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Gutes im Schilde?«

      »Wie sollte ich das auch an so einem Tag!« Professor Steffens sah glühend auf zu mir. »Noch haben wir Zeit bekommen für solche tête-à-têtes!«, formulierte er mit einem Brustgrollen norwegischer Herkunft. »Eure Patrioten sterben aber wohl gerade aus. Aber gab es eigentlich überhaupt welche bei euch? Wieso sind denn nur wir beide jetzt hier am Berge zu Delitz?«

      »Ich bin vielleicht gar nicht hier. Meckel wollte, dass ich mal die Hölle abhorche.«

      »Man muss sie nicht mehr abhorchen«, sagte Steffens. »Man hört sie jetzt auch so schon deutlich genug bis nach Halle. Vielleicht kann Meckel den Studiosus Meckel gerade nicht gebrauchen? Will er dann vielleicht ein Patriot werden und das Deutschland retten?«

      »Und wer schickte eigentlich den ebenfalls überflüssigen Professor Steffens hierher?«

      »Irgendwann, hoffentlich bald«, tremolierte Steffens aufrichtig, »werden wir beide uns in die erste Liste von Deutschlands Befreiern und Gründern eintragen!«

      »Ist dieses denn besetzt?«, frug ich den Norweger. »Und wie wäre es überhaupt zuerst mit Unterschriften zur Befreiung Norwegens von Schweden?«

      »Eure unerträglich rolfinckenden Scherze!«, rief Steffens wiederholt auf dem verregneten Rückzug von Delitz am Berge. »Ich gehe wohl schnurstracks nach der Aufwiegelung der Studentenschaft Halles ab nach Breslau! Denn ich lehre keinesfalls unter dem Kaiser Cuviers!«

      »Nur zu!«, rief ich auf der Klausbrücke. »Übrigens, Herr Professor – wo liegt es denn, das Deutschland?«

      »Das wird sich finden!«, orakelte der glutvolle Steffens. »Jedenfalls liegt es nicht in Frankreich.«

      »Und?«, rief Meckel von der Galerie.

      »Ja«, rief ich zurück, »Preußen wird gerade aufgefressen. Ein verdammt saftloser Braten! Du kannst für deinen Herrn Bonaparte schon mal eindecken lassen!«

      »Albrecht«, sagte da Meckel, »ich zeig dem Schwein meine Sammlung nicht – schon gar nicht zeig ich dem unsern armen Vater! Ich hab alles verschlossen und versiegelt, ich nehme die gelbe Leberecht’sche Kutsche nach Leipzig zum Kollegen Rosenmüller. Komm her!«

      Ich sah in die ruhigsten und lavendelblausten Augen der Welt. »Deshalb musste ich also nach Delitz am Berge? Dass ich dir nicht im Wege stehe bei deinen Vorbereitungen zur Flucht?«

      »Ihr müsst noch den Saju abbalgen«, sagte Meckel, »und das Wasserschwein sofort matzerieren, eh es am Ende, wie es grad heftig tut, noch derartig fault, dass seine Knochensubstanz Schaden nimmt.«

      »Es ist Krieg, Herr Bruder«, sagte ich.

      »Es ist auch sonst immer was los«, sagte Meckel. »Nur die Kadavres wissen nichts davon. Sie müssen aber rechtzeitig durchsucht und bearbeitet werden.«

      »Es ist Krieg – mon frère Frederic!«, sagte ich ein wenig zu pathetisch.

      »So?«, sagte Meckel. »Und wir gewinnen eine Schlacht der Wissenschaft nach der andren. Wie findest du das?«

      »Großartig«, sagte ich, »Professor Steffens hat mich allerdings auch schon für Ruhm und Ehre rekrutiert.«

      »Der schon wieder! Nichts unter der Hand, aber umso mehr davon reden! Glaubst du etwa, ich flüchte? Und dann auch noch zu Rosenmüller?«, fragte Meckel.

      »Zu Rosenmüller«, sagte ich, »das ist ja eher ein Angriff von dir auf Leipzig! Wie wäre es aber stattdessen mit Standhaftigkeit gegen Napoleon?«

      »Standhaft!«, rief Meckel. »Ich hab keine Zeit zum Herumstehen. Sei du standhaft! Aber vergiss dabei das Crocodil und das Wasserschwein nicht!«

      »Zu Befehl«, sagte ich, auf einmal den Tränen näher, als ich geglaubt hätte. »Du lässt mich also allein, mon General?«

      »Ja«, sagte Meckel. »Na und?«

      »Aber ich bin erst siebzehn!«, rief ich und biss mich vor Wut auf die Unterlippe.

      »Was«, sagte Meckel ganz verwundert, »schon siebzehn und immer noch nicht Doktor? Aber wenigstens ist er jetzt schon höher gewachsen als ich!«

      Ich rang nach Atem. Ich wollte, dass mich Meckel, dieses eine Mal nur, umarmte! Es war doch Krieg, verdammt! Und mein großer Bruder ließ mich im Stich und eilte schlüsselbundklappernd durch das Riesenhaus.

      »Befreie den Affen und behüte ihn!«, rief er. »Schließ immer wieder ab! Und dass du mir dieses Schlüsselbund hier gut versteckst!«

      Ich eilte auf meinen Bruder zu, vergeblich.

      Meckels Stimme dröhnte noch im Torweg: »Wehe euch, ihr zeigt dem Schwein meine Sammlung!«

      Als er verschwunden war, zündete ich die Argant-Lampe auf dem Tischchen an und richtete ihren Lichtkegel auf den Dokumentenschrank hier im Vorraum. Meckel hatte die Lade der Fensterlinse über der Tür vorlegen lassen, durch welche sich noch nicht einmal der Hofzwerg von einem althergebrachten Kaiser hätte zwängen können.

      Ich folgte dem Lichtstrahl geradewegs zu dem Fach, in dem sich der Katalog für die Besucher und das Gastbuch befanden. Ich schlug es auf, Großvaters kostbares kleines Federmesser fiel heraus. Nun überrieselte mich wirklich ein erster Vorschauer des Krieges.

      »Vive Le Prusse! Pereat – empereur! Meckel.«

      Meckel schrieb sonst, wenn er Zeit dazu hatte, in gestochener, aber sehr kleiner Schrift. Hier war sie ihm fast kindlich geraten bei der Mühe, möglichst groß zu schreiben. Jedes Wort begann mit Versalien, die lateinische Verfluchung sogar durchgehend, als sollte dies Pereat noch in Stein gemeißelt werden. Nur der empereur, der Kaiser, den man auf alle Fälle groß schreibt, der steht auf einmal auch in Meckels Schriftzügen klein da.

      Ich stieß mit dem Fuß gegen das Federmesser, hob es auf, setzte zum Schnitt an im Gästebuch, zögerte – und musste auf einmal ganz unbändig und laut über Meckel lachen. Ich ließ Großvaters Federmesser in meine Brusttasche gleiten.

      Ich hatte die Saaltüre aufgeschlossen. Aber da waren kein Reil, kein Fritz, kein Ferdel, kein Ludwig, keine weinende Meckelin mehr. Nur der matte braune Vater in seinem neuen Gehäuse war jetzt sehr aufrecht am gegenüberliegenden Ende des Saales zu ahnen.

      Groß schien Vaters Grinsen darüber, wie dicht er um sich die Seinen zu sammeln vermocht hatte. Überall sind sie im Dämmerschein, im Funkel- und Schattenspiel der von mir getragenen Argant-Lampe, sie wirken – und sind auch – kostbarer als Gold und Elfenbein, Silber, Seide und Brokat.

      Das Skelettlein gleich links vorne in der Reihe zuckte zusammen. Dies einzige Kuriosum der Sammlung – und zwar noch aus der Zauberhand des Präparators Frederick Ruysch! – ringt seine Händchen zum Himmel auf seiner dürren kleinen Insel aus Pantoffelholz, das quasi von der Küste eines bleichen, aber kostbar mit Perlen schäumenden Strumpfbandes umbrandet wird.

      Einen Augenblick später fiel weiter vorn bei den Hautpräparaten etwas klackernd zu Boden. Ich sah eine der Glasblasen hervorkullern, wie sie zur Aufhängung von kleineren Feuchtpräparaten in den gläsernen Gefäßen verwendet werden. Ich sah auf zu jenem Piedestal mit dem Kopf eines Schreckgespenstes, welches sich dem medizinisch weniger geübten Besucher dieser Sammlung jedesmal als ein duftiges Gebilde größter Schönheit herausstellt – nämlich das höchstberühmte Korrosionspräparat der Gesichtsspannadern des älteren Meckel.

      Es waren hier Stücke versammelt, die man in der Walther’schen Sammlung zu Berlin schmerzlich vermisste, darunter der Situs inversus von Johann Friedrich Meckel d.Ä., ein graziler Rumpf mit seitenverkehrten Organen. Oder die verschiednen Beispiele der Combination von Mehrfingrigkeit, Gaumenspalte, Wolfsrachen und hinterem Gehirnbruch. Sähe man in diese Art Wesen hinein, entdeckte man immer auch, so fand es Meckel heraus, Nierenvergrößerungen und Zystenbildungen.

      Das Prachtstück der Sammlung war aber eine Doppelmonstrosität, von der Meckel sagte, sie sei sein Doppel-David des Michelangelo, nur nicht in Marmor, sondern viel komplizierter, nämlich in Fleisch.

      Am Tag,

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