnen zu dürfen, dass ihm die Garantieerklärung an Polen von der amerikanischen Regierung aufgezwungen worden war. Offenbar hatte er aber immer noch die Hoffnung, den Konflikt zwischen Deutschland und Polen gütlich beilegen zu können. Doch Oberst Beck sollte schon bald all seine Hoffnungen zunichtemachen. Denn er begnügte sich keineswegs damit, eine Teilmobilmachung der polnischen Armee anzuordnen und Deutschland einen Krieg anzudrohen.

      Am 4. April 1939 erschien Beck in London, um gemeinsam mit Chamberlain die Garantieerklärung zu unterzeichnen. Nach der Darstellung von William Manchester, führte sich der polnische Außenminister dabei wie das Oberhaupt „einer militärischen Großmacht auf, wofür er sich zweifellos auch hielt. Er stolzierte aufgeblasen herum, zündete sich eine Zigarette nach der anderen an und starrte den jungen Frauen lüstern hinterher.“55 Statt einer einseitigen Garantieerklärung schlug Beck ein gegenseitiges Beistandsabkommen vor, wonach nicht nur England Polen, sondern auch Polen England im Falle eines Krieges zur Hilfe eilen würde. Dies sei, erklärte Beck, „die einzige Basis, die ein Land, das sich selber achtet, annehmen könne.“56 Tatsächlich kam es am 6. April 1939 dann auch zur Unterzeichnung des gewünschten Beistandsabkommens.

      Obgleich Premierminister Chamberlain und Außenminister Halifax ausgesprochene Gegner des Bolschewismus waren, nahmen sie sich doch das Argument von Sir Lloyd George zu Herzen, wonach das Bündnis mit Polen ohne Einbeziehung der Sowjetunion nichts wert sei. Nur die Gefahr eines Zweifronten-Krieges könne Hitler wirksam vor militärischen Maßnahmen gegen Polen abschrecken. Doch Beck lehnte jede Erörterung eines britisch-französisch-polnisch-sowjetischen Bündnisses kategorisch ab.57

      Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Hitler es nie gewagt hätte, irgendeine militärische Aktion zu unternehmen, wenn dies unweigerlich einen Krieg gegen Polen und Russland im Osten und einen Krieg gegen England und Frankreich im Westen nach sich gezogen hätte.58 Dass Beck die sicherste Garantie für den Frieden ausschlug, ist ein weiteres Indiz dafür, dass er den Krieg nicht vermeiden, sondern bewusst herbeiführen wollte. Die Kosten eines Krieges erschienen ihm denkbar gering und der Nutzen unermesslich groß. Es war ein offenes Geheimnis, dass Polen damals Großmachtträume hatte und an ein Reich dachte, das von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichen sollte.59

      Wie Chamberlain und Halifax schon bald bemerken mussten, führte Beck sie zu allem Überfluss aber auch noch an der Nase herum. In allen Gesprächen mit den Briten verschwieg er die Verhandlungen zwischen Ribbentrop und Lipski.60 Erst durch Hitlers Reichstagsrede vom 28. April 1939 erfuhren die Engländer davon, dass Deutschland Polen im vorangegangenen Herbst ein durchaus großzügiges Angebot gemacht hatte.61

      Hitler sagte an diesem 28. April im Reichstag: „Ich habe der polnischen Regierung ein konkretes Angebot unterbreiten lassen. Ich teile Ihnen, meine Abgeordneten, nunmehr dieses Angebot mit, und Sie werden sich selbst ein Urteil bilden, ob es nicht […] das gewaltigste Entgegenkommen darstellt, das […] denkbar war. Ich habe […] die Notwendigkeit eines Zuganges zum Meere [für Polen] stets eingesehen und […] auch in Rechnung gestellt. Ich hielt es aber auch für notwendig, der Warschauer Regierung klarzumachen, daß so, wie sie einen Zugang zum Meere wünscht, Deutschland einen Zugang zu [Ostpreußen] braucht. Es sind dies nun einmal schwierige Probleme. Dafür ist nicht Deutschland verantwortlich, sondern jene Zauberkünstler von Versailles, die in ihrer Bosheit und Gedankenlosigkeit in Europa hundert Pulverfässer herumstellten, von denen jedes einzelne außerdem noch mit kaum auslöschbaren Lunten versehen worden war.

      Ich habe […] folgenden Vorschlag unterbreiten lassen: 1. Danzig kehrt als Freistaat in den Rahmen des Deutschen Reiches zurück. 2. Deutschland erhält durch den Korridor eine Straße und eine Eisenbahnlinie. […] Dafür ist Deutschland bereit: a) sämtliche wirtschaftlichen Rechte Polens in Danzig anzuerkennen; b) Polen in Danzig einen Freihafen beliebiger Größe […] sicherzustellen; c) […] die Grenzen zwischen Deutschland und Polen als gegebene hinzunehmen […]; und d) einen 25-jährigen Nichtangriffspakt mit Polen abzuschließen. […] Die polnische Regierung hat dieses […] Angebot abgelehnt.“62

      Spätestens jetzt wurden sich Chamberlain und Halifax der offenkundigen Doppelzüngigkeit von Oberst Beck bewusst. Sie sahen sich umso mehr betrogen, als sie Hitlers Anspruch auf Danzig stets als die gerechtfertigste aller territorialen Forderungen betrachteten.63 Und mit dieser Auffassung standen sie keineswegs alleine da. Selbst Roosevelt und Churchill sprachen sich Anfang der 30er Jahre noch offen für eine Rückkehr Danzigs zum Deutschen Reich aus. So erklärte Roosevelt im Januar 1933 etwa dem britischen Botschafter in Washington, Sir Ronald Lindsay, dass die zahlreichen politischen Spannungen in Europa eine Rückkehr Danzigs und des Korridors erforderten.64

      Der englische Botschafter in Berlin, Sir Nevile Henderson, meinte nach Hitlers Reichtstagsrede, dass England Polen nie eine Garantie gegeben hätte, wenn der englischen Regierung die deutschen Vorschläge bekannt gewesen wären.65 Chamberlain, dem weitgehend die Hände gebunden waren, schöpfte dagegen einen letzten Funken Hoffnung aus den versöhnlichen Worten am Schluss von Hitlers Rede, an der er versicherte: „Sollte die polnische Regierung Wert darauf legen, zu einer neuen vertraglichen Regelung der Beziehungen zu Deutschland zu kommen, so werde ich das nur begrüßen, allerdings unter der Voraussetzung, daß eine solche Regelung dann auf einer ganz klaren und gleichmäßig beide Teile bindenden Verpflichtung beruht. Deutschland ist jedenfalls gern bereit, solche Verpflichtungen zu übernehmen und zu erfüllen.“66 Chamberlain nahm dies zum Anlass, Beck am 3. Mai 1939 daran zu gemahnen, dass die englische Garantieerklärung kein Grund dafür sein dürfe, sich gerechtfertigten und maßvollen Vorschlägen von Seiten Deutschlands zu verschließen.67 Doch Beck schlug weiter jegliche deutsch-polnischen Verhandlungen aus. Wie von den Kritikern befürchtet, ließ ihn die Garantieerklärung immer starrsinniger und überheblicher werden.

      Am 5. Mai 1939 hielt Józef Beck vor dem polnischen Sejm eine Rede, für die er frenetischen Beifall erntete. Er erklärte, dass die Friedensbestimmungen von Versailles gerecht gewesen seien und sprach Deutschland jedes Recht ab, auf eine Rückkehr des Freistaates Danzig zu drängen. Geradezu kämpferisch fügte er hinzu: „Unsere Generation, die ihr Blut in verschiedenen Kriegen vergossen hat, verdient ganz sicher eine Zeitspanne des Friedens. Aber Frieden – wie fast alles in dieser Welt – hat seinen Preis, hoch, aber bestimmbar. Wir in Polen erkennen die Auffassung von ‚Frieden um jeden Preis’ nicht an. Im Leben von Männern, Nationen und Staaten gibt es nur eines, das keinen Preis hat, und das ist die Ehre.“68

      Ab Mitte Mai 1939 wurden in vielen Orten Polens deutsche Schulen geschlossen. Deutsche Studenten, die an einer polnischen Universität studierten, wurden am Besuch ihrer Vorlesungen gehindert. In Warschau warf man die Fensterscheiben der Deutschen Botschaft ein.

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