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      »Halt den Schnabel. Dieser blödsinnige Sexrummel überall, er hängt mir zum Halse heraus. Nein, meine Tochter müßtest du mit etwas anderem locken –«

      »Und das wäre?«

      »Momme! Rupprecht! Endlich! Aber wieso kommt denn Rupprecht nochmals zurück? Er wollte doch –« Corona zog die beiden eifrig ins Haus. Dort fiel sie ihnen gleichzeitig um den Hals, Corona konnte so etwas. »Aber wie riecht ihr denn, Menschenskinder? Zwar nicht schlecht, aber am hellichten Tage! Und was habt ihr? Ihr tut, als kämt ihr zu Mutti, um ein süßes Geheimnis zu beichten –«

      »Bist du närrisch, Corona! Und schrei nicht so laut im Treppenhaus, die Leute –«

      »Ach, pfeif doch auf die Leute! Herein mit euch! Ihr kommt genau im richtigen Augenblick –« Corona biß sich auf die Lippen, fuhr aber gleich fort: »Ich bekam nämlich – mögt ihr Forellen? Na, wer mag wohl keine, dumme Frage. Also heute koch’ ich, daß ihr es wißt, deshalb –«

      Es läutete. Corona, die die beiden ins Wohnzimmer gedrängt und sich soeben eine winzige rotkarierte Schürze, Symbol häuslicher Arbeit, umgebunden hatte, schob Momme in Richtung Etagentür. »Sei so gut und mach du auf, ich kann’s im Augenblick nicht!«

      Momme ging. In Coronas Augen blitzte es. Sie sah den Bruder an, gleichzeitig erwartungsvoll und bereits triumphierend. Etwa nach dem Motto: ›Jetzt paß auf. Jetzt wirst du was erleben!‹

      Vom Flur her hörten sie murmelnde Stimmen, dann klappte die Etagentür, und dann stand Momme vor ihnen. Aber nicht allein. Auf dem Arm trug sie ein Etwas, goldbraun, seidenstrubbelig und lebendig, mit einem rassigen, spitznasigen Köpfchen, das sich innig an Mommes Hals schmiegte: ein Dackel. Corona quiekte.

      »Da ist er – ist er nicht lieb? Momme, Rupprecht, habt ihr schon jemals etwas so Süßes gesehen? Und aus allerbester Zucht! Ich bekam ihn geschenkt und mußte ihn annehmen, sonst hätte ich den Schenker tödlich beleidigt. Unmöglich wär’ das gewesen. Dafür ist er ja auch zu süß –«

      »Der Schenker?« fragte Rupprecht und grinste.

      »... loch«, zischte Corona. Sie sprach das Wort tatsächlich nicht ganz aus, wie es sich in guten Familien geziemt, doch es war unverkennbar. »Der Dackel natürlich –«

      »Und du hast ihn geschenkt bekommen? Aus einer guten Zucht?«

      »Einer erstklassigen –« Später stellte sich heraus, daß sie ihn gekauft hatte, auf Raten, an denen sie einige Zeit abstotterte. Und daß er keineswegs aus einer erstklassigen Zucht stammte, sondern von einer zwar reinrassigen, aber moralisch nicht ganz gefestigten Mutter, Produkt eines Seitensprunges, aus dem dreizehn dieser Art hervorgegangen waren, von denen er noch der dackelähnlichste zu werden versprach. Dies alles aber erfuhr Momme erst einige Zeit später, und da war an eine Trennung selbstverständlich nicht mehr zu denken.

      »Nicht wahr, das seht ihr ein, daß man so etwas nicht ablehnen kann. Ein Geschenk zurückzuweisen, das wäre eine ganz große Unhöflichkeit gewesen.«

      »Wir sehen. Aber wir bedenken auch: wie sollst du hier in dieser winzigen Wohnung, mitten in der Stadt, solch ein Tier halten und ihm die nötigen Lebensbedingungen, das heißt Bewegung verschaffen –« Rupprecht fand, daß er sehr schriftdeutsch sprach, und hörte sich gern zu. Der Marillenschnaps wirkte noch nach.

      »Aber Rupprecht –«, fiel ihm Momme ins Wort, worauf er wiederum – dieser Tag war voller Rippenstöße, Schienbeintritte und In-die Arme-Kneifen, es gibt solche Tage – ihr schwer und schmerzhaft auf den Fuß trat.

      »Nichts: aber Rupprecht. Solch ein Tier hält man, wenn man draußen wohnt, in der Natur –«, ›am Wald‹, hätte er beinah gesagt und verschluckte es noch rechtzeitig. Dackel wildern, wenn man sie nicht sehr gut erzieht. Würden das die beiden Frauen schaffen? »Jedenfalls dort, wo man jeden Tag in guter Luft mit ihm laufen kann –«

      »Eben. Und da ihr die Schelmenmühle gekauft habt –«

      Momme und Rupprecht starrten Corona an, als sei sie ein Kalb mit zwei Köpfen.

      »Was haben wir?«

      »Und ich in dem Steinhäuschen am Bach wohnen werde –«

      »Sag mal, kannst du hellsehen?« fragte Momme, als sie wieder reden konnte. Corona lachte.

      »Wenn ich das jetzt behauptete, ihr würdet es aufs Wort glauben. Aber wozu lügen. Ein – ein Forstbeamter, der heute früh auf seinem Angelplatz für Forellen am Schelmenbach saß und durch euch gestört wurde –«

      »Hat uns belauscht?« fragte Momme streitbar. Corona wackelte mit der Rechten, die Handfläche abwehrend gegen Momme gerichtet.

      »Was heißt belauscht? Habt ihr etwa im Flüsterton verhandelt? Doch wohl nicht, wie ich meine Mutter kenne.«

      »Und er hat es dir brühwarm erzählt? Wie kam er denn hierher?«

      »Er hatte mir Forellen versprochen, vor ein paar Tagen, als wir uns zufällig mal trafen. Ich bezweifelte, daß er im Schelmenbach welche fangen würde, und er versprach, mir welche zu bringen, als Beweisstück. In der Küche liegen sie, ich sagte es ja schon. Wollt ihr sie blau oder gebraten?«

      »Forellen ißt man blau«, fiel hier Rupprecht ein. »Ich jedenfalls. Blau, mit Petersilienkartoffeln und zerlassener Butter –«

      »Genauso bekommt ihr sie serviert. In einer Viertelstunde. Bitte nehmt inzwischen Platz.«

      In der Tat, der Tisch war gedeckt. Neben den Tellern standen Weingläser, und in der Ecke der Stube entdeckten Rupprechts Späheraugen eine vielversprechende Flasche. Er sah seine Mutter an.

      »Momme! Kommentar überflüssig. Da haben wir aber Glück.«

      Zwanzig Minuten später saßen sie am Tisch und stießen auf die Schelmenmühle samt Bachhäuschen an. Es ließ sich nicht entscheiden, wer am glücklichsten war: Momme oder ihr großer Sohn, ihre jüngste Tochter oder das goldenseidige Gekringel auf Mommes Schoß. Denn da lag er, der kleine Hund, und ließ sich nicht woanders unterbringen. Momme hatte ihn an der Tür entgegengenommen, zu ihr gehörte er von nun an; Corona hatte das mit Vorbedacht so eingefädelt. Sie selbst würde in nächster Zeit nicht viel daheim sein, Momme hingegen so gut wie immer. Momme brauchte den kleinen Lebensgefährten, deshalb hatte Corona die Mutter zur Tür geschickt. Alles war genau nach Plan verlaufen. Es war eine Liebe auf den ersten Blick, das erste Schnuppern.

      2

      Der Tag war verhangen, vielleicht würde es regnen – Momme hatte tief und wunderbar geschlafen und fühlte sich wie neu gefertigt. War es ihr damals schwergefallen aufzustehen, wenn der Morgen über Dächer und Steine herüber in ihr Schlafzimmer im Städtchen geguckt hatte? Sie meinte, das könne nicht Wirklichkeit gewesen sein, oder eine Wirklichkeit vor langen, vor schätzungsweise hundert Jahren. Eine nie selbst erlebte Wirklichkeit.

      Alles um sie her war still. Corona stand meist im allerletzten Moment auf und startete dann wie ein geölter Blitz. Momme hielt das nicht für einen guten Tagesanfang, wenn man um die Sekunden rannte, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. Corona besaß nun einmal einen anderen Lebensrhythmus als sie selbst.

      Ihr, Momme, war es lieb, sich frühmorgens in Ruhe und Muße auf den neuen Tag einzustellen. Deshalb stand sie viel früher auf als nötig. So nahe am Wald zu wohnen war zu jeder Tages- und Nachtzeit schön. Die hellroten Stämme der Fichten sahen vor dem dunklen Hintergrund fast rosa aus, und manchmal, wenn die Sonne in einem bestimmten Winkel stand, blutrot. Momme versäumte nie, zunächst einmal dorthin zu schauen, wenn sie aufgewacht war, als erkundige sie sich, was der Tag heut für Wetter bringen würde.

      Heute vermutlich Regen. Dem Garten würde das guttun. Dann wurde es auch nicht so heiß, Momme war Hitze gegenüber empfindlich. Aber früh, wenn sie an der Schreibmaschine saß, war es immer angenehm kühl. Die Wände des Hauses, außen Holz, innen vertäfelt, isolierten gut. Momme hatte sich die Schreibmaschine zurechtgerückt und eine Tasse Kaffee daneben gestellt. Sie freute sich auf die Arbeit. Nächste Woche erwartete sie

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