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hinein und zwischen Baumwurzeln, oder sie flattern tief unten über Nessel- und Wildkerbelinseln hin; ihre langen Schwänze streifen förmlich an den Kräutern entlang und jagen die brütenden kleinen Vögel auf.

      Strix ist auf Fang aus! Sie muß in der letzten Zeit immer weiter hinaus, die zunächst gelegenen Jagdgründe sind erschöpft.

      Von ihren früheren Ausflügen weiß sie, daß dort auf der andern Seite des Waldes unter einem mit Gestrüpp bestandenen Abhang eine große Herde Ziegen mit Zicklein zu weiden pflegt. Heute Morgen ist ihr das Glück hold! Eine der Ziegen hat gelammt und die kleinen, neugeborenen Zicklein drücken sich neben der Mutter an deren Euter.

      Die Erde ist im Begriff, die Nebel der Nacht abzuschütteln: alle kleinen Niederungen zwischen den Hügeln stehen in einem Dampf, so daß es für Strix ein leichtes ist, die Tiere zu überrumpeln. Keine von den vielen, neidischen Krähen oder wachsamen Kiebitzen, deren Gebiet sie hat durchfliegen müssen, hat sie eräugt. Ungeahnt dringt sie vor ... sie sieht das Gestrüpp schon in der Ferne. Sie hat nicht den Mut, sogleich niederzustoßen und Beute zu machen. Es gilt jetzt ja mehr, als nur zu fangen! Die Beute muß mit ... mit in die Luft hinauf und nach Hause in den Fängen.

      So stürzt sie sich denn in einen Wipfel hinein, der aus dem Dickicht aufragt ...

       Der Zweig kracht unter ihrem Gewicht und dem Griff ihrer Fänge, so daß alle Ziegen spähen und sich aufrichten; aber jetzt, wo sie sich gesetzt hat, verschwimmt sie mit dem Kronengewölbe und mit dem Abhang — und die Morgenschläfrigkeit senkt sich wieder auf die Tiere herab. In völliger Ruhe kann sie ihre Beute auswählen: dasjenige der Zicklein das zu äußerst liegt.

      Es sind Ziegen von der kleinen, ungekreuzten verkümmerten Landrasse, ein Zicklein wird sie schon tragen können, wenn sie es nur richtig gefaßt kriegt. Geduldig wartet sie den günstigen Augenblick ab.

      Auf einmal ist sie da!

      Die Fänge bereit, vorn unter der Brust, stürzt sie sich herab. Im Vorübersausen versetzt sie der halbschlafenden Mutterziege eine Ohrfeige, dann paßt sie es so ab, daß sie das Zicklein noch im Fliegen packt.

      Sie hat es ... sie flattert damit über den Erdboden hin.

      Es ist schwer, sie merkt, daß es nicht so recht mit in die Luft hinauf will — es gehört mehr Aufstiegschwung unter die Flügeldecken dazu.

      Mechanisch gebraucht das Zicklein die Beine, und Strix reizt es durch ihr Kampfgeheul zu den äußersten Anstrengungen. Der Druck unter den Flügeln wird stärker. Bald hebt sie es leicht über Gräben und Erderhöhungen — und jetzt, mit einer mächtigen Kraftanspannung, nimmt sie endlich ihren Passagier mit in die Luft hinauf.

      Sie hat die Fänge in beiden Flanken des Zickleins, tief drinnen in dem zarten Rumpf, die Qual des kleinen Opfers wird auch nur kurz, schlaff hängt der Kopf herab, ehe Strix nur die Hälfte ihrer Flughöhe erreicht hat. — — —

       An diesem Morgen hat Strix etwas zu schleppen! Aber die Last ist ihr teuer! Als sie um Sonnenaufgang, schachmatt und abgehetzt, einen langen Schwanz von Krähen und kleinen Vögeln hinter sich, schwer durch die Baumwipfel herabgeflogen kommt, als es Uf klar wird, daß sie die Fänge wirklich voll hat — da vernimmt sie die zärtlichsten Liebeslaute seiner alten Kehle: Wap, wap, wap!

      Das sind Zeiten für Strix! Tag und Nacht wechseln nicht schnell genug ...

      Der ganze hohle Baumstamm liegt voll von teilweise unangerührten Tierleichen. Da sind Birkhühner und Rebhühner, Holztauben und Krähen, Hasen und Rehkitzchen — ein unvergleichlich anheimelnder, gedeckter Tisch! Die Kleinen können nicht so schnell äsen, wie sie fangen kann, aber ihr Sinnen ist darauf gerichtet, daß sie immer einen gewissen Überfluß vor Augen haben; dadurch sollen sie ihre Abstammung erkennen.

      Ihrem alten Uf aber ist dies Wohlleben nicht zum Vorteil! Fett und rundlich ist er geworden, und noch älter und bequemer. Längst hat er aufgehört, Kinderwärterin zu sein und hat sich in seine eigene Privathöhle zwischen einem Haufen großer Steine zurückgezogen. Aber darum hat Strix ihn nicht aufgegeben. Wenn sie in der Dunkelheit der Nacht sein flehendes Rufen hört und begreift, daß er leidet, weil er seinen Hunger nicht hinreichend stillen kann, so fliegt sie regelmäßig mit seiner täglichen Nahrung zu ihm hinab.

      Dann aber ereignet sich etwas — — —

      Eines Morgens, als sie heimkehrt, sind die Jungen verschwunden. Sie heult leise, sie ruft laut. Sie schreit wild und drohend und sucht. Den ganzen Wald, die Kreuz und die Quer sucht sie ab; sie ist in allen Löchern, Spalten, Öffnungen ... nein, die Jungen sind weg!

      War es der große Zerstörer? War es der Marder? Er, der Marder — — — neulich morgens, als sie lange weg war, hat Taa die Gelegenheit benutzt, einen Anschlag zu wagen. Das ist ja ein Leichtes für ihn, da sich der Horst zu ebener Erde befindet! Taa war auch glücklich über die Außenwerke des Horstes gelangt: über die großen Reisigpalisaden, den abgelagerten Kehricht und die vielen Skelett- und Aasteile, aber hinausgekommen war er nicht wieder so glimpflich. Die Jungen hatten ihn nach den uralten Regeln empfangen: sie hatten sich auf den Rücken geworfen und ihm das Gesicht mit den giftigen Krallen zerfleischt. Sie hielten ihn noch in ihren Fängen, als sie, die Alte, heimkehrte. Sie entriß ihn ihnen und in dem Glauben, daß er tot sei, warf sie ihn weit hinaus über den Rand des Horstes.

      Aber Taa war noch höchst lebendig. Mit dem Verlust seiner halben Rute, die ihm eines der Jungen in seiner Wut abgebissen hatte, rettete er sich zwischen ein Gewirr von Knabenkraut.

      Ha, der Marder, — — nein, diese Baumratte ist es nicht gewesen!

      Der Sommerwind murmelt seine melodischen Gesänge, er bildet sich Orgelpfeifen aus Astlöchern, Flöten aus Rindenspalten und gespannte Saiten aus Zweigen und Strohhalmen. Er singt Strix mild und tönend etwas vor, wie er so mancher andern trauernden Mutter gesungen hat.

      Und Strix nimmt den Trost an — und vergißt dann schließlich die Jungen!

       Als sie sich aber im nächsten Frühling auf ihre zwei rauhschaligen, runden Eier setzt, hat sie sich gegen die Schlechtigkeit der Welt gesichert: diesmal brütet sie hoch oben in einem alten, ausgebesserten Bussardhorst.

      Eines Tages kommt ein Mensch durch den Wald.

      Es ist ein kleiner, untersetzter Mann mit einer langen Hakennase, die wie ein Hahnenschnabel vorspringt, und mit kleinen, stechenden Augen.

      Er hinkt ... kla-datsch klingt es, wenn er geht.

      Er hat eine bunte Sportmütze auf dem Kopf und trägt eine dicke, blauschimmernde Joppe. Über der Schulter hängt an einem dünnen Bindfaden eine alte verbeulte Botanisiertrommel. Ein paar Klettersporen, nachlässig in Zeitungspapier gewickelt, gucken ihm aus einer Tasche und aus der andern baumeln die Enden einer selbstverfertigten Strickleiter.

      Der Mann ist Leuchtturmwärter auf einem kleinen Leuchtturm weit draußen am Auslauf der Förde. In seiner freien Zeit, oder wenn er die Aufsicht über den Leuchtturm seiner Frau übergeben kann, ist er ein eifriger Trapper — heute ist er auf dem Jagdpfad.

      Sein Bezirk reicht so weit, wie der Himmel blau ist.

      Im Frühling durchpflügt er alle Wälder nach Raubvogeleiern und alle umliegenden Heiden, Moore und Sümpfe nach andern Vogeleiern. Er begnügt sich nicht mit nur einem einzelnen Ei von jeder Art, nein, er hat Verwendung für mehr und nimmt selten weniger als das vollzählige Gelege. Im Sommer, wenn die Vögel ausgebrütet haben, findet man ihn wieder; jetzt ist er darauf aus, daunige Junge in den verschiedenen Stadien zu beschaffen. Er sammelt nicht für sich selbst, sondern für ein paar große Geschäfte, von denen Schulen, Privatsammler und zufällige Liebhaber unter dem Publikum ihre Versorgung bekommen.

      Die Natur soll in die Stube hinein — tot oder lebendig — aber in die Stube hinein soll sie! Auf Kommoden und Bücherschränken, in Naturaliensammlungen der Schulen oder in den Glaskästen der Museen erblickt man die letzten Überreste der ursprünglichen Fauna des Landes; hier steht sie ausgestopft mit starren Glasaugen. Jeder zweite, dritte Vogel, der früher so allgemein war, daß er in die Sagen des Landes

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