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vorhin Sahne geholt, hatte etwas aus dem Pappbecher, in dem man sie kauft, in das Milchkännchen ihres blauweißen Geschirrs geschüttet, den Pappbehälter aber nicht wieder in den Kühlschrank gestellt.

      »Du Himmelhund, sakrischer«, schalt sie und schüttelte den Hund, »darfst du naschen? Freilich, wenn Frauchen dir das so schön hinstellt –«

      Sie setzte den Hund auf den Boden zurück und sich selbst wieder an die Schreibmaschine. Fing an, in dem Buch zu blättern. Bekam diese nette Inke am Schluß der Geschichte endlich ihr Kind? Momme war für die Bücher, die sie übersetzte, immer so engagiert, als habe sie sie selbst geschrieben. »Das sollte man ihr doch zugestehen. Wenn sie es sich doch so heiß wünscht!«

      Sie blätterte. Hier suchte jemand einen Namen – nein, der war für ein Pferd, ein soeben geborenes Fohlen. Hier –

      Doch, hier. Hier sprachen sie über Vornamen, über hübsche Mädchen- und Jungennamen. Na also! Nein, nicht vorgreifen. Sie wollte sich selbst überraschen und nicht vorher wissen, wie das Buch ausging. Lächelnd blätterte sie wieder nach vorn.

      Vieles war echt an diesem Buch. Da rief der junge Ehemann von irgendeinem Hafen aus an, und Frau und Mutter standen nach stundenlangem gemeinsamem Lauern am Telefon und hätten einander am liebsten den Hörer aus der Hand gerissen. »Jetzt möchte ich –« – »Augenblick, ich will nur –«, so ging es immerzu. Und der Sohn neckte die Mutter mit dem neuen Lippenstift, den sie sich zugelegt habe, und sie konterte: »Aber du hast wieder die alte schmierige Mütze auf, wie ich sehe!« Und Inke lachte und weinte hinterher und rechnete sich aus, wieviel Tage sechseinhalb Wochen ausmachen, denn in sechseinhalb Wochen würde er in Rotterdam einlaufen ...

      »Sehr hübsch«, kommentierte Momme und suchte nach einem treffenden Ausdruck, um das Ganze noch anschaulicher zu machen, »wenn ich einmal ein Buch schreibe –«

      Das dachte sie übrigens oft, bei allen Übersetzungen, die ihr gefielen oder auch nicht gefielen. »So mach’ ich es einmal nicht –« oder: »Das ist gut. Das ist unterkühlt und trotzdem emotionell –«

      »Mein Buch soll einmal keine Fehler haben. Jedenfalls keine so dicken, und es soll charmant sein wie das, das ich vorigen Winter übersetzte. Ich würde es aber eleganter machen –«

      So etwa dachte sie, während sie schrieb. Aber es war ihr nicht bewußt, daß sie das dachte.

      Genußvolle Stunden, so an der Maschine zu sitzen, umgeben von hellem Holz, das noch immer duftete. Der Raum war auch zu hübsch, ungarische Schreiner schienen viel Geschmack zu besitzen. Mitten darin – die niedrige Decke ließ an eine behagliche Hütte denken – stand ein wuchtiger, nach oben sich verjüngender Kachelofen, grün, wie Kachelöfen sein sollten. An dieser Stelle hatte sich früher die ›Schütte‹ befunden, der große Trichter, durch den das Mahlgut vom oberen Stock in den daruntergebundenen Sack fiel. Dorthin den Ofen zu setzen und nicht in eine Ecke, hielt Momme für eine geniale Idee. Rund um das Kachelungetüm lief eine helle Holzbank. Manchmal wünschte Momme direkt, daß es endlich Winter würde und man das Ungeheuer heizen könne. Dummes Zeug – der nächste Winter würde bestimmt kommen, wie die scharfsinnige Reklame der Heizöl- und Briketthändler so nachdrücklich mahnte. Momme lachte vor sich hin und schrieb weiter, vergaß alles um sich her, auch den kleinen Hund ...

      Der brachte sich in Erinnerung, als er an der Telefonschnur zerrte, die vom Tischchen herabhing. Bauz, landete der Apparat auf der Erde. Momme sprang auf, nun ihrerseits das Hündchen erschreckend, und hob den Hörer, prüfte, ob das Telefon den Todesstreich empfangen hätte. Nein, es tutete. Zur weiteren Beruhigung wählte Momme eine Nummer, die ihr geläufig war – es war die ihrer Freundin Marika, um deren Gesundheit sie sich etwas sorgte.

      »Wirklich, es geht dir besser? Na, Gott sei Dank!«

      In der teuren Zeit anzurufen, so weit über Land! Und sie wußte doch, daß Marika nie ein Ende fand, wenn man sie einmal anrief. Auch jetzt erzählte sie weitschweifig und eindringlich von einer neuen Liebe, die sie sich zugelegt hatte, sie sagte: »Die mir anflog.« Momme grinste. Ohne Liebe konnte diese nun auch nicht mehr junge Frau, Witwe wie Momme, anscheinend nicht leben. Lieber Helf, achtzehn Jahre jünger war »er«, und so reizend, und so besorgt um sie, und so liebenswert ...

      Momme legte endlich auf, hinterher – erst hinterher! – seufzend. Nun ja, jedem das Seine, Amor mußte bei Marikas Geburt eben mehr als einen Pfeil verschossen haben. Obwohl – was handelte man sich schon ein, wenn man sich hoch in den Jahren noch einmal verliebte! Kummer und Herzeleid vermutlich, nicht nur vermutlich, sondern todsicher. Es hatte bereits in diesem Telefongespräch durchgeklungen, daß ›Lieb nicht ohne Leid geschah‹. »Nein, ohne mich«, sagte Momme laut und überzeugt vor sich hin und spannte einen neuen Bogen ein, »da lob ich mir doch den braven Kasimir als Liebhaber –« So nannte sie ihre Schreibmaschine. Der enttäuschte nie, stand immer zur Verfügung, ihr zu helfen – zu Geld und zum Glück fortschreitender, befriedigender Arbeit. Welches Glück war wohl so ausdauernd und verläßlich wie dieses!

      Das Glück der Liebe? Wie bald war das dahin, bei den einen – der einen, sie dachte jetzt an Frauen, an Marika und sich selbst – durch den Tod des geliebten Partners, bei den andern durch das Leben, das anscheinend jede Liebe allmählich trübte. Der Alltag – sie hatte ihn nie gefürchtet, sie liebte ihn, und gerade im Alltag hatte sie sich mit ihrem Mann am besten verstanden. Manche – viele? – jedoch schienen das nicht zu können. So war das Glück der Liebe auf jeden Fall kurz, an der heutigen Lebenserwartung von etwa siebzig Jahren gemessen.

      Und das Glück, Kinder zu haben? Freilich, ein Geschenk, ein unwahrscheinliches, inniges, ausfüllendes Glück, unermeßlich schön, aber zeitgebunden. Mit zwanzig, höchstens dreißig Jahren brauchten einen die Kinder nicht mehr, wenn sie gesund und lebenstüchtig waren, und gerade das hatte dies Glück ja ausgemacht, und daß sie einen brauchten, einen innerlich ernährten, vor allem jene Mütter, die den Mann verloren hatten. Für sie bedeuteten die Kinder eine Zeitlang ein sehr großes Glück. Eine Zeitlang –

      Und die Enkel? Gewiß, auch Enkel zu haben war Glück, wenn auch meist ein kurzes, schnell verwehendes, geborgtes Glück.

      Das Glück der Arbeit aber, das hielt stand, in jedem Lebensalter, das verging nie. Solange man zufassen und werken, sich anstrengen und wieder abschalten konnte im großen Rhythmus des Schaffens, so lange konnte man sich glücklich preisen, wahrhaftig. Ob das nun ein geliebter Beruf war oder ein Hobby, etwa die Arbeit im Garten, die manchen Menschen so tief befriedigt, oder das Zusammenleben mit Tieren oder eine geistige Arbeit, und sei es nur eine Übersetzung, so, wie sie sie gerade vor sich hatte. ›Wieder ein Stück geschafft‹, dachte sie täglich, wenn sie die sauber getippten Bogen aufeinander legte, ›heute sind es mehr geworden als gestern, aber gestern war die knifflige Stelle dabei, die mich so lange aufgehalten hat –«

      Die Arbeit versagte nie. Welch ein Glück, daß es sie gab! Daß man nicht, drohnenhaft und gelangweilt, von einer Rente oder dem Vermögen oder aber von einem Manne lebte, der zwar Geld gab, aber sonst nicht genug, nicht das, was man als Frau eben wollte, suchte und ersehnte: eine gute, fruchtbare Zweisamkeit.

      Viele Ehepaare schien es nicht zu geben, die dieses Glück erlebten. Wenn sie sich in ihrem Bekanntenkreis umsah, fand sie kaum eins. Sie selbst aber hätte es vermocht, ein Leben lang mit dem lebendigen Partner lebendig zu bleiben, so meinte sie sicher zu wissen.

      Oh ja, ihr wäre es gelungen. Ihre eigene Ehe, relativ kurz, doch glücklich, war, so fand sie, ein Beweis dafür. Wie viele Partnerschaften gingen schon vorher entzwei, im ersten, im siebenten Jahr oder wann auch immer. Selbst wenn sie nicht geschieden wurden, wenn sie nur eben so weiter bestanden – danke verbindlichst! Dann lieber das verläßliche Glück der Arbeit.

      Momme hatte sich eine Zigarette angezündet, was sie sonst bei der Arbeit nie tat. Jetzt aber saß sie und sah dem blauen Rauch nach und versuchte, ganz ehrlich mit sich zu sein. Marika suchte immer wieder das Glück der Liebe, erhaschte hier und dort einen Zipfel davon, mußte ihn wieder fahren lassen. Das machte sie unruhig und glücklos. Sie selbst dagegen saß in einer umgebauten Scheune vor der Schreibmaschine, verlangte nichts anderes und war glücklich. Merkwürdig.

      Oder doch nicht merkwürdig?

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