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Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke von Cicero
Год выпуска 0
isbn 9788027209569
Автор произведения Марк Туллий Цицерон
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Kap. II. (§ 4.) Darauf sagte ich: Unser Pomponius scheint nur zu scherzen und vielleicht für seine Person mit Recht; denn er hat sich in Athen so fest niedergelassen, dass er beinahe zu einem Attiker geworden ist und davon noch den Beinamen erhalten wird. Indess stimme ich Dir, mein Piso, bei; es geschieht häufig, dass die Orte unsre Gedanken lebhafter und genauer zu berühmten Männern zurückführen. Du weisst ja, wie ich auch einmal mit Dir nach Metapont gekommen und nicht eher zu dem Gastfreund gegangen bin, als bis ich den Ort, wo Pythagoras sein Leben beschlossen hat, und bis ich seine Wohnung gesehn hatte. Allerdings bietet Athen allerwärts durch seine Plätze Erinnerungen an grosse Männer; aber jetzt ist es dieser Sessel, welcher mich erregt. Karneades sass darauf und ich glaube ihn zu sehn; denn sein Bild ist bekannt und beinahe scheint es, als wenn dieser Sessel, nachdem dieser grosse Geist ihn verwaist gelassen hat, danach verlangte, seine Stimme zu hören. – (§ 5.) Hierauf sagte Piso: Alle haben gesprochen, aber was meint denn unser Lucius? Hat er gern den Ort geschaut, wo Demosthenes und Aeschines miteinander zu kämpfen pflegten? Denn Jeder wird hierbei am meisten durch seine eigene Lieblingsbeschäftigung bestimmt. – Hierauf sagte dieser erröthend: Frage mich nicht; bin ich doch sogar zu dem Hafen Phalaris herabgestiegen, wo Demothenes bei der Brandung zu sprechen pflegte und sich übte, das Getös der Wellen mit seiner Stimme zu überbieten. Auch war ich so eben ein wenig rechts ab des Weges gegangen, um das Grabmal des Perikles zu sehn, obgleich dies Schauen hier eigentlich kein Ende nimmt, denn wohin man den Fuss in dieser Stadt setzt, trifft man auf die Spuren früherer Ereignisse. – (§ 6.) Darauf sagte Piso: Soweit diesr Eifer, mein Cicero, Dich treibt, jenen grossen Männern nachzuahmen, ist er ein Zeichen von Geist; aber das blosse Sehen dieser Denkmäler alter Erinnerungen ist nichts als Neugierde; deshalb ermahnen wir Alle Dich, der, wie ich hoffe, vorwärts eilt, diese Männer nicht blos kennen zu lernen, sondern ihnen auch nachzuahmen. – Darauf sagte ich: Er handelt zwar, mein Piso, schon so, wie Du verlangst, aber trotzdem ist mir Deine Ermahnung willkommen. – Darauf erwiderte Piso mit seiner gewohnten Freundlichkeit: Wir Alle wollen das Mögliche für diesen Jüngling thun, namentlich soll er auch einen Theil seines Eifers der Philosophie zuwenden, sei es, um Dir nachzufolgen, den er liebt, oder sei es, um das, wonach er strebt, später vollbringen zu können. Aber sage uns, Lucius, bedarfst Du erst unsrer Ermahnungen oder hast Du nicht schon selbst die Neigung dazu? Wenigstens scheinst Du mir die Vorträge Deines Lehrers Antiochus sehr aufmerksam zu hören. – Darauf erwiderte dieser ängstlich oder vielmehr verschämt: Ich thue dies zwar, aber hörtest Du nicht eben vom Karneades reden? Zu diesem zieht es mich heftig hin; allein Antiochus holt mich zurück; auch ist kein Lehrer weiter hier vorhanden. –
Kap. III. (§ 7.) Darauf sagte Piso: Wenn es sich auch nicht so leicht wird machen lassen, da dieser hier ist (er meinte mich), so will ich doch versuchen, Dich von dieser neuen Akademie weg zu jener alten zu führen, zu welcher, wie Du von Antiochus gehört haben wirst, nicht blos die sogenannten Akademiker, wie Speusipp, Xenokrates, Polemo, Crantor mit den Uebrigen gehören, sondern auch die alten Peripatetiker, deren Erster Aristoteles ist, ein Mann, den ich, von Plato abgesehn, für den grössten Philosophen erklären möchte. Wende Dich also, ich rathe es Dir, zu diesen. Aus deren Schriften und Vorträgen können alle höhern Wissenschaften, alle Geschichte, aller Glanz im Vortrage geschöpft werden, und die Mannichfaltigkeit ihrer Anweisungen ist so gross, dass Niemand ohne diese Hülfe zu irgend einem bedeutenderen Unternehmen gehörig vorbereitet angesehn werden kann. Aus ihnen sind die Redner, die Feldherren, die grössten Staatsmänner hervorgegangen, und selbst, um Geringeres zu erwähnen, die Mathematiker, die Dichter, die Musiker, die Aerzte sind in dieser Schule aller Künste gebildet worden. – (§ 8.) Darauf sagte ich: Du weisst, Piso, dass ich ebenso denke, indess hast Du es zur rechten Zeit erwähnt. Mein Vetter Cicero möchte nämlich gern hören, welcher Ansicht die ältere Akademie und die Peripatetiker über das höchste Gut gewesen sind. Du wirst uns dies am besten auseinander setzen können, da Du den Neapolitaner Staseas viele Jahre bei Dir gehabt hast, und wir sehn, dass Du schon seit mehreren Monaten in Athen dasselbe von Antiochus zu erfahren suchst. – Piso antwortete lächelnd: Nun wohlan (denn Ihr habt es sehr geschickt eingerichtet, dass ich mit dem Vortrage beginnen muss), ich will diesem Jünglinge es, so viel ich vermag, auseinandersetzen. Unsere Einsamkeit hier ist die Veranlassung; denn wenn auch ein Gott es gesagt hätte, so würde ich nie geglaubt haben, dass ich in der Akademie als Philosoph je einen Vortrag halten würde. Aber wenn ich Euch nur nicht lästig falle, während ich dies ausführe? – Wie sollte bei mir dies möglich sein, sagte ich, da ich selbst Dich darum gebeten habe. Als Quintus und Pomponius sich ebenso ausgesprochen, begann Piso, und ich bitte Dich, mein Brutus, Acht zu haben, ob er die Lehre des Antiochus richtig darstellt; denn Du hast dessen Bruder Aristus oft gehört und wirst deshalb dieser Lehre am meisten zugethan sein.
Kap. IV. (§ 9.) Er sprach folgendermassen: Welches grosse Rüstzeug für die Wissenschaften in der Lehre der Peripatetiker enthalten ist, habe ich genügend und so kurz als möglich vorhin dargelegt. Der Grundriss dieses Lehrgebäudes hat drei Theile, wie beinah überall; der eine behandelt die Natur, der zweite das Erörtern, der dritte das Leben. Die Natur haben sie so vollständig untersucht, dass kein Theil am Himmel, im Meere und auf der Erde, um mich dichterisch auszudrücken, übersehen worden ist. Ja, sie haben sogar bei Erörterung der Anfänge der Dinge und bei dem Weltall überhaupt nicht allein Vieles als wahrscheinlich dargelegt, sondern nach Art der Mathematiker aus nothwendigen Schlussfolgerungen abgeleitet und so aus den von ihnen erkannten Dingen Bedeutendes zur Erkenntniss des Verborgenen beigebracht. (§ 10.) Aristoteles hat den Ursprung, die Nahrung, die Gestalt aller lebenden Geschöpfe erforscht und Theophrast die Natur der Pflanzen und die Ursachen und Verhältnisse beinah aller Erzeugnisse der Erde, und damit ist die Erforschung der verborgensten Dinge sehr erleichtert worden. Ebenso haben sie Regeln aufgestellt nicht blos für den dialektischen, sondern auch für den rednerischen Vortrag, und Aristoteles hat zuerst die Methode begründet, wonach man einzelne Fragen nach beiden Seiten hin behandelt; er bewegte sich nicht immer, wie Arcesilaus, im Widerlegen, sondern zeigte bei allen Dingen, was sich sowohl für, wie gegen sie sagen lasse. (§ 11.) Im dritten Theile werden die Vorschriften für ein gutes Leben behandelt, und sie haben diese nicht blos für das Privatleben, sondern auch für die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten aufgestellt. Aristoteles hat uns mit den Sitten, Einrichtungen und Vorschriften beinahe aller griechischen und ausländischen Staaten und Theophrast uns mit deren Gesetzen bekannt gemacht. Beide haben gelehrt, was dem Herrscher im Staate gezieme, und in mehreren Schriften die beste Form der Staatsverfassung erörtert. Theophrast hat noch ausserdem gelehrt, wie den Neigungen und Zeitverhältnissen im Staate Rechnung zu tragen sei, je nachdem es die Umstände erfordern. Sie hielten ein ruhiges, mit der Betrachtung und Erkenntniss der Dinge sich beschäftigendes Leben für das vorzüglichste; es sei dem Leben der Götter am ähnlichsten und deshalb für den Weisen das würdigste. Ihre Darstellung bei allen diesen Gegenständen ist glänzend und lichtvoll.
Kap. V. (§ 12.) Ueber das höchste Gut haben sie zwei Arten von Büchern verfasst; die einen sind allgemein fasslich geschrieben und heissen exôterika, die andern sind gefeilter abgefasst und in Commentarien von ihnen hinterlassen worden. Dadurch entsteht der Schein, als wären die Einzelnen nicht immer einstimmig