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und bis an das Ende der Welt“ (Apg 1,8). Man kann eine solche Hingabe an den fremden Kontext, an die fremde Lebenswelt nicht aus sich selbst heraus produzieren. Sie würde nicht lange durchhalten und sich bei den ersten Schwierigkeiten totlaufen. Es bedarf keines geringeren Beistandes als des Heiligen Geistes selbst, um sich so für die Menschen hinzugeben.48 Nur eine Gemeinde, die unter der Führung des Heiligen Geistes steht, wird letztendlich auch eine den Menschen zugewandte und hingegebene Gemeinde sein.

      Die Hingabe an die Menschen, die man mit dem Evangelium vom Reich Gottes bekanntmachen will, setzt also voraus, dass man sich mit ihnen identifiziert. Und Identifikation verlangt nach ganz bestimmten Einstellungen, ohne die keine wirkliche Identifikation stattfinden kann. L. Lutzbetak, der sich eingehend mit der Identifikation des Missionars mit seinen Hörern beschäftigt hat, nennt drei solche Einstellungen:

       1. Empathie, oder die Fähigkeit, sich der Gefühlswelt seines Adressaten zu nähern;

       2. Anpassung des Inhalts und der Methode der Vermittlung der Guten Nachricht an lokal-kulturellen Setzungen, wo das ethisch und religiös verantwortbar ist;

       3. Integration in die von der lokalen Kultur gesetzte Lebensweise. 49

      Wer Menschen mit dem Evangelium erreichen will, der wird es demnach nur dann erfolgreich können, wenn er sich in ihre Kultur hineindenken und -fühlen kann und Wege und Mittel findet, die Botschaft des Evangeliums verständlich, als „einer von ihnen“ weiterzugeben. Gourdet schreibt dazu: „… Identifikation kann nur durch realistische Anteilnahme am Leben der Leute erreicht werden; nicht indem man für sie arbeitet, sondern mit ihnen.“50 So gesehen wird man sich als Evangelist nur dann den Menschen wirklich effektiv nähern können, wenn man bereit ist, sich ganz auf die Menschen und ihr Leben einzulassen51 und von und mit ihnen zu lernen. Ohne einen solchen unbedingten Lernwillen kann wahre Identifikation nicht werden.52

      Identifikation mit dem anderen kann allerdings nicht meinen, dass man mit dem anderen völlig identisch wird. Das war auch Jesus nie. Er blieb wahrer Gott. „Er (…) hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“ (Phil 2,6) und identifizierte sich bewusst mit Gott, dem Vater. Wie er, so sind auch wir Christen in der Welt, jedoch nicht mehr von dieser Welt (Joh 17,11ff). Als Jünger Jesu bleiben die Christen bei aller Identifikation mit ihren Hörern anders. Die Gemeinde Jesu ist eine Kontrastgesellschaft zur Welt. Sie wird sich niemals in der Welt auflösen, es sei denn die Welt stellt sich ganz und gar unter die Herrschaft Gottes. Sie ist Zeichen und Gestalt des Reiches Gottes! Sie ist zwar in der Welt, aber doch niemals von der Welt! Dieses Anderssein gibt der Gemeinde das Recht und die Kraft, in der Welt zu evangelisieren.

      2.5Evangelisation vor Ort

      Die Notwendigkeit einer Identifikation mit dem Adressaten führt zu der Annahme, dass Evangelisation eine kontextsensitive Vorgehensweise voraussetzt. Nur so kann das Evangelium in eine konkrete Kultur übersetzt werden.53 Inkarnation als das wesentlichste Merkmal der missionarischen Verkündigung, als „Missionsprinzip“54, macht die Evangelisation zu einer kontextualisierten Mission.55 Und damit stellt sich die Frage nach der Kontextualisierung des Evangeliums.

      Jürgen Schuster definiert Kontextualisierung wie folgt: „Ziel der Kontextualisierung ist eine Begegnung von Menschen mit dem Evangelium, bei der das Evangelium ihnen Antwort bietet auf ihre spezifischen Fragen, anknüpft an ihrem Weltbild und ihren kulturellen Reichtum aufnimmt.“56 Mit anderen Worten: Im Prozess der Kontextualisierung suchen Evangelisten eine Botschaft, die auf die wirklichen Fragen der Menschen vor Ort Antwort bietet und eine Sprache, die von ihren Adressaten verstanden und angenommen wird. Für uns Evangelikale ist dabei wichtig, dass die Botschaft nicht beliebig ist, sondern sich am Evangelium Jesu Christi orientiert, wie es in der Heiligen Schrift offenbart worden ist.57 Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Evangelium in Wort oder Tat verkündigt wird. Es muss verstanden werden, und dazu bedarf es manchmal nicht der Worte, sondern des Lebens. Schließlich ist ja auch die ewige Wahrheit Gottes nicht als verbales Konstrukt zu uns gekommen, sondern als Person des Sohnes Gottes. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus (Joh 14,6). Wer ihn sieht, sieht das Leben. Konsequenterweise schreibt der Apostel Johannes in seinem ersten Brief, dass er nun an seine Hörer weitergibt, „(…) was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, vom Wort des Lebens“ (1Joh 1,1). Dadurch kann eine wirkliche Gemeinschaft mit Gott entstehen (1Joh 1,4).

      Evangelisation ist somit eine lokale Angelegenheit. Man kann nicht wirklich allgemein evangelisieren. Wer evangelisieren will, der wird sich seines „Evangelisationsfeldes“ bewusst werden müssen.58 Die Gute Nachricht ist da gut, wo sie auf konkrete Bedürfnisse der Menschen trifft. Der Kampf gegen das allgemeine Übel der Sünde, wie er seit Jahr und Tag in der evangelikalen Szene geführt wird, ist mehr als problematisch. Sünde darf man nicht abstrahieren. Sie kann als Prinzip nicht bekämpft werden. Ihre soziale Gestalt ist es, die ihr das greuliche Gesicht verleiht. Paulus ermutigt deshalb die Gemeinde immer wieder, konkrete Schuld zu bekennen und zu lassen. Er meint ganz konkrete Menschen, wenn er schreibt: „Wer gestohlen hat, wer gelogen hat, wer …“ (Eph 4,25–32). In unterschiedlichen Kulturen werden diese Übel recht unterschiedliche Erscheinungsformen haben und auch einen variierenden Umgang erfahren. So wäre in einer schamorientierten Kultur nichts schlimmer als der Verlust des Gesichts in der Gesellschaft. Eine gute Nachricht ist deshalb immer mit der Wiederherstellung der Ehre verbunden. Dagegen geht es in schuldorientierten Kulturen weniger um Ehre, sondern um Gesetzestreue. Hier ist die gute Nachricht: Die Unfähigkeit so zu leben, wie es wünschenswert erscheint, wird überwunden. Je nach Orientierung der Kultur wird die Botschaft entsprechend ausfallen müssen. Darüber hinaus spielen aber auch noch die lokalen wirtschaftlichen, sozialen oder auch weltanschaulichen Konditionen eine Rolle. Man wird doch nicht einem verdurstenden Menschen allein mit einer Predigt entgegen treten oder einem Menschen, der unter sozialer Kälte und Ablehnung leidet, allein mit einem Bibelwort. Wer die Lage der Menschen nicht berücksichtigt, der wird sie auch nicht gewinnen können.

      Die Notwendigkeit einer kontextuellen Evangelisation macht verständlich, wieso die Ortsgemeinde von besonderer Bedeutung ist. Sie ist es, die den Kontext der Menschen am besten kennen sollte. Sie ist es, die unter den Menschen lebt, die sie erreichen möchte, und mit ihnen den gleichen kulturellen und sozio-politischen Raum teilt. Deshalb ist Evangelisation deshalb primär die Aufgabe der lokalen Gemeinde. Nicht die begnadeten Reiseevangelisten sind die primären Agenten der Evangelisation, nicht die speziell für diesen Dienst aufgebauten Missionswerke, sondern die Ortsgemeinde. Sie ist am besten dafür geeignet zu evangelisieren.

      2.6Liebeswerke als Grundlage

      Evangelisation ist ein ganzheitliches Geschehen. Es zieht einen Menschen außerhalb der Herrschaft Gottes in die Gemeinschaft mit Gott, wobei das Leben des Betroffenen grundsätzlich verändert und neuorientiert wird. Ein solches Geschehen kann nur ganzheitlich verwirklicht werden. Recht verstandene Evangelisation ist daher Verkündigung durch Tat und Wort. So hat Jesus, das Vorbild aller Evangelisten, evangelisiert. Bei ihm gingen Worte und Taten nicht auseinander, wie das bei seinen Zeitgenossen, den Schriftgelehrten und Pharisäern, der Fall war. Er predigte und heilte, er sprach und tat! So gewannen Menschen zu Jesus Vertrauen, was eine wesentliche Voraussetzung ist für Evangelisation. Das Wirken Jesu in Wort und Tat stellt deshalb den wichtigsten „Ausgangspunkt für das Gespräch über die Mission der Gemeinde“59 dar.

      Ohne ein etabliertes Vertrauensverhältnis werden Worte nicht ernst genommen, ja in der Regel sogar abgelehnt. Mayers60 verlangt daher mit Recht, jede missionarische Aktion mit der „prior question of trust (PQT)“, der Frage nach dem Basisvertrauen, zu beginnen. Wer sich um ein solches Basisvertrauen bemüht, der wird klären müssen, welches Verhalten, Reden und Tun in der jeweiligen Kultur Vertrauen schafft; und dann wird er sich darum bemühen, genau dieses Verhalten zu suchen. Nur wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Evangelisten und dem Evangelisierten hergestellt ist, kann eine Beziehung zwischen

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