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stellte sich ungeschickt an wie ein Kleinkind, das zum ersten Mal selbst für seine Garderobe verantwortlich war. Sie muffelten etwas streng und einer konditionierten Handlung folgend nahm er sein Deo aus dem Regal und sprühte sich großzügig damit ein. Wenn ich sterbe, will ich nicht, dass der letzte Duft in meiner Nase der von Schweiß ist.

      Wahrscheinlicher würde es jedoch wohl der Geruch nach verbranntem Fleisch sein. Die Erde würde zu einem riesigen Grillfest eingeladen werden. Auf dem Speiseplan stand: richtig, die gesamte Menschheit.

      Guten Appetit.

      Er seufzte leise und steckte seinen Kopf noch mal ins Wasser, um sich wacher zu machen. Es zeigte wieder etwas Wirkung, wenn auch nicht so sehr wie bei den ersten paar Malen, was wohl auch daran lag, dass es mittlerweile wärmer geworden war. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund und die kleinen, perligen Wassertropfen verteilten sich über seinen grauen Badezimmerboden.

      Es war Sommer – und was für einer.

      Die Flora stand in voller Blüte, durchsetzte die Stadt mit einem angenehmen, wohlriechenden Duft, während sich im Bodensee aufgrund der Wärme wieder unzählige Algen bildeten. Dies führte dazu, dass der See besonders intensiv roch, was Noah als sehr angenehm empfand. Es war, als würde die gesamte Stadt vom Duft des Sees umschwebt, vor allem wenn der Wind günstig stand. Wenn nicht, dann lag ein anderer Geruch über Konstanz, der wie eine dunkle Prophezeiung das ankündigte, was in wenigen Stunden bittere Realität sein würde. Gerade jedoch strömten nur angenehme Aromen durch sein Fenster, die für ihn nach Sommer rochen. Verrottende Algen und Blumen, die sich ein letztes Mal aufbäumten, bevor der Herbst kommen und ihre intensiven Gerüche bis zum nächsten Jahr verschwinden würden. Manchmal verbanden sich die beiden Düfte auch zu einem Potpourri aus Blütenduft und See, was in Noah früher immer eine fast ekstatische Wirkung gehabt hatte.

      Eigentlich hätten die Freibäder diese Saison wohl ein sehr gutes Geschäft gemacht, aber sie waren alle geschlossen geblieben. Die Menschen hatten andere Dinge im Sinn gehabt, als schwimmen zu gehen. Die, die es getan hatten, waren meistens nie wieder aus dem Wasser rausgekommen.

      Sein Kater stand nun wieder in der Tür und leckte sich noch genüsslich die Lefzen. Dabei schnurrte er in einem wohligen Ton, der leise in Noahs Magen vibrierte wie eine Stimmgabel.

      Noah drehte sich um und lächelte sanft auf das Tier herab. Langsam bewegte er sich auf den Kater zu und hob ihn hoch. Genüsslich schnurrte das Tier noch lauter und legte den Kopf auf die Schulter seines Herren. Die Augen waren in blindem Vertrauen geschlossen. Sein Körper war schwer und warm und ließ die Stellen an denen er auflag, schwitzen.

      Langsam, jeden Moment mit seinem Kater genießend, ging Noah zurück in das Wohnzimmer, wobei er mit der freien Hand immer wieder den Kopf des Tieres streichelte. Er spürte einen Kloß im Hals, der sich langsam seinen Weg in seine Eingeweide bahnte.

      Seufzend ließ er sich auf seine Couch fallen, die unter seinem Gewicht leise quietschte. Normalerweise hätte ihn es gestört, dass der Kater seine Haare über Noahs gesamte Kleider verteilte, aber heute war es ihm egal. Er legte ihn vorsichtig auf seinen Schoß, sodass sein Kater mit seinem Rücken zwischen seinen Beinen lag. Seine Pfoten hingen schlapp hinunter und zuckten ab und zu leicht, als würden kleine, wohlige Schauer hindurchfließen.

      Zärtlich kraulte Noah den runden, prall gefüllten Bauch seines pelzigen Lieblings, der von seinem tiefen, sonoren Schnurren vibrierte.

      »Na du? Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, was ich mit dir machen muss«, flüsterte er leise. Die Katze ignorierte das. Ihre Augen blieben immer noch geschlossen und das Schnurren blieb unverändert laut, als würde es für in diesem Moment nur die Streicheleinheiten und den bequemen Platz auf Herrchens Schoß geben.

      Das Tier wirkte absolut friedlich. Im perfekten Einklang mit sich und der Welt und in einer Art Zustand, den Noah hoffte, in den nächsten Stunden ebenfalls zu erreichen. Er hatte es bisher nicht geschafft, diesen mit Drogen und Alkohol herbeizuführen, vielleicht würde er es nachher mit seinen Freunden schaffen.

      Die wichtigsten Menschen in seinem Leben.

      »Sei mir bitte nicht böse«, flüsterte er nochmals leise.

      Seine Hand legte sich sanft um den Hals des Tieres, schloss sich zärtlich, als würde er eine antike Vase umfassen, die bei zu großem Druck zerspringen würde.

      Zuerst kraulte er noch ein bisschen, vorsichtig und liebevoll, ließ das Fell durch seine Finger gleiten, ebenso wie die weiche Haut, die sich darunter versteckte.

      Dann packte er grob zu und drehte den Kopf seines Katers einmal schnell nach links.

      Das Knacken der Halswirbel schien durch den Raum zu hallen wie ein Missakkord auf einer Orgel.

      Die Katze miaute nicht auf. Sie erschlaffte einfach nur noch etwas mehr in ihrer Position auf dem Schoß. Das Schnurren erstarb augenblicklich.

      Vorsichtig streichelte Noah noch etwas weiter über den Bauch des Tieres, dann über dessen Kopf, der jetzt wie eine zu weich gekochte Nudel herunterhing und leicht baumelte. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er sich der plötzlichen Stille im Raum bewusst wurde. Die Lefzen seines Katers hingen hinunter, sodass die Zähne entblößt wurden. Aber kein Schnurren oder wenigstens ein sanftes Atmen kam mehr aus dem Maul.

      Er küsste zärtlich die Schnauze, streichelte über die Barthaare und über die dicken Backen der Katze. Das hatte sein Tier immer am meistens geliebt und hingebungsvoll seinen Kopf noch fester gegen Noahs Finger gepresst.

      Jetzt passierte nichts.

      Die leicht gelblichen Zähne des Tieres glitzerten noch von dessen Speichel. Gelblich – eigentlich hätte Noah seinem Kater die Zähne reinigen lassen müssen. Wenn man nur Nassfutter fraß, konnte sich irgendwann Zahnstein bilden, hatte ihm mal sein Tierarzt gesagt.

      Das war nun aber auch nicht mehr wichtig.

      Er hatte den Mann vor ein paar Tagen vor seiner Praxis gefunden, mehr durch Zufall als durch Absicht. Als er bei einem Spaziergang – rückblickend wusste er gar nicht mehr, was sein Ziel an diesem Abend gewesen war – an dem Haus vorbeikommen war, in dem sein Tierarzt gearbeitet hatte, war ihm durch das offene Fenster aufgefallen, dass ein Mensch dort in der Ecke kauerte. Als er näher gekommen war, hatte Noah entdeckt, dass es eben der Tierarzt seines Katers gewesen war. In seinem Arm hatte eine Nadel gesteckt und neben ihm hatte eine Ampulle mit einem sehr starken Schmerzmittel gelegen, welches er immer in seinem Giftschrank eingeschlossen hatte.

      Er hatte sich mehr oder minder selbst eingeschläfert. Konnte man das als Ironie bezeichnen?

      »Mach es gut, mein Dicker«, flüsterte Noah und hob sanft die Katze hoch. Den Kopf hielt er in seiner linken Hand, damit er nicht wie das Pendel einer Uhr hin und her schwang. Vorsichtig bettete er sein Tier in seine Kuschelhöhle.

      Er rollte ihn zusammen, wie sein Dicker immer am liebsten geschlafen, gedöst oder einfach nur ausgeruht hatte. Für Katzen war dies ein wichtiger Unterschied, dachte Noah sich. Als das Tier so dalag, zusammengerollt zu einem rundlichen, schwarzen Fellball, konnte man kaum einen Unterschied zu dem Zustand erkennen, wenn er wirklich geschlafen hatte.

      Noah wischte sich seine Tränen ab. Er würde nur hier weinen. Nur hier. Später nicht mehr, das hatte er sich geschworen. Er wollte so gehen, wie er gelebt hatte, mit viel Humor und ohne allzu viel Bedauern.

      Sein Kater wirkte so friedlich, als hätte er den Frieden, den er bei seiner Streicheleinheit empfunden hatte, mit in die nächste Welt genommen. Noah fühlte sich erleichtert, dass sein Tier nicht leiden musste. Er hatte keine Ahnung, wie der Tod über sie kommen würde, all die Menschen, die vielleicht noch hier waren, wie schmerzhaft es sein würde. Der Einschlag war nur gute dreihundert Kilometer entfernt von Konstanz, daher würde diese Stadt wohl direkt in einer riesigen Explosion verbrennen.

      Der Asteroid hatte den ungefähren Durchmesser von Frankreich. Viel würde da nicht mehr von der Erde übrig bleiben, dachte er bitter.

      Er wollte nicht, dass sein Tier in den letzten Stunden seines Lebens in panischer Angst versuchen würde zu fliehen, was absolut hoffnungslos gewesen wäre. Oder noch

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