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Meckels Messerzüge. Wilhelm Bartsch
Читать онлайн.Название Meckels Messerzüge
Год выпуска 0
isbn 9788711448786
Автор произведения Wilhelm Bartsch
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ein strahlend gepanzerter Julius Cäsar von der johlenden Potsdamer Theater-Compagnei wurde letzlich hoch auf einen Thron erhoben und auf vielen Schultern getragen. Schließlich musste Cäsar sich tief durch das Klaustor bücken, um nicht mit seinem Lorbeerkranz oben anzustoßen. »Preußen zieht gar nicht gegen Napoleon«, kommentierte Johann Friedrich Meckel der Jüngere, »es zieht anscheinend um nach Neapel.«
Die Ortsnamen Jena und Auerstedt brauchten noch einige Tage, ehe sie zu jenem Klang verkuppelt wurden, der in seiner Fürchterlichkeit erst durch den Groß Görschener und schließlich noch unfassbarer durch Leipzigs Namen übertroffen werden sollte. Tage zuvor langte noch aus einem Städtchen namens Auma im Geraischen bei uns im Riesenhaus eine Art von Quartierbillet der superiören Classe ein. Oben in der Mitte des Briefbogens war die goldene Biene aufgeprägt, die sich Napoleon als Insignie vom Reichsgründer Chlodwig ausgeliehen hatte. Sein Generalquartiermeister teilte uns Meckeln auf diesem kostbaren Papier mit, dass wir uns über die Ehre freuen mögen, die uns mit der »visite de l’Empereur à vous et à votre collection d’anatomique« ganz gewiss zuteil werden würde.
Überbracht wurde uns das Schreiben von Monsieur Renault, dem französischen Sprachmeister der Universität. Er vermochte dabei das Kunststück, obwohl wir nie zuvor die Ehre miteinander gehabt hatten, bedeutsam und ein wenig verschwörerisch auf uns herabzublicken, obwohl er doch um etliche Zoll oder Centimetres kleiner geraten war als wir. Noch seltsamer war sein Accompagnement hinter seinem Rücken, ein nicht eben hässlicher Kerl mit gar zu chicer Windstoßfrisur und daraus unangemessen hervorstechenden Koteletten. Das war niemand anderes und erstmals auch face à face der Scharlatan Schundius, der ja, wie sich noch nach meines Bruders Meinung herausstellte, nicht einmal in der Bandagenlehre etwas genügend gelernt hatte. Dafür aber beherrschte er 1806 schon meisterlich die französische Sprache.
Dzondi oder Schundius jedenfalls war mit seiner guten politischen Witterung von der Universität Wittenberg hierher nach Halle geeilt, um bald darauf wieder über die gesamte Franzosenzeit dorthin zurückzukehren, dann aber nicht nur als Chirurgien, sondern gleich als Medicin en chef. Wenn sein Geschick mit dem Skalpell nicht so einiges zu wünschen offen gelassen hätte, so hätte er es wenig später fast geschafft haben können, als ein führender Assistent beim Baron Larrey zu arbeiten. Larrey, mein Sohn, war der auf allen Seiten beliebte Generalchirurgus Napoleons, ein Genie, das durch seine hohe Kunst einen neuen Klang nach Paris getragen hatte – das immer mehr anschwellende Toc-toc-toc der Krücken. Durch Larrey und seine Helfer nämlich konnten neuerdings Beinamputationen und sogar -auskultationen gut überstanden werden. Ein sich begeisternder Larrey, nicht so wie sein kaiserlicher Chef, wurde sechs Jahre später herzlich gern von deinem Onkel Fritz in seine Sammlungen vorgelassen.
Schundius alias Dzondi jedenfalls machte gleich, noch ehe wir überhaupt ein Wort miteinander gewechselt hatten, auf seinen Hacken kehrt und enteilte wieder. Meckel musste ihn mit bösen Blicken durchlöchert haben. Es war sofort Verachtung auf den ersten Blick in einer Liaison, die gefühlsecht, treu und unverbrüchlich bis heute geblieben ist.
»Wer war das!«, hatte Meckel aber noch dem ebenfalls abgehenden Sprachmeister Renault hinterhergerufen. »Un ami – peut-être«, so hallte Renaults Stimme im hohen Gewölbe des Riesenhaustores, »mais pas votre collègue, apparemment!«
»Was sagte er?«, fragte ich. Ich konnte damals nur notdürftig Französisch. »Das war einer, der nach befreundeten Eingeweidewürmern gesucht hat«, so Meckel, »und nun sah er, dass wir noch nicht mal als Wirtstiere tauglich sind und das Riesenhaus zwar eine anatomische Sammlung birgt, aber kein Eingeweidewürmer-Cabinet.«
Er hatte es hocherhobenen Hauptes und mit rot überflogenen Wangen gesagt. Ich kannte bereits bei meinem Bruder dieses seltsame Amalgam aus Stolz und Schaam. Zuerst hatte ich es bemerkt, als unser Vater, schon vom Tode gezeichnet, eine überschwängliche Rede auf Fritzens Doktordissertation über Herzmissbildungen hielt, nachdem anscheinend auch nur Gutes aus Göttingen vom Anatomen Wrisberg und vom berühmten vergleichenden Anatomen und Freund der Meckel-Familie Blumenbach zu hören gewesen war über Meckel Juniors gewaltige Talente.
Ein weiteres Mal hatte ich dieses erhobene Haupt und diese Wangenröte meines Bruders bemerkt, als unser Reil, dem Meckel schon nahezu gleichrangig in der Hirnanatomie zuarbeitete, einen regelrechten Freudentanz aufführte, weil Meckel, ganz in der Familientradition hoher Präparierkunst, einen genialen Kniff entdeckt hatte, Gehirne anatomisch zu bearbeiten. Man musste diese nur lange genug in Branntwein oder eben in Meckels unvergleichlichem Kloschwitzer Kirschgeist konservieren, dann schrumpften diese zwar etwas, waren aber nicht mehr die gewöhnlichen stinkenden, gallertartigen Forschungsobjekte. Man konnte die Hirne nun quasi stumpf präparieren, das heißt, man konnte sie einfach brechen. Meckel, nicht Reil, ist somit, ganz nebenbei und ohne dass er Wert darauf legen will, der Erfinder und erste Meister des Hirnbrechens.
Beim dritten Male war es das wohl schönste und bezauberndste Mädchen weit und breit, das jene stolze Röte über Meckels Gesicht hervorgerufen hatte. Das Mädchen war noch schöner, jedenfalls niedlicher als Rafaels Fornarina, an die sie uns gleich erinnerte. Ihre kleinen, etwas zu fleischig und ein wenig zu tief geratenen Ohren unterstrichen noch den Zauber dieser Erscheinung. Es war mit seinem Vater, dem Festungskommandanten von Magdeburg, Oberst von Kleist, auf dem Weg durch Halle überraschend zur Visite bei der von alters her befreundeten Geheimräthin Meckel bei uns im Riesenhaus erschienen, und zwar trotz der regnerischen Kühle draußen sehr luftig und duftig und leicht. Die junge Dame mit dem schlichten elfenbeinernen Kamm im Haar als ihrem einzigen Schmuck schwebte lautlos herein auf dezent wie Schildpatt leuchtenden Kreuzbandschuhen und in einem wehenden aprikosenfarbenen Creppkleid, an dessen Puffen die hübschesten Atlasrosen eingestickt waren. Der Oberst – der an dem Tag noch gar nicht wusste, dass er zum Adjutanten des preußischen Armeenführers, des Herzogs von Braunschweig, gemacht worden war und wenig später schon Kommandant von Halle und Maire von Neuwerk wurde – seufzte und sagte: »Kaum hat sie die eine Krankheit mit doch noch ungebrochenem Herzen überstanden, will sie sich, wie man sehen kann, auch gleich noch die Mousselinkrankheit holen.«
Als sich Meckel zu einem für so ein junges Mädchen noch unüblichen Handkuss über dessen schlanke Finger beugte, sagte es mit einer überraschend rauchigen und erwachsenen Stimme: »Ich bin mir also durch die Ehre Ihres Handkusses sicher, lieber Herr weltberühmter Professor, dass Sie heute noch nicht vom Urin der Toten genippt haben. Übrigens – tun Sie’s oder tun Sie’s nicht?«
Die Röte, die Meckel da überflogen hatte, war vielleicht eher ein Glänzen aus einer bei ihm so nicht gekannten Fröhlichkeit und einem sehr tiefen, wohlwollenden Erkanntsein. »Mein Vater nippte, Demoiselle«, sagte er. »Und daran starb er wohl auch. Ich aber sehe hier einen ausschlaggebenden Grund vor mir, mein Leben zu schonen. Mögen Sie, mit der Erlaubnis Ihres verehrten Herrn Vaters, vielleicht einmal meine Wesen aus der Ewigkeit sehen?«
Die Demoiselle erstrahlte und hielt sich sogleich, wie wir es noch so oft sehen sollten, die Hand vor den Mund, als wenn ihr bewusst sei, dass solch ein strahlendes Lächeln kein Mann überstehen würde. Meckel, nach einem zustimmenden Nicken des Obersten von Kleist, reichte ihr seinen Arm.
»Sie haben doch nicht etwa auch Engel eingeweckt – oder darf man bei Ihnen schöne neue Sorten von Flaschenteufeln bewundern?«
»Nun ja, Demoiselle«, hörte man Meckel noch im Abgang mit der schönsten Beute, die er je gemacht, am Arm, »ich will es mir ja nicht mit Himmel und Hölle gleichzeitig verderben und werde Sie vielleicht enttäuschen – allerdings sind meine Wesen wirklich ewig, denn da sie nie gelebt haben, können sie auch nicht gestorben sein.«
»Aber Sie«, hörten wir Friederike damals noch, »Sie erscheinen mir als ganz schön lebendig – obwohl sie Leichenprofessor sind!«
Friederike, deine Tante, mein lieber Heinrich, zählte damals erst siebzehn Lenze, während ich, dein damals ebenfalls von ihr betörter Vater, auch nur einen Monat älter als sie gewesen bin. Ihre merkwürdige Krankheit übrigens, von der ihr Vater sprach, war eine große Liebe zu einem griechischen Studenten gewesen, die der Oberst aus vielerlei Gründen nicht gestatten wollte, die aber vor allem aus einem anderen Grunde zu Ende gegangen ist. Diesen Studenten habe ich in flagranti, wenn auch aus Versehen, in einer peinlichen