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hatte hier gewohnt. Momme sah im Heranfahren, daß sich hier etwas tat: unzählige Pakete, Bündel und Koffer standen und lagen im Hof, wo ein Kleinbus dazu ausersehen schien, all dies in seinen Bauch aufzunehmen. Das Verhältnis der umhergestreuten Dinge zu seinem Fassungsvermögen war grotesk. Momme stieg auf die Bremse.

      »Warum –«, setzte Rupprecht an, die Mutter legte die rechte Hand auf seinen Arm.

      »Wart – ich glaube –«

      Gerade kam die Frau des Hauses herausgeschossen, einen weiteren Koffer heranschleppend, das Haar gesträubt, mit funkelnden Augen. Momme kannte sie, wie man sich in der Kleinstadt kennt, und genoß es immer wieder, hier ein echtes (ungarisches!) Temperament zu erleben, ohne daß sie selbst oder ihre Familie betroffen war. Als Zuschauer und -hörer hatte das zweifellos seinen Reiz.

      »Na, Frau Sailer –«, die Leute waren Deutsch-Ungarn – »bei Ihnen geht es ja munter zu.«

      »Jawohl. Man kann auch munter sagen. Ich nenn es fürchterlich –« Sie schmiß den Koffer auf den Haufen zu den anderen und blieb stehen, um Atem zu schöpfen. Momme hatte das Fenster heruntergekurbelt und sah hinaus.

      »Ziehen Sie weg?«

      »Ja. Zu meiner Tochter. Sie hat Zwillinge bekommen, zu fünf anderen. Muß das sein? Nun wird sie nicht fertig mit ihnen.«

      »Und da wollen Sie –«

      »Wollen? Ich muß. Man kann doch seine Kinder in der Not nicht im Stich lassen.«

      »Na, Not –« Momme war ausgestiegen und sah, daß Rupprecht dasselbe tat. Sie wies mit dem Kinn auf ihn. »Das ist auch ein Zwilling, sehen Sie. Und ich hab mich so gefreut, als ich zwei auf einmal bekam. Und freu mich heute noch.«

      »Ist was anderes. Der ist ja nun groß. Aber zwei kleine auf einmal –«

      »Und zu fünf anderen«, schaltete der erwachsene Zwilling ein –

      »Ist eine Menge. Trotzdem. Wenn so eine Mutter helfen kommt wie Sie, Frau Sailer –«

      Der Mann der empörten Großmutter war in den Bus geklettert, und Rupprecht reichte ihm die Koffer hinein, einen nach dem anderen. Er hatte eine ruhige, gewinnende Art, freundlich-selbstverständlich zuzugreifen, wo man helfen konnte, Momme hatte das oft beobachtet. Sie faßte nun selbst mit an, Frau Sailer holte neue Reserven, die schier unerschöpflich schienen, aus dem Haus, während sie unaufhörlich weiter räsonierte, riß Momme oder Rupprecht das eine oder andere Stück aus der Hand – »Das nicht, das hat Zeit, erst ...« und schilderte weiter. Wie es bei ihrer Tochter zuginge, daß man es nicht mit ansehen könne, und –

      Schließlich war der Haufen verschwunden, der Bus bis oben hin vollgepackt.

      »Jetzt trinken wir erst einen, mir ist schon lange danach«, sagte Frau Sailer und schob Momme und Rupprecht vor sich her ins Haus. Die sahen einander kurz an, jeder wußte, was der andere dachte, und ließen sich willig hineindirigieren. Und dann – ja, dann ging ihnen sozusagen die Sonne auf.

      Herr Sailer war Schreiner, Momme wußte das. Jetzt aber wurde es ihr erst klar, was das bedeutete.

      Durch einen kleinen, recht dunklen Flur kam man – welch wirkungsvoller Gegensatz – in einen großen, sehr hellen Raum, der die ganze Südhälfte des Hauses einzunehmen schien. Die Wände getäfelt, helles Holz, eingelassen, so daß es nicht nachdunkeln konnte, Fichte, soviel Rupprecht auf den ersten Blick erkennen konnte, mit vielen Aststellen, was den Anblick noch reizvoller machte. Welch ein Raum! Niedrige, breite Fenster, die nach drei Seiten gingen, es war sozusagen ein Doppeleckzimmer, man sah hinaus nach der Straße – das war die Giebelseite –, nach dem Hof und nach dem Wald. Momme stöhnte vor Entzücken, Rupprecht hatte rechtzeitig ihren Arm ergriffen und mit eiserner Faust umklammert, damit sie nicht sofort loslegte; er kannte ja seine Mutter. Wenn sie jetzt in Entzückensschreie ausbrach – er war es ja, der vorgeschlagen hatte, ein Haus für sie mit zu finanzieren –, das konnte ihn teuer zu stehen kommen. Jeder Jubelruf würde die Summe um tausend Mark hinauftreiben, falls das reichte. Und das, fand er, mußte nicht sein.

      Sie blieb also stumm. Aber ihre Augen wurden größer und größer ...

      Frau Sailer hatte eine Flasche hervorgezaubert und holte Gläser herbei. Ein Marillenschnaps, würzig, belebend, mit einem Nachgeschmack, der allein genügte, um mit der Zunge zu schnalzen und die Augen zu verdrehen – die Augen, die dann sofort wieder umherliefen, ohne Unterlaß.

      Der Raum war jetzt, verständlicherweise, wüst, obwohl die Möbel noch standen. Eine überstürzte und zornige Abreise verschönt kein Wohnzimmer. Momme jedoch verfügte über genug Phantasie, um sich vorzustellen, wie –

      Machen wir es kurz, was sowieso auf der Hand liegt: Rupprecht kaufte das Haus.

      »Sie bekommen es billig, wenn wir den oberen Stock so lange behalten können, bis wir wissen, wohin mit unsern Möbeln«, hatte Frau Sailer gesagt. »So sparen wir die Kosten für den Speicher und können sie abholen, wenn wir wissen, wohin. In die Nähe der Tochter natürlich. Genügt Ihnen fürs erste die untere Etage?«

      Sie genügte. Großer Wohnraum, Küche in der Nische, zwei kleine Schlafräume, die allerdings nach Norden lagen, das war vorläufig alles. Momme sah sich um, marillenschnapsbeschwingt, zukunftsbesessen. ›– und hierher kommt –‹ – ›und das wird –‹ – ›hier werden wir –‹ ging es pausenlos, Rupprecht versuchte nicht mehr, sie zu stoppen. Er rechnete inzwischen mit dem Schreinermeister, der, wie es sich gehörte, mit einem überdimensionalen Bleistift auf einem Stück Holz Zahlen schrieb – kein Schreiner rechnet auf Papier –, am Ecktisch sitzend, und zeigte sich, wie alle Ungarn, freundlich, aber zäh auf seinen Vorteil bedacht. Es war nur ein Vorgeschmack von dem, was später kommen sollte, aber beide wußten, daß sie sich einigen würden. Gegen Mittag fuhren die Sailers endlich los, die Sache war nicht nur mit Handschlag, sondern auch schriftlich besiegelt, Rupprecht und Momme hingegen fuhren nicht. Sie wanderten zu Fuß das Tal hinunter, Mommes Wohnung zu, nachdem sie den Wagen getätschelt und abgeschlossen hatten. Der stand hier gut, hier war Platz, hier sah niemand, ob hier drei oder sieben Wagen stehen würden, wenn Corona –

      Ja, Corona sollte, so hatte Momme sofort beschlossen, in das alte Steinhäuschen ziehen, das so hübsch hergerichtet war, die Wände ebenfalls mit Holz ausgekleidet, die niedrige Decke von dunklen Balken durchzogen. Ob Corona Ja sagen würde? Ob sie mitkommen oder den Zeigefinger an die Schläfe legen und sagen würde, sie sei doch nicht verrückt? Freilich hätte sie Mommes Stadtwohnung übernehmen können, aber der ewige Ärger mit den parkenden Anbetern?

      »Hättest du Angst, allein in der Mühle zu wohnen?« fragte Rupprecht noch vorsichtshalber. Momme schüttelte heftig den Kopf.

      »Ich Angst! Aber bei Corona weiß man nie –«

      »Wenn zwei Generationen unter dasselbe Dach ziehen, wird nie etwas Gutes daraus. Aber im selben Hof wohnen, mit Separateingang und eigenen vier Wänden, das ist wohl nicht so gefährlich, und –«

      »Und was noch? Du hast voreilig gehandelt, Sohn«, sagte Momme, plötzlich wie erwachend, »denn das müßtest du wissen: Wenn Corona etwas nicht will, dann tut sie es nicht, auch wenn du dich auf den Kopf stellst.«

      »Ich hab nicht gehandelt, sondern du. Du hättest das Haus vermutlich auch gekauft, wenn ich nicht dabeigewesen wäre. Schätzungsweise für das Dreifache. So habe ich mich noch schützend vor dich stellen können und bin meinem Schöpfer dankbar, daß das möglich war. Du bist zu jung, Momme, um solch einen großen Kauf allein zu tätigen.«

      »Kauf hin oder her, aber Corona? Bitte, renn jetzt nicht im Dauerlauf, erstens ist deine Mutter eine Greisin und kann kaum laufen –« Rupprecht gab einen Ton von sich wie ein Seelöwe, halb bellend, halb schnarchend – »und zweitens müssen wir uns überlegen, was wir tun, wenn sie nicht will. So etwas muß man sich vorher zurechtlegen. Wie soll man sich denn Hilfestellung geben, wenn es schiefgeht?«

      »Sich selbst Hilfestellung geben? Gib dir mal welche neben dem Barren, wenn du selbst schwingst –«

      »Bitte keine Wortklauberei. Wir müssen uns zurechtlegen, was

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