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Strix: Die Geschichte eines Uhus. Svend Fleuron
Читать онлайн.Название Strix: Die Geschichte eines Uhus
Год выпуска 0
isbn 4064066118488
Автор произведения Svend Fleuron
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Vogelhansen“ oder ganz einfach „Vogel“, wie er genannt wird, hat sich sein Gewerbe zum Spezialfach ausgebildet, und er verdient in der Hauptgeschäftszeit einen guten Tagelohn damit. Er ist als verwegener unermüdlicher Bursche bekannt, der klug ist in allem, was in sein Fach schlägt — er ruht nicht, bis er seine Beute in der Botanisiertrommel hat.
Als Sohn eines Holzhauers hier aus der Gegend, ist er von Kindesbeinen an gewöhnt, im Walde umherzustreifen. Auf einer Fahrt als Schiffsjunge hatte er in seiner grünen Jugend das Unglück, vom Mast zu fallen und einen häßlichen Bruch des linken Schenkels davonzutragen, was ihm in späteren Jahren die neuerrichtete Leuchtturmwärterstellung draußen am Auslauf der Förde verschaffte. Und Dank seiner Klettersporen und seiner unbezwinglichen Leidenschaft ist er noch immer imstande, selbst in den Wipfel der unzugänglichsten Buche hinaufzugelangen.
Im vergangenen Jahr, als er seinen großen Fang hier im Walde machte und — von den schreienden und fauchenden Hähern geleitet — Strix’ zwei possierliche, voll befiederte Junge fand, hatte er in der Nacht zuvor einen Besuch auf ein paar Höfen abgestattet, die in einem kleinen grünen Tal jenseits der Heide lagen. Nach Erkundigung bei einem seiner vielen Bekannten aus der Zeit, als er noch bei den Eltern im Hegemeisterhäuschen am Hochwalde wohnte, hatte er in Erfahrung gebracht, daß sich auf dem Scheunenflügel des südlich gelegenen Hofes ein Storchennest befand. Das war genug für Vogelhansen. In der Dunkelheit der Nacht radelte er die Meile über die Heide und traf um Mitternacht an Ort und Stelle ein.
Er findet den Hof und sieht zu seiner Freude den Storchenvater auf einem Bein, den Kopf unter dem Flügel, auf dem Nestrande neben der brütenden Störchin schlafen. Eine Brandstiege nehmen und sie anstellen, ist ein Leichtes für „Vogel“, und da das Nest gerade dort liegt, wo zwei zusammengebaute Flügel sich kreuzen, gelingt es ihm, auf Socken auf das Strohdach hinaufzuklettern.
Der Storchenvater wehrt tapfer sein Nest gegen diesen Räuber, namentlich die Störchin geht scharf vor; sie klammert sich an dem Nest fest und will ihm auf keine Weise gestatten, mit der Hand über den Rand des Nestes zu gelangen. Sie schlägt und hackt ihn in Schulter und Arm, so daß seine Kleider lange Risse davontragen.
Da greift Vogelhansen in die Tasche, zieht eine Flasche mit Ammoniak heraus und schleudert der Störchin ein paar gehörige Schüsse ins Gesicht. Das hilft — wenige Sekunden später liegt das Nest offen da. Fünf glänzende weiße Eier schimmern ihm entgegen, ein volles Gelege!
Schnell zieht „Vogel“ einen seiner Strümpfe aus, steckt vorsichtig die Eier hinein und nimmt den Strumpfschaft in den Mund ...
Aber durch das Klappern des Storches ist der Hofhund erwacht, er fängt an zu kläffen und zu bellen: im Wohnhaus wird Licht angezündet und einen Augenblick später klappern Holzschuhe über das Steinpflaster.
Da gilt es, sich zu beeilen! Vogelhansen setzt sich auf seine vier Buchstaben, hält die geraubten Eier mit der rechten Hand hoch in die Höhe und rutscht resolut vom Dach herunter. Aber in der Eile verfehlt er die Leiter, er muß der Sache ihren Lauf lassen — und wie ein Schlitten nach einem Luftsprung saust sein Körper in die Luft hinaus. Da hat er das unverschämte Glück, daß der Düngerhaufen sich gerade unter ihm befindet: er fällt weich — in einen großen Haufen Streu hinein. Er greift nach seinen Schuhen und nimmt Reißaus über die Heide.
Alle Storcheneier waren heil geblieben — er hatte für seine Verhältnisse einen ungewöhnlichen Fang gemacht!
— — —
Jetzt ist er wieder hier in der Gegend.
Ein eifriger Sammler hat ihm einen hohen Preis für die Beschaffung eines vollen Geleges Eier von dem großen Uhu geboten. Für den Sammler gilt es, die Eier zu erlangen, solange der Vogel überhaupt noch vorhanden ist.
Aus seiner Knabenzeit und von seinen späteren zahlreichen Besuchen hier ist der kleine Leuchtturmwärter mit sich im Klaren, wo ungefähr er suchen muß. Er geht geradeswegs nach der Stelle, wo er im vergangenen Jahr das Eulennest gefunden hat und beginnt von hier aus, den Wald in immer größeren Kreisen zu durchtraben.
Er ist eifrig. Dem kurzen Bein wird es schwer, Schritt zu halten, ihm muß mit einem dicken, eisenbeschlagenen Eichenknittel nachgeholfen werden, dessen Krücke so gebogen ist, daß sich der Stock schnell in die Seitentasche einhaken läßt, wenn „Vogel“ die Hände frei haben will. Er klopft an die Stämme und guckt in die Wipfel hinauf, er kratzt an den alten Eichenstubben und jagt den Stock bis an die Krücke unter alle Wegüberführungen und in die alten, mit Laub angefüllten Fuchsröhren.
Strix liegt auf ihren Eiern wie ein Huhn, flach ausgestreckt — mit gesträubten Hörnern ...
Schon aus weiter Ferne hört sie den eigenartigen Gang des Mannes.
Kla—datsch, klingt es, kla—datsch, kla—datsch ...
Als Strix eben flügge geworden und unbekannt mit der Welt war, hatte sie eines Tages ein possierliches Tier im Walde umhertrollen sehen. Es ging auf der hohen Kante und benutzte nur seine beiden hinteren Beine, die beiden andern baumelten an der Seite herab. Wieder und wieder kehrte es zurück, strich mit den Vorderpfoten an den Bäumen entlang und spähte wie ein Hahn in die Wipfel hinauf. Strix hatte beobachtet, daß es eine ungewöhnliche Fähigkeit besaß, die Farbe zu wechseln; bald war der Pelz grau, bald schwarz, bald beides ... es war ein Mensch.
Der Mensch hatte sich ein Nest aus Steinen zusammengetragen, das lag draußen am Waldessaum und nicht weit von ihrem Horstbaum. Sie fand das Nest eines Abends und sah den Menschen hineingehen und vor ihren Augen verschwinden.
Lange Zeit blieb sie draußen sitzen und starrte das Loch an, durch das der Mensch verschwunden war. Er war eine sonderbare Erscheinung, fand sie. Sein Gang und sein Treiben, sein scharfer Geruch erregten ihre ganze Neugier.
Sie konnte es nicht lassen, den Menschen anzusehen, ihm aus der Entfernung zu folgen, sie fürchtete ihn instinktiv, ohne sich erklären zu können, weshalb, fühlte sich aber trotz alledem mächtig von ihm angezogen. Er kam nie in Eile, der Mensch, nie plötzlich überraschend, wie das Raubtier, er trollte gleichsam umher und kümmerte sich nur um sich selbst. Er knöhrte nicht wie der Hirsch, heulte nicht wie der Hund, er quakte im Grunde wie ein großer Frosch.
Nur selten geschah es, daß der Mensch des nachts ausging; geschah es aber, so sah Strix, wie er auf seinen nächtlichen Wanderungen durch den stillen Wald gleichsam zum Narren gehalten wurde. Da ging er und stolperte schwerfällig auf seinen Klumpfüßen und stieß bei jedem Schritt ein Stück Ast in die Erde — kla-datsch klang es, kla-datsch — während es rings umher in der Dunkelheit von neugierigen Tieren wimmelte. Alle kannten sie seine Unterlegenheit!
Der Fuchs lag hart am Wegrande zwischen den Farnen, der Rehbock stand nicht zwei Sprünge davon zwischen den Stämmen, der Marder guckte ruhig unter einem Stein hervor, und das Stachelschwein trabte in seinen Fußstapfen und schnüffelte an seinen klappernden Ballen.
Alle hatten sie ihn lange, lange gesehen und gehört, ehe er vor ihnen stand; alle wußten sie, daß er in der Dunkelheit blind und taub war. Stand er aber plötzlich still, so erfaßte die ganze Schar ein Schrecken; Strix hörte sie davonstürzen, und sie empfand selbst ein sonderbar beklemmendes Gefühl im Halse.
— — —
Dasselbe beklemmende Gefühl stellt sich jetzt wieder ein, als sie plötzlich das Kla-datschen unter sich hört und den Menschen zwischen den Stämmen auftauchen sieht.
Sie dreht den Kopf ganz nach ihm herum ...
Aber was soll sie fürchten?
Sie hat ja ihren scharfen Schnabel und ihre spitzen Fänge; noch nie haben diese beiden mächtigen Waffen sie im Stich gelassen, wenn Not am Mann war; die Fänge greifen fest zu und bohren sich ein Loch da, wo sie anpacken — und der Schnabel gibt den Fängen nichts nach.
Und dann hat sie ja die Flügel.
Wie