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      Max Kretzer

      In Frack und Arbeitsbluse

      (Waldemar Tempel)

      Roman

      Drittes und viertes Tausend

      Saga

      In Frack und Arbeitsbluse

      © 1920 Max Kretzer

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711474693

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      I.

      Ende Oktober erlebte Fabrikbesitzer Geiger etwas Überraschendes, wie es ihm ähnlich noch nicht begegnet war. Vormittags gegen elf Uhr sass er in seinem Privatkontor und hatte sich gerade nach allerhand Morgengeschäften etwas Luft gemacht, als ihm ein Unbekannter gemeldet wurde, der ihn auf einige Minuten zu sprechen wünsche. Auf der kleinen mit Goldschnitt versehenen Karte stand weiter nichts als der Name Waldemar Tempel. Der rundliche, bewegliche, stets über unliebsame Störungen klagende Herr Ferdinand Geiger, den seine Freunde kurzweg mit Nante bezeichneten, wollte schon heftig werden, weil man den Besuch nach seinem Begehr zu fragen vergessen hatte, als er noch rechtzeitig einen Blick durch das kleine Lugfenster ins grosse Kontor warf und dort einen dunkel gekleideten Herrn stehen sah, der den Eindruck eines neuen Kunden auf ihn machte. Und so sagte er kurz und geschäftsmässig: „Ich lasse bitten.“

      Ein etwas mitgenommen aussehender junger Mann sass dann vor ihm, dessen tadelloses Benehmen aber sofort auf gute Erziehung schliessen liess. Er hatte sehr schönes, glänzendes Haar, und in dem angenehmen Gesicht mit der kühnen Nase und dem modisch gestutzten Schnurrbart sprachen ein paar kluge und klare Augen ihre reizvolle Sprache.

      Und es entspann sich folgendes Gespräch:

      „Womit kann ich Ihnen dienen?“

      Mit Arbeit, mit irgend welcher Arbeit in Ihrer Fabrik.“

      Geiger, der ihn jetzt erst sprechen hörte, glaubte einen Ausländer vor sich zu haben, der sich nicht richtig auszudrücken verstehe. Daher sagte er entgegenkommend: „Sie können bei mir alles bekommen, was Sie wünschen.“ Und schon langte er nach Mustertafeln und einem Preisverzeichnis, als er über seinen Irrtum aufgeklärt wurde und zwar in einer Form, die ihm jeden Gedanken an „Ausländerei“ nahm. Sofort wurde sein Ton ein anderer, schwand das stolze Bild da vor ihm.

      „Ach, Sie wollen Beschäftigung bei mir haben? Det is jut, sehr jut.“

      anchmal fiel er um, besonders in Fällen, die seine Urwüchsigkeit als Berliner herausforderten, und so tat er sich keinen Zwang mehr an. „Ja, lieber Herr, hör’n Se mal .... Danach hätten Sie auch im Kontor fragen können — bei meinem Pokuristen. Es ist gar keine Vakanz vorhanden. Bedaure, bedaure. Was sind Sie denn. Buchhalter?“

      Er sagte es wie zur Verabschiedung, nachdem er sich ärgerlich erhoben hatte. Aber der andere bewog ihn durch seine andauernd höfliche Haltung weiter zum Anhören. Er sei weder Buchhalter noch etwas anderes, habe auch keine Sehnsucht nach Schreibertätigkeit, die er als Gebildeter schliesslich auch wo anders bekommen könne. Sein Wunsch gehe nur nach harter Handarbeit, denn erstens verlange das die Wiederherstellung seiner Nerven, und zweitens seine ganze Zukunft, die er sich nur durch eine gänzlich veränderte Lebensweise erobern könne. Im übrigen müsse er arbeiten, denn er stehe vis-a-vis de rien.

      Er sprach es mit müder, verhaltener Stimme, aber doch in der überlegenen Art des Mannes aus guter Gesellschaft, der voraussetzt, dass seinesgleichen ihn nach dieser Darlegung verstehen werde.

      Nante Geiger, nahe daran, ihn nun für einen Narren zu halten, blähte die gesunden Apfelwangen unter einem zurückgedämmten Lachen und liess die hellen, beweglichen Augen über den ganzen, noch so frisch gefirnissten Menschen gleiten, vom sorgsam, fast kokett gescheitelten Haar bis zu dem modernen, blitzblanken Schuhwerk, über dessen schmaler Gelenkumspannung ein Streifen des bronzefarbenen Modestrumpfes unter der Bügelfalte der Hose gerade noch hervorlugte.

      Und sofort griff Waldemar Tempel diesen Blick verständnisvoll auf: „Ich bitte, sich nicht an die Lackstiefel zu stossen, damit wollte ich mich nur gut bei Ihnen einführen,“ sagte er verbindlich mit leichter Selbstverspottung. „Die werde ich natürlich ablegen müssen, wenn ich zu Ihnen ins Geschirr gehe.“

      „Ja, haben Sie denn was gelernt?“ fragte ihn dann Geiger gemütlich, nachdem er sich von der Verblüffung einigermassen erholt hatte.

      „Bisher nur Geld auszugeben, und dazu gehört wohl kein besonderes Talent. Ich bitte, darin keine Frivolität zu erblicken. Es hätte für mich gar keinen Zweck zu heucheln, nachdem ich hier mit der Absicht aufgetaucht bin, in Ihnen meinen Lebensretter zu sehen.“

      „Lebensretter is jut,“ warf Geiger trocken ein, da er plötzlich geneigt war, hinter dieser sonderbaren Einführung eine kleine Komödie zu erblicken, bei der man es lediglich auf seine Tasche abgesehen habe. Als Förderer der Wohltätigkeit hatte er genug verschämte Arme kennen gelernt, die auf die kühnsten Schliche gekommen waren. Er sah nach der Wanduhr und wollte schon dem seltsamen Anliegen mit offener Abweisung begegnen, als er durch den Hinweis auf eine vorzügliche Empfehlung davon zurückgehalten wurde.

      In diesem Augenblick musste er das Gespräch unterbrechen, denn durch die Tür vom Flur her trat seine Tochter in elegantem Strassenkostüm herein, das hübsche Gesicht noch rot vom scharfen Herbstwinde draussen.

      „Ich störe wohl, Papa?“

      „Nein, nein, Helmine. Aber wie kommst du denn hierher?“

      „Ich war auf dem Görlitzer Bahnhof, das weisst du doch: Tante Ottilie ist abgereist.“

      „Ach richtig.“

      „Ich wollte dir nur sagen —“

      Waldemar Tempel schnellte in die Höhe und machte seine artige Verbeugung, wobei er fast die Hacken zusammen nahm, und zum Dank kam ein freundliches Nicken, begleitet von einem rasch musternden Blick.

      Vater und Tochter traten ans Fenster und sprachen dort halblaut weiter, so dass der Wartende jedes Wort hören konnte.

      „Wer ist das?“

      „Ach, nichts von Bedeutung,“ erwiderte Geiger, und seine Miene schnitt jede weitere Bemerkung darüber ab. Für ihn stand da nur ein stellenloser Mensch, der für seine verwöhnte Tochter lediglich „Sache“ war.

      Nichts von Bedeutung! Waldemar Tempel wiederholte diese Worte in Gedanken und lächelte still vor sich hin, so wie jemand lächelt, der eigentlich etwas darauf erwidern möchte, durch Umstände aber daran verhindert wird. Dann aber erschien ihm dieses Urteil sehr treffend, angepasst seiner Lage, denn um in Bedeutungslosigkeit zu versinken, war er hierher gekommen.

      Er kehrte sich der Wand zu und betrachtete ein Bild, um sich die Zeit zu verkürzen. Dabei spitzte er aber unwillkürlich die Ohren, denn hinter seinem Rücken fielen ein paar Namen, die in ihm die wonnige Erinnerung an das fröhliche Leben jener sonnigen Welt erweckten, in der man sich niemals langweilt, die er aber nun, einem hässlichen Zwange folgend, auf bestimmte Zeit verlassen sollte.

      „Aber hör’ mal, Papa, du darfst nicht vergessen, dass wir am zwanzigsten zu Frau von Lettendorf geladen sind, zum ersten Male,“ plauderte Helmine weiter. „Ich freue mich riesig darauf. Es soll da geradezu reizend sein.“

      „Ja, ja,“ warf Geiger unruhig ein.

      „Und dann denk’ daran, dass wir am zweiten November unseren ersten Abend haben. Und dann kommen Hertels, der Abend im Zoo, das Wagnerkonzert, na, und

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