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Antworten auf diese Frage entscheiden wesentlichen über die zu wählenden evangelistischen Instrumente. Ob evangelistische Bemühungen Erfolg haben, wird entscheidend davon abhängen, dass Vertrauen besteht.

      Vertrauen gewinnt man nicht mit bloßem Reden. Jesus gewann das Vertrauen der Menschen, indem Er ihnen diente. Für Ihn stellte der Dienst das Herzstück seiner Mission dar. „Der Menschensohn [ist] nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele“ (Mt 20,28), sagte Jesus über sich selbst. Und entsprechend sahen auch sein Leben und seine Verkündigung aus. Er stand Kranken und Bedürftigen bei, kümmerte sich um Menschen in Not und sorgte sich sogar um fehlenden Wein bei einer Hochzeit (Joh 2). Dieses Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein nennt der Evangelist Johannes ein Zeichen, das Glauben wirken soll.

      Ähnlich wie Jesus soll auch die Gemeinde Jesu ihr Licht in den guten Werken vor den Menschen leuchten lassen, damit diese ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen (Mt 5,16). Der praktische Liebesdienst am Nächsten ist eine unbedingte Voraussetzung und integraler Bestandteil der Evangelisation.62 Eine evangelistische Gemeinde liebt es, den Menschen zu dienen.63 Petrus bringt diese Tatsache auf den Punkt, wenn er im Bezug auf die Andersgläubigen schreibt: „Und führt ein rechtschaffenes Leben unter den Heiden, damit die, die euch verleumden als Übeltäter, eure guten Werke sehen und Gott preisen am Tage der Heimsuchung“ (1Petr 2,12). Wer Glauben erwartet, der sollte Werke vorleben, ist doch „der Glaube ohne Werke tot“ (Jak 2,17).

      Evangelisation setzt somit das Liebeswerk voraus. Sie baut auf der Diakonie der Gemeinde auf und löst diese wiederum aus. „Diakonie und Mission stehen in einem engen Zusammenhang. Die Diakonie hat teil am Auftrag der Kirche, die Botschaft von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes auszurichten und zum Glauben an Jesus Christus einzuladen“, fasst die EKD Synode in Leipzig 1999 richtig zusammen.64 Nur da, wo die Gemeinde ihre Nächstenliebe praktisch erfahrbar macht, entsteht Vertrauen – die einzige Grundlage, auf der das Gespräch über den Glauben und damit Evangelisation stattfinden kann.

      2.7Dialogisches Dasein

      Gegenseitiges Vertrauen entsteht nicht über Nacht. Aber wenn es einmal entstanden ist, dann entstehen Beziehungen, die das Gespräch ermöglichen. Und das Gespräch ist die Grundlage für jede erfolgreiche Evangelisation. Wer Menschen dient, wer mit den Menschen lebt, ihre Nöte, Bedürfnisse und Sorgen teilt, wer nach Lösungen im Alltag der Menschen sucht und diese hier und da findet, der verschafft sich Chancen zum Gespräch. Loewen sprach an dieser Stelle vom Prinzip der Reziprozität und Partnerschaft,65 dem Willen und der Bereitschaft beider Seiten, voneinander und miteinander lernen zu wollen – und das in gegenseitiger Akzeptanz und Respekt. Wie sonst sollten Menschen mit uns über die tiefsten Bedürfnisse ihres Herzens reden, wenn sie uns nicht vertrauen? Und wie sollen Menschen uns verstehen, wenn wir nicht Worte und Vorstellungen, Bilder und Symbole benutzen, die ihnen bereits vertraut sind?66 Das Gespräch ist eine natürliche Folge eines gesellschaftstransformativen Dienens.

      Evangelisation verlangt nach Hörern, die bereit sind zu hören. Wo niemand hört, da kann man auch nicht evangelisieren. „Niemandem kann man nicht predigen“ – diese Worte Rudolf Bohrens stehen gerade und vor allem für die evangelistische Predigt. Wer findet aber Hörer, wenn nicht derjenige, der Vertrauen bei den Menschen gefunden hat und gelernt hat, mit ihnen über ihre Alltagsnöte zu reden? Evangelisation geht somit Hand in Hand mit einer gewissen Gesprächskompetenz des Evangelisten und der evangelisierenden Gemeinde. Sie setzt einen eingeleiteten Dialog mit den Menschen voraus. Ein solcher Dialog beginnt mit den praktischen Fragen des Lebens, im Vollzug des Dienstes und geht schließlich zu existenziellen Themen weiter. Wer mit den Menschen, die man evangelisieren will, nicht redet, kann sie auch nicht evangelisieren. Wer aber mit ihnen im Dialog steht, hat große Chancen, sie auch mit der Botschaft von der Erlösung in Christus zu konfrontieren. Freilich ist unter Gespräch mehr gemeint als eine einmalige Unterhaltung. Dialog setzt einen Prozess voraus, der die Bereitschaft wachsen lässt, voneinander hören und lernen zu wollen. Kommunikation ist niemals ein Monolog. Wer jedoch in einen Dialog einsteigt, der wird sich dem anderen auch persönlich offenbaren müssen. Loewen sieht sogar jedes Zeugnis als prinzipiell dialogisch festgelegt.67 Wer Menschen gewinnen will, wird sie zuerst für sich selbst gewinnen müssen. Oder wie Loewen es sagt: „Wer andere kennenlernen will, der sollte sich selbst ihnen zu erkennen geben.“68

      Für eine evangelisierende Gemeinde bedeutet das, sich bewusst in der Gemeinwesenarbeit und ihren Initiativen zu engagieren. Hier sind alle Akteure im sozialen Raum im Gespräch miteinander. Der Dialog über brennende Themen des Alltags läuft schon. Ist die Gemeinde kompetent und hat sie einen Beitrag zur Lösung konkreter Probleme im Gemeinwesen, so wird sie gehört, gefragt und herzlich eingeladen, bei der Umsetzung lebensrelevanter Fragen mitzumachen. Gelingt die Umsetzung, so öffnen sich bald schon Türen, um auch eigene und sogar spirituelle Akzente im Gemeinwesen zu setzen. Was sonst würde man von einer Kirche denn erwarten?

      2.8Transformation als Ziel der Evangelisation

      Evangelisation will Leben verändern. Es geht ihr um Menschen. Sie sind ihr eigentliches Ziel.69 Es geht um mehr als nur um eine bloße Vermittlung von Offenbarungsinhalten. Natürlich will Evangelisation, dass Menschen über Gott Bescheid wissen, aber das allein genügt nicht – sie sollen Gott kennenlernen und ihr Leben nach seinen Geboten ausrichten. Evangelisation will Konversion und Transformation im besten Sinne dieser Worte.70 Damit ist sie aber viel mehr als nur ein Beitrag zur Diskussion über Gott und die Welt; sie ist ein Aufruf zur Bekehrung und Lebensveränderung. Sie mutet ihren Zuhörern eine radikale Neuorientierung in allen Lebensbereichen zu, eine „ganzheitliche Umorientierung, in welcher ein einzelner Mensch oder eine Gruppe das vergangene Leben re-interpretiert, die Abwendung von diesem vollzieht und das Künftige in einem veränderten gesellschaftlichen Beziehungsnetz neu begründet und gestaltet.“71 Evangelisation will bekehren, und zwar zum Herrschaftswechsel im Leben des Menschen. Es ist ein Totalanspruch: hier ist der ganze Mensch gemeint, sein ganzes Leben, nichts wird ausgeschlossen, nichts ist belanglos, alles, absolut alles wird unter den Herrschaftsanspruch Gottes gestellt.72 Wenn Evangelisation nicht mehr bekehren will oder wenn sie nur noch Teilbereiche des menschlichen Daseins meint, wenn sie sich auf rein spirituelle Inhalte reduzieren lässt, wenn sie aufhört, ganzheitliche Umkehr und Buße zu predigen, dann hört sie auf, Evangelisation zu sein. Wo Evangelisation ganzheitlich bekehrt, da werden alle Lebensbereiche des Menschen betroffen sein und vom Evangelium verändert werden.73 Das Reich Gottes gewinnt dann nicht nur „in uns“ Gestalt, sondern „mitten unter uns“ (Lk 17,21)74 und durchzieht dann konsequenterweise auch die „sozialen Strukturen, die Kultur, die Politik und die Wirtschaft“, um diese „auf Gottes Willen hin zu verändern“.75

      Damit ist nicht der Weg zum Ziel, sondern das Ziel selbst beschrieben. Freilich geht es dabei um weises und nicht manipulatives Evangelisieren. Niemals darf sich Evangelisation zu einer manipulativen Propaganda hinreißen lassen, niemals seelischen und geistigen Druck ausüben. Menschen werden nicht ins Reich Gottes gedrängt. Wie fatal eine solche Haltung ist, hat die Geschichte der Christianisierung nur zu deutlich gezeigt. Menschen werden zu Christus immer durch Liebe gezogen. Und Liebe kennt keinen Zwang, auch keinen seelischen Zwang. Liebe will immer freiwillige Einsicht und Umkehr. Das Ziel aller Evangelisation – Umkehr und bewusste Nachfolge Christi – wird durch den „sanften Ruf“ nicht korrigiert, sondern eher bestätigt. Ohne Konversion keine Evangelisation. Evangelistische Verkündigung muss mit O. Weber verstanden werden als „Kundmachung der Entscheidung Gottes, die zur Entscheidung ruft“76. Wo das Evangelium gelebt und gepredigt wird, da werden Menschen mit der Frage konfrontiert, ob sie ihr Leben ohne Gott leben wollen, und sie werden eingeladen, sich mit Gott zu versöhnen. „Evangelistische Verkündigung ist also nichts anderes als solche Provokation zur Antwort, Einladung zum Einverständnis und dringende Bitte zur Versöhnung. Sie zielt darauf, dass ihre Hörer Gottes rettendes Handeln als die ihr Leben bestimmende Wirklichkeit annehmen.“77 Erst so kann eine umfassende Änderung ihrer Lebensverhältnisse einsetzen. Volker Kessler bringt es

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