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eigne Auflösung so heftig fürchtet, und dasselbe gilt auch für den Schmerz; allein da dieser Abscheu doch bei ziemlich Allen sich findet, so zeigt dies deutlich, wie die Natur vor ihrem eignen Untergange sich scheut, und selbst wenn dies so weit geht, dass es gerechten Tadel verdient, so erhellt doch daraus um so mehr, dass selbst ein solches Uebermaass bei Einzelnen nicht eintreten könnte, wenn nicht ein massiger Abscheu dieser Art der menschlichen Natur überhaupt anhaftete. Ich spreche auch hier nicht blos von der Todesfurcht solcher Personen, welche sich von den Gütern dieses Lebens nicht trennen mögen oder welche mögliche Schrecknisse nach dem Tode fürchten, oder die aus Furcht vor Schmerzen den Tod scheuen; denn selbst Kinder, die an nichts der Art denken, erschrecken, wenn man ihnen scherzweise droht, sie irgendwo herabzustürzen. Ja selbst die wilden Thiere, denen, wie Pacuvius sagt:

      »die kluge Einsicht fehlt, um sich vorzusehn«,

      erschrecken, wenn sie mit dem Tode bedroht werden. (§ 32.) Selbst von dem Weisen, der zu sterben beschlossen hat, muss man annehmen, dass ihn die Trennung von den Seinigen und der Abschied von dem Tageslicht erschüttert. Hauptsächlich erhellt aber die Macht der Natur hier daraus, dass Viele selbst ein Bettlerleben ertragen, nur um zu leben, und dass Menschen, die vom Alter niedergebeugt sind, sich über die Annäherung des Todesängstigen und es so machen wie Philoktet in der Dichtung, der trotz der Schmerzen, von denen er gefoltert wurde, doch sein Leben durch Vogelfang zu fristen suchte und »ein Langsamer die Schnellen und stehend die Fliegenden erlegte«, wie Accius sagt, und »aus dem Gewebe von Federn sich eine Decke für seinen Körper verfertigte«. (§ 33.) Weshalb spreche ich aber hier von den Menschen und überhaupt von lebenden Wesen? Selbst bei den Bäumen und Sträuchern ist die Natur beinah die gleiche. Mag hier, wie weise Männer meinen, eine Höhere und göttlichere Ursache ihnen diese Kraft eingepflanzt haben oder mag es der Zufall so gemacht haben, immer bleibt es offenbar, dass diese Erzeugnisse der Erde sich durch ihre Rinden und Wurzeln ebenso kräftig erhalten, wie es die lebenden Wesen durch die empfangenen Sinne und die Zusammenfügung ihrer Glieder vermögen. Wenn ich auch hier Denen beistimme, welche annehmen, dass die Natur dies Alles leite und dass, wenn die Natur in dieser Sorge nachliesse, dies Alles nicht bestehn könne, so will ich doch Jedem hierbei seine eigene Ansicht lassen. Mögen sie, wenn ich von der menschlichen Natur spreche, immer den Menschen selbst darunter verstehn; denn Beides läuft auf dasselbe hinaus, so möchte wohl eher Jemand sich von sich selbst trennen können, als das Begehren nach dem, was ihm zuträglich ist, verlieren. Mit Recht haben deshalb die grössten Philosophen den Anfang des höchsten Gutes von der Natur selbst entnommen und gemeint, dass das Begehren nach den der Natur entsprechenden Dingen Allen angeboren sei, weil diese Dinge in der Empfehlung der Natur mit enthalten sind, vermöge deren sie sich selbst lieben.

      Kap. XII. (§ 34.) Nachdem so genügend dargelegt worden, dass Jeder von Natur sich liebt, so ist nun die menschliche Natur selbst näher zu untersuchen; denn sie ist das, was wir suchen. Es ist nun klar, dass der Mensch aus Leib und Seele besteht und dass die Bestandtheile der Seele die ersten, die des Körpers die zweiten sind. Auch ist unser Körper so gestaltet, dass er die anderer Geschöpfe übertrifft und dass die Seele theils mit Sinnen ausgerüstet ist, theils mit einem überlegenen Geiste, welchem die ganze Natur des Menschen gehorcht und in welchem eine wunderbare Kraft der Vernunft, des Denkens, der Wissenschaft und aller Tugenden enthalten ist. Die Bestandtheile des Körpers lassen sich in ihrer Bedeutsamkeit mit den Theilen der Seele nicht vergleichen, auch ist ihre Erkenntniss leichter; ich will deshalb mit ihnen beginnen. (§ 35.) Hier erhellt, wie sehr die Theile unseres Körpers, sowie seine ganze Gestalt und Form und Haltung der Natur entspricht, und man erkennt sofort an der Stirn, den Augen und übrigen Theilen, dass sie so nur den Menschen eigenthümlich sind. Aber dabei ist erforderlich, dass sie gesund und kräftig seien und ihre natürlichen Bewegungen und Verrichtungen haben und dass kein Theil an ihnen fehle oder krank oder schwach sei; denn dies verlangt die Natur. Ebenso besitzt der Körper eine Thätigkeit, welche die naturgemässen Stellungen und Bewegungen festhält. Ist hier durch Verrenkung oder Verkümmerung oder durch eine hässliche Bewegung oder Stellung ein Fehler vorhanden, wie wenn Jemand auf den Händen gehn oder nicht vorwärts, sondern rückwärts schreiten wollte, so würde ein solcher Mensch gleichsam sich selbst zu fliehen, die Menschlichkeit abzulegen und die menschliche Natur zu hassen scheinen. Deshalb laufen manche Arten zu sitzen und manche Biegungen und Verdrehungen, wie man sie bei schamlosen oder verweichlichten Menschen findet, gegen die Natur. Selbst wenn ein Fehler in der Seele die Ursache davon ist, so scheint doch dann die menschliche Natur auch in dem Körper sich zu verändern. (§ 36.) Umgekehrt entspricht eine ruhige, im Gleichgewicht, bleibende Haltung mit den daraus hervorgehenden Zuständen und Bewegungen des Körpers der Natur. Ferner muss die Seele nicht blos überhaupt da sein, sondern sie muss auch ihre besondere Beschaffenheit haben und alle ihre Bestandtheile müssen unverletzt sein und keiner von deren Vorzügen darf fehlen. Auch jeder Sinn hat seine eigenthümliche Güte, so dass jeder in seiner Weise wirken und schnell und leicht diejenigen Wahrnehmungen der Seele zuführen kann, für welche er eingerichtet ist.

      Kap. XIII. In der Seele und insbesondere in ihrem vorzüglichsten Theile, der Geist genannt wird, giebt es mehrere Tugenden und hauptsächlich zwei Arten derselben, von denen die einen angeboren sind und ihrer Natur nach von dem Willen nicht abhängen, die andern aber von dem Willen abhängig sind und ihren Namen mit grösserem Rechte führen; sie bilden den vorzüglichsten Theil bei dem Lobe der Seele. Zur ersten Art gehören die Gelehrigkeit, das Gedächtniss u.s.w.; man befasst sie mit dem einen Namen der guten Anlagen und sie gelten als die Vorzüge geistreicher Menschen. Zur zweiten Art gehören die grossen und wahrhaften Tugenden, die man freiwillige nennt; so die Klugheit, die Mässigkeit, die Tapferkeit, die Gerechtigkeit und andere dieser Art. – So viel war, kurz zusammengefasst, über Leib und Seele zu sagen und damit ist gleichsam dargelegt, was die menschliche Natur verlangt. (§ 37.) Indem wir uns selbst lieben und Alles an unserm Leib und in unsrer Seele vollkommen haben wollen, so erhellt, dass alle diese Bestandtheile uns um ihrer selbst willen lieb sind und dass sie die wichtigsten Bestimmungsgründe für das gute Leben enthalten. Denn wenn Jemand sich erhalten will, so muss er auch die einzelnen Bestandtheile seiner selbst lieben und um so mehr lieben, je vollkommner und in ihrer Art lobenswerther sie sind. Denn man verlangt nach einem Leben, was die vollen guten Eigenschaften des Leibes und der Seele besitzt, und hierin muss das höchste Gut gefunden werden, weil es das sein soll, was man als das höchste von allen Dingen begehrt. Aus dieser Erkenntniss ergiebt sich unzweifelhaft, dass, da die Menschen sich um ihrer selbst willen und von selbst lieben, sie auch die einzelnen Bestandtheile ihres Körpers und ihrer Seele, sowie alle Dinge, die zu den Zuständen und Bewegungen gehören, in ihrer Selbstliebe mit befassen und nm deren selbst willen begehren sollen. (§ 38.) Aus diesen Darlegungen ergiebt sich leicht, dass das an uns selbst, was den meisten Werth hat, auch am meisten zu begehren ist, und dass die guten Eigenschaften unserer besten und um ihrer selbst begehrenswerthen Theile auch am meisten erstrebt werden müssen. Deshalb müssen die guten Eigenschaften der Seele denen des Körpers vorgezogen werden und die von dem Willen abhängenden Tugenden der Seele müssen den natürlichen guten Anlagen derselben vorgehn. Jene heissen deshalb vorzugsweise die Tugenden und stehn höher, weil sie aus der Vernunft hervorgehn, welche das Göttlichste im Menschen ist. Denn bei allen von der Natur erzeugten und erhaltenen Dingen, die entweder leblos oder nicht viel besser sind, ist das höchste Gut körperlicher Art, und deshalb ist es ein treffender Ausspruch über das Schwein, dass diesem Thier die Seele nur statt des Salzes gegeben sei, damit es nicht verfaule.

      Kap. XIV. Es giebt aber auch Thiere, die etwas von Tugend an sich haben, so die Löwen, die Hunde, die Pferde; an ihnen bemerkt man nicht blos körperliche Thätigkeiten, wie bei den Schweinen, sondern auch einzelne geistige. In dem Menschen steckt aber die höchste aller Seelenthätigkeiten und in dieser als Höchstes die Vernunft, woraus die Tugend besteht, welche als die Vollendung der Vernunft definirt wird und die man immer von Neuem zu erklären für nöthig hält. (§ 39.) Selbst bei den Gegenständen, welche die Erde hervorbringt, zeigt sich eine Erziehung und Vervollkommnung, welche der bei den lebenden Wesen gleicht. Deshalb spricht man von dem Leben und Sterben des Weinstocks und von der Kraft eines jungen und von der Hinfälligkeit eines alten Baumes. Deshalb kann man bei ihnen ebenso, wie bei den lebendigen Wesen, das eine für naturgemäss und das andere für naturwidrig halten und für ihre Vermehrung und Ernährung eine Pflegerin annehmen, die in der Kenntniss und dem Kopf des Landmannes besteht; sie beschneidet,

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